Nahaufnahme: Ladestecker in einem E-Auto
Weil VW mehr Ladesäulen für E-Autos fordert, bewegt sich nun die Politik. (Foto/​Ausschnitt: Gereon Meyer/​Wikimedia Commons)

Wenn die Kanzlerin zum Autogipfel einlud, dann war die Veranstaltung in der Vergangenheit ein Manifest des Zauderns, des Verweigerns, des Aussitzens.

Den mächtigen deutschen Herstellern und ihrer vielgliedrigen Zulieferindustrie war zwar immer bewusst, dass mit Blechbiegen und Verbrennungsmotoren allein die Zukunft nicht zu schaffen ist. Man glaubte aber, dass man noch genügend Zeit habe, das "Alte" abzuarbeiten, und dass man im Falle eines Falles auch gerüstet sei.

Vorausgesetzt natürlich, die Politik spielt mit. Denn im Verkehr hängt alles von der politischen Regulierung ab. Die Regeln des Verkehrs bestimmen über die Attraktivität des Produkts.

Die Kanzlerin hat der Industrie lange vertraut, dass sie schon von allein den Sprung zu elektrischen Antrieben, neuen Mobilitätsdienstleistungen wie Carsharing und autonomen Flotten schafft. Immerhin signalisiert der wichtigste Exportmarkt China schon seit Jahren: Achtung, wir wollen zukünftig andere Waren haben.

Es war auch nicht so, dass in der deutschen Autoindustrie nichts passiert wäre. Immerhin hat man sehr gute E-Autos, in homöopathischen Mengen sogar Fahrzeuge mit Wasserstoffantrieb, im Produktportfolio. Alles mit sehr guter Qualität, aber bewusst lieblos vermarktet.

Alibi-Aktivitäten taumelnder Giganten

Besonders krass dokumentiert dies die BMW AG, die 2013 mit dem BMW i3 einen mutigen Wurf präsentierte und mit gutem Recht behauptete, gemeinsam mit dem Modell i8 weltweiter Technologie- und Marktführer zu sein.

Umstritten waren diese neuen Autos vor allen Dingen im Hause BMW selbst. Genauso wie das Carsharing-Angebot "Drive Now", das nie wirklich in der Kultur der Bayern angekommen war.

Konsequenterweise suchte man ausgerechnet mit dem Konkurrenten Daimler den Schulterschluss, der auch schon länger über einen eleganten Weg nachdachte, die ungeliebte Tochter Car2go loszuwerden. Verkauft wurde dieser Abgesang zeitgemäß als neues "Startup" Free Now, um schneller als gedacht nach Markteinführung die Schotten in den Konzernen dichtzumachen.

Ein ähnliches Schicksal blüht auch dem Versuch der VW AG, in das Ride-Pooling und den automatischen Flottenbetrieb einzusteigen: Moia wurde ebenfalls im Gewand eines agilen Unternehmens verkauft, bei dem alles anders gemacht wird wie bei VW selbst.

Man muss leider befürchten, dass alle diese Aktivitäten, die weitab vom Kerngeschäft losgetreten wurden, tatsächlich nur Alibi-Aktivitäten taumelnder Giganten waren.

Andreas Knie
Foto: Sebastian Knoth

Andreas Knie

Der Sozialwissenschaftler mit den Schwerpunkten Wissenschaftsforschung, Technikforschung und Mobilitätsforschung lehrt an der TU Berlin und leitet die Forschungsgruppe Wissenschaftspolitik am Wissenschaftszentrum Berlin. Er ist Mitglied im Klimareporter°-Kuratorium.

Das Ende ist bereits eingeleitet, die viel zu optimistischen Absatz- und Umsatzzahlen wollen sich nicht einstellen.

Wie denn, wenn die Behörden in den Städten diese neuen Angebote einfach nicht genehmigen wollen. Das Geschäft mit digitalen Plattformen bleibt in Deutschland verboten.

Alles schien wie immer, der Schlaf der Riesen schien ungestört.

Aber Achtung! Es hat sich durchaus Beachtliches getan. Die deutsche Bundesregierung konnte nämlich trotz aller Schutzmaßnahmen für die heimische Industrie nicht verhindern, dass die EU es irgendwann doch schaffte, strengere Grenzwerte zu erlassen, die vom heimischen Recht nicht einfach ausgehebelt werden können.

Ab kommendem Jahr gelten nun für alle neu zugelassenen Fahrzeuge die 95 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer als Flottengrenzwert. Da ist jetzt nix mehr zu machen.

Während Daimler und BMW mit einigen Verrenkungen die Grenzwerte versuchen zu halten, aber bereits Rückstellungen für Strafzahlungen gebildet haben, will Volkswagen unter Herbert Diess konsequent Strafzahlungen vermeiden und, komme was wolle, Autos mit elektrischem Antrieb herausbringen.

Dass die Kanzlerin passend zum Gipfel das dazu eigens umgerüstete VW-Werk in Zwickau besucht, ist daher auch kein Zufall.

Schulterschluss mit Gewerkschaften bei VW

Die Leistungen des VW-Chefs scheinen dabei weniger in der Ingenieurskunst zu liegen als vielmehr im Schulterschluss mit den Gewerkschaften. Gegen die mächtige IG Metall ist in Deutschlands Buden nichts, aber auch gar nichts zu machen.

Das haben die Hersteller heftig zu spüren bekommen. BMW musste beispielsweise alle Aktivitäten zum digitalen Geschäftsausbau in den USA auf Bitten des Betriebsrates wieder herunterfahren.

Offenkundig scheint mit VW jetzt ein Riese wach zu werden und sich auf eine kluge Strategie zu besinnen: Was wir eigentlich können, ist Autos bauen, und wir schaffen es auch, diese mit einem Batterie-elektrischen Antrieb auszurüsten.

Das ist jetzt auch noch nicht die Verkehrswende, aber immerhin ein erster Schritt, der werkseitig gemeinschaftlich gegangen wird.

Dazu gehört durchaus Mut. In der Branche ist die Fixierung auf diesen Weg heftig umstritten, und das ist auch der Grund, warum der mächtige Branchenverband VDA in eine Krise schlidderte und gleich während der Automesse IAA seinen Präsidenten verlor.

Tacheles!

In unserer Kolumne "Tacheles!" kommentieren Mitglieder unseres Kuratoriums in loser Folge aktuelle politische Ereignisse und gesellschaftliche Entwicklungen.

Der jahrzehntelange Branchen-Konsens ist weg, die Phalanx hat Lücken, die Verteidigungsstrategie geht nicht mehr auf!

Wenn im Kanzleramt der Gipfel tagt, ist also die alte Einigkeit im Aussitzen nicht mehr da. Aus der VW-Entscheidung erklärt sich auch der vehemente Einsatz des niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil für den Ausbau der Ladeinfrastruktur und für die Erhöhung der Kaufprämie für E-Autos.

Es ist immer noch nicht die Rettung der Industrie. Es ist auch immer noch nicht der Einstieg in eine neue Verkehrsdienstleistung, die mit weniger Fahrzeugen mehr Beweglichkeit schafft. Aber es ist ein erster Schritt.

 

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