Der erste Laborfleisch-Hamburger wird in einer Pfanne gebraten
Der erste Laborfleisch-Hamburger, präsentiert von Wissenschaftlern um Mark Post von der Universität Maastricht ​im August 2013. Kosten damals noch: 250.000 Euro. (Foto: The Meat Revolution Mark Post/Wikimedia Commons)

Am 5. August 2013 präsentierten Forscher der Universität Maastricht den ersten Hamburger, der komplett im Labor entstanden war. Das Team um den niederländischen Pharmakologen Mark Post hatte dafür einem erwachsenen Rind Stammzellen entnommen, diese in einer Nährlösung angesiedelt und schließlich in einem Bioreaktor zu sogenanntem In-vitro-Fleisch herangezüchtet.

Der Retorten-Burger machte damals Schlagzeilen. Denn das Verfahren würde quasi mit einem Schlag viele Probleme lösen, die mit der heutigen Art der Fleischproduktion einhergehen.

Es wäre nicht mehr nötig, jedes Jahr 70 Milliarden Tiere zu züchten, um den menschlichen Hunger nach Fleisch und anderen tierischen Produkten zu stillen. Eine industrielle Massentierhaltung müsste es nicht mehr geben. Mit einer einzigen Kuh ließen sich Tausende Tonnen Fleisch erzeugen.

Wälder müssten nicht mehr gerodet werden, um Platz für Weideflächen oder für den Anbau von Tierfutter zu schaffen. Der Landbedarf der Fleischproduktion würde drastisch sinken, genauso der Wasserverbrauch und die Belastung des Bodens mit Nitrat und Arzneimittelrückständen. Außerdem könnte rund ein Fünftel der globalen Treibhausgasemissionen eingespart werden.

Allerdings gab es bei dem ersten künstlichen Burger einen Haken. Er schmeckte nicht, weil das Laborfleisch nur aus Muskelzellen stammte. Und die Herstellung kostete alles in allem eine Viertelmillion Euro, da Jahre der Forschung dafür erforderlich waren.

"Eine disruptive Veränderung"

Mittlerweile hat sich das geändert. Für den besseren Geschmack werden nun auch Fett- und Bindegewebszellen beigegeben. Und die Kosten sind stark gesunken. Dennoch ist Laborfleisch nach wie vor nur ein Nischenprodukt mit Science-Fiction-Flair.

Eine vom Bundesforschungsministerium geförderte Studie des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) bewertet das Potenzial von In-vitro-Fleisch zurückhaltend. Es könne, so das Fazit, eine "interessante Alternative zur konventionellen Fleischproduktion" sein und eine "Teillösung zur nachhaltigen Umgestaltung der Ernährung" darstellen. Jedoch gebe es "viele offene Fragen".

Zu einem ganz anderen Ergebnis kommt nun eine Studie des kalifornischen Thinktanks Rethinkx um Technologievordenker Tony Seba. Schon in wenigen Jahren sei mit einem massenhaften Siegeszug des Retortenfleischs zu rechnen, so das Papier "Rethinking Food and Agriculture 2020–2030". Die heutige Landwirtschaft werde eine "disruptive" Veränderung erleben.

Den Grund sehen die Studienautoren Catherine Tubb und Tony Seba in den sinkenden Kosten. Nach ihrer Prognose werden die künstlichen Produkte schon 2030 fünfmal weniger kosten als die echten tierischen Produkte, die sie ersetzen, 2035 sogar zehnmal weniger.

Entsprechend sinke die Nachfrage nach echtem Fleisch – zunächst bei Rind, dann auch bei Huhn, Schwein und Fisch. Für den US-Markt bedeute das einen Rückgang der Nachfrage bei Rinder-Erzeugnissen einschließlich Milchprodukten um 70 Prozent bis 2030 und um 80 bis 90 Prozent bis 2035.

Aufforstung frei werdender Flächen

Die Folgen wären weitreichend. Man bräuchte für dieselbe Menge an Fleisch viel weniger Tiere als heute. Dadurch würden die Treibhausgasemissionen aus Viehzucht und Landwirtschaft bis 2030 um 45 Prozent zurückgehen. Das entspricht einem Rückgang der globalen Emissionen um rund zehn Prozent.

Auch der Flächenverbrauch für Weideland und Futtermittelanbau würde stark abnehmen. Bezogen auf die USA, wo derzeit ein Viertel der Landesfläche dafür genutzt wird, wäre das ein Minus von 60 Prozent, kalkuliert die Studie. Das würde der sechsfachen Fläche Deutschlands entsprechen.

Auf diesen frei gewordenen Flächen könne man neue Wälder pflanzen oder auf andere Art Kohlenstoffsenken anlegen. Damit würde die Wahrscheinlichkeit steigen, dass die Erderhitzung im Rahmen der Limits bleibt, die im Pariser Klimaabkommen beschlossen wurden.

Zudem würde der Wasserverbrauch von Viehzucht und Landwirtschaft sinken – um die Hälfte bis 2030, um bis zu 75 Prozent bis 2035.

Vorteile sieht die Studie auch für die Verbraucher. Die durchschnittliche US-amerikanische Familie werde mehr als 1.200 Dollar im Jahr an Lebensmittelkosten sparen, kalkuliert der Report. Und die Bürger würden gesundheitlich profitieren, da Fleisch und Milch aus dem Labor keine Rückstände von Pestiziden und Antibiotika enthalten, wie es derzeit bei herkömmlichen Produkten der Fall ist.

Die Fleisch- und Molkereibranche indes würde massiv schrumpfen. Die Studie geht davon aus, dass sich ihre Umsätze mindestens halbieren, während sich die Produktionskosten in der konventionellen Landwirtschaft verdoppeln. Viele Unternehmen würden pleitegehen, Tausende Jobs wegfallen.

Der Branche würde es damit ähnlich gehen wie derzeit der fossilen Energiewirtschaft. Seitdem erneuerbare Energien immer kostengünstiger werden, geraten auf Kohle, Öl und Gas basierende Geschäftsmodelle immer stärker unter Druck. Auch der Fleischindustrie könnte das passieren.