"Um die globale Erwärmung zu begrenzen und die Pariser Klimaziele zu erreichen, muss die Menschheit die weltweiten CO2-Emissionen auf netto null senken" – so beginnt eine kürzlich in der Fachzeitschrift Nature Climate Change erschienene Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK).

Über diesen Satz herrscht wissenschaftlich und auch politisch überwältigende Einigkeit. Bei der Frage "Wie?" gehen die Meinungen allerdings auseinander. Eines der größten Streitthemen sind die sogenannten Biokraftstoffe.

 

Biodiesel und Bioethanol aus Getreide oder Speiseölen können ihre fossilen Pendants Diesel und Benzin ersetzen. Zwar wird auch bei ihrer Verbrennung CO2 freigesetzt, aber anders als bei fossilen Brennstoffen wurde dieses zuvor der Atmosphäre entzogen.

Deshalb gilt "Biosprit" als klimaneutrale Kraftstoffalternative und die Nachfrage wird künftig aller Voraussicht nach erheblich steigen. Allerdings hängt die Klimawirkung des Kraftstoffs von seiner Herstellung ab.

Umstritten ist die Bioenergie aufgrund ihrer indirekten Folgen. Im Vergleich zu anderen erneuerbaren Energien hat sie einen wesentlich höheren Flächenverbrauch. Die Autor:innen der Studie sehen durch die Ausweitung von Anbaugebieten natürliche Ökosysteme in Gefahr.

"Wird der Anbau von Bioenergiegräsern nicht strikt auf marginales oder brachliegendes Land beschränkt, könnte sich die Nahrungsmittelproduktion verlagern und landwirtschaftliche Flächen könnten sich zulasten natürlicher Flächen ausweiten", erklärte Leitautor Leon Merfort vom PIK."Dies würde zu erheblichen CO2-Emissionen führen, wenn in Regionen Wälder abgeholzt werden, wo die Landnutzung nur schwach oder gar nicht reguliert wird."

Es droht ein Teufelskreis

Ohne entsprechende Regulierung könnten Biokraftstoffe wegen der Abholzung für ihre Produktion sogar klimaschädlicher sein als herkömmlicher Diesel oder Benzin.

Biokraftstoffe – Umweltorganisationen sprechen von Agrokraftstoffen, weil es sich um Monokulturen und keineswegs um Biolandbau handelt – werden zu einem riesigen Markt heranwachsen. Die jährliche weltweite Nachfrage könnte bis Mitte des Jahrhunderts einen Umfang von mehreren hundert Milliarden US-Dollar erreichen. Der Agrarsektor wird versuchen, diese Chance zu nutzen.

In Deutschland werden dem Benzin zehn Prozent Bioethanol ("E10") beigemischt, das aus Weizen, Roggen oder Zuckerrüben gewonnen wird. (Bild: Mark Hochleitner/​Shutterstock)

Das sei eine enorme Herausforderung für die Politik, schreiben die Forschenden und warnen vor einem Teufelskreis. Da die Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft bisher nicht eingepreist werden, kann Bioenergie billig angeboten werden.

Um die Emissionen aus der Landwirtschaft zu kompensieren, muss der Energiesektor schneller aus fossilen Energieträgern aussteigen. Das wiederum erhöht die Nachfrage nach Biokraftstoffen.

Ein CO2-Preis, der auch für die Landwirtschaft und damit auch für Entwaldung gilt, ist laut den Autor:innen der effektivste Weg, um die klimaschädlichen Folgen der pflanzlichen Kraftstoffe zu vermeiden.

Bisher hat sich der Landwirtschaftssektor auch in der Europäischen Union erfolgreich gegen eine CO2-Bepreisung gewehrt. Beobachter:innen kritisieren seit Jahren, dass der Sektor mit klimapolitischen Samthandschuhen angefasst wird, trotz seines beträchtlichen Beitrags zum Klimawandel.

Brasiliens Regenwälder durch Agrokraftstoffe gefährdet

Schon ein Fünftel des CO2-Preises, der in der Energiewirtschaft gilt, würde in der Landwirtschaft mehr bewirken, als 90 Prozent aller weltweiten Wälder unter Schutz zu stellen, heißt es in der Studie. Denn selbst wenn 90 Prozent der Wälder unter Schutz stehen, bieten die verbleibenden zehn Prozent ein zu großes Schlupfloch.

Um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen – darauf hatte sich die Weltgemeinschaft 2015 in Paris geeinigt –, muss die Zerstörung der Wälder gestoppt werden. Darauf weist auch der aktuelle Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC hin.

Um die Klimawirkung der Bioenergie zu untersuchen, haben die Forschenden Energie- und Landsystemmodelle miteinander gekoppelt. Damit konnten sie verschiedene Transformationsszenarien durchspielen und Szenarien mit und ohne Bioenergie vergleichen.

So konnte das Team die Auswirkungen verschiedener politischer Rahmenbedingungen sowie die direkten und indirekten Folgen von Bioenergie durchrechnen.

In Europa steht man dem Kraftstoff auf Pflanzenbasis kritisch gegenüber. Er ist im Straßenverkehr nach wie vor auf sieben Prozent des Energieverbrauchs im Verkehr beschränkt. Ganz anders in anderen großen Volkswirtschaften wie den USA oder Brasilien. Dort werden bereits heute viele Milliarden Dollar in Agrokraftstoffe investiert.

Besonders in Brasilien gibt das Grund zur Sorge. Brasilien beherbergt die größte Fläche an tropischem Regenwald. Letztes Jahr ist der Wald aufgrund von Rodung und Waldbränden um 1,8 Millionen Hektar geschrumpft.

Weltweit ging 2022 eine Waldfläche von der Größe der Schweiz verloren.

Nachhaltigkeitsverordnung für Biokraftstoffe hat kaum Effekt

In Deutschland gilt eine Nachhaltigkeitsverordnung für Biokraftstoffe. Die Herstellung der verwendeten Biomasse muss nachweislich bestimmten Nachhaltigkeitskriterien genügen. Das hat aber nur wenig Nutzen, wie Modellierer und Mitautor Nico Bauer vom PIK erläutert.

Das zentrale Problem der Biokraftstoffe ist schließlich der Verdrängungseffekt. Wird zum Beispiel Getreide zur energetischen Nutzung angebaut, verdrängt das die Nahrungsmittelproduktion. Für die Nahrungsmittelproduktion gelten dann aber die Nachhaltigkeitskriterien der Verordnung nicht.

Schon ein relativ geringer CO2-Preis hätte hingegen einen substanziellen Effekt, so Bauer. Die Rodung von Wäldern wäre dann zu teuer, weil die Zusatzkosten des durch die Entwaldung freigesetzten CO2 mit in die ökonomischen Überlegungen einfließen.

Bauer: "Unsere Ergebnisse zeigen, dass Bioenergie mit vertretbaren Emissionen erzeugt werden könnte. Wenn aber die Regulierungslücke so weit offenbleibt, wird Bioenergie nicht Teil der Lösung auf dem Weg zur Klimaneutralität sein, sondern Teil des Problems."