Autobahnausfahrt zum Frankfurter Flughafen inmitten vom Treburer Wald.
Digitalisierung im Arbeitsleben sorgt für weniger Flugreisen, aber auch für mehr Zersiedelung. (Foto: Fraport)

Klimareporter°: Herr Clausen, Corona hat das Arbeitsleben verändert. Die Büros in den Bankentürmen in Frankfurt am Main sind wegen Homeoffice halb leer, beim Versicherer Allianz in München haben letztes Jahr bis zu 90 Prozent der Beschäftigten zu Hause gearbeitet, beim Softwarekonzern SAP ist das Homeoffice der beliebteste Arbeitsplatz. Für wen funktioniert Homeoffice gut? Und für wen weniger?

Jens Clausen: Wenn es zu Hause einen ruhigen Arbeitsplatz gibt, am besten ein separates Zimmer, dann kann Homeoffice gut laufen. Besonders zufrieden scheinen Menschen zu sein, die gerne in Ruhe und für sich arbeiten. Wer dagegen stark vom persönlichen Kontakt lebt, für den ist das Homeoffice oft einfach nur einsam.

Wie groß ist der Wunsch, nach dem Lockdown doch wieder im Büro zu arbeiten?

Der ist bei kontaktfreudigen Personen wohl häufig. Eine Gruppe von 20 Prozent der Homeoffice-Erfahrenen hat aber erkannt, dass häufiges Homeoffice ihnen auch die Möglichkeit bietet, weiter hinaus ins Grüne zu ziehen, zu Freunden oder zur Familie oder in eine schönere Stadt. Die wollen dann wohl auch dauerhaft nur noch selten ins Büro.

Wird sich das Arbeitsleben durch die neuen Erfahrungen mit Videokonferenz und Homeoffice dauerhaft verändern?

Ganz sicher. Geschäftsreisende haben ja jetzt gelernt: Man kann viel Zeit und Geld sparen, wenn man nicht morgens in den Zug oder den Flieger nach Berlin steigt, um dort zwei Stunden ein Gespräch führen und dann wieder den gleichen Weg zurückzufahren. Das entlastet ja auch nicht nur das Arbeitszeitkonto, man gewinnt auch Freizeit, weil man nicht schon um 5 Uhr 30 zum Flughafen fahren muss oder erst um Mitternacht zurück ist.

Wir bei Borderstep erwarten auf Basis einer repräsentativen Befragung von Geschäftsreisenden, dass zukünftig etwa jede dritte Geschäftsreise ersatzlos wegfällt. Gerade Teambesprechungen werden oft durch virtuelle Formate ersetzt werden. Allein die Autokilometer, die dann nicht mehr gefahren werden müssen, entsprechend der Jahresfahrleistung von rund 700.000 Dienstwagen.

Porträtaufnahme von Jens Clausen.
Foto: Tom Deutschmann

Jens Clausen

hat das Borderstep Institut für Innovation und Nach­haltigkeit mit­gegründet. Der Diplom­ingenieur für Maschinen­bau leitet das Büro Hannover und beschäftigt sich mit Innovations- und Trans­formations­forschung. Sein besonderes wissen­schaftliches Interesse gilt den Themen Elektro­mobilität, Wärme­versorgung und Digitalisierung.

Und beim Homeoffice?

Beim Homeoffice sind die Auswirkungen noch unklar. Je nachdem, wie viele von uns in Zukunft dem Büro öfter fernbleiben, werden sich die Bürolandschaften verändern.

Der von der Corona-Krise heftig getroffene Tui‑Konzern verzichtet in der Zentrale in Hannover auf zwei Bürogebäude und spart einen zweistelligen Millionenbetrag ein. Dafür baut er den Tui‑Campus aus und schafft dort offene Arbeitsflächen mit Desksharing und Gemeinschaftszonen, es gibt nur noch 1.770 Arbeitsplätze für 3.000 Mitarbeiter.

Seit Kurzem ist dort auch eine neue Betriebsvereinbarung für mobiles Arbeiten unter Dach und Fach. Gut möglich, dass diese Dynamik auch bei anderen Unternehmen und Verwaltungen einsetzt.

Wie ist die Klima- und Umweltbilanz unter dem Strich?

Videokonferenzen haben eindeutig positive Wirkungen. Während durch einen Flug oder eine Autofahrt von zwei Personen von Berlin nach Stuttgart leicht 400 oder 500 Kilogramm CO2 in die Luft gepustet werden, ist dies bei einer vierstündigen Videokonferenz von vier Personen nur circa ein Kilogramm. Für alle Dienstreisenden in Deutschland zusammengenommen rechnen wir mit rund drei Millionen Tonnen weniger Treibhausgasemissionen durch weniger Verkehr dank Videokonferenzen.

Homeoffice wird dagegen nicht nur zu Einsparungen, sondern auch zu Mehrverbräuchen führen. Größere Wohnung mit mehr Heizbedarf, das Haus im Grünen statt in der Stadt, oder zweimal die Woche längere Pendlerdistanzen, weil man in einen anderen Ort gezogen ist – da wissen wir noch nicht, ob es unter dem Strich wirklich zu Entlastungen kommt.

Aber in den Städten können dann Büros frei werden, die, zu Wohnungen umgebaut, den Wohnungsmarkt entlasten und Neubauten "einsparen".

Da dürfte ein Potenzial liegen. 20 Etagen in den Türmen der Deutschen Bank in Frankfurt in schicke Wohnungen umbauen – das könnte für Immobilienentwickler attraktiv sein. Aber ich denke, so weit sind wir noch nicht.

Entlastet es nicht auch den Wohnungsmarkt, wenn man auf dem Land digital arbeiten kann?

Das ist grundsätzlich richtig. Man weiß: In New York sind die ersten Büroangestellten schon ins schöne Upstate gezogen. In Glasgow gibt es Wanderungsbewegungen in die Highlands. Wie viele schon aus Frankfurt am Main in den Vogelsberg gezogen sind, weiß ich leider nicht. 

Ende Juni endet die staatliche Pflicht zum Homeoffice als Corona-Maßnahme. Nun wird in der Politik über das Recht auf Homeoffice gestritten. Die SPD ist dafür, die Union dagegen. Sollte der Staat Homeoffice unterstützen, auch unter Klimagesichtspunkten?

Unter Klimagesichtspunkten ein klares Nein. Es ist völlig unsicher, ob Homeoffice unter dem Strich das Klima ent- oder belastet. Da brauchen wir mehr Forschung. Wir sind dran.

Naheliegend wären dagegen deutlich weniger Kurzstreckenflüge für Geschäftsreisende. Da gibt es jetzt eine echte Alternative.