Raps, Mais, Weizen: Seit über 15 Jahren landet an jeder Zapfsäule Kraftstoff aus Nahrungspflanzen mit im Autotank, gefördert von der Bundesregierung und der EU. Die Beimischung dieser Agrokraftstoffe zu fossilem Diesel und Benzin soll die Treibhausgasemissionen im Verkehr senken.
Das grüne Image bröckelt aber schon seit Langem: Da der Agrokraftstoff-Boom die Abholzung vor allem tropischer Wälder anheizt, hat die EU bereits vor Jahren die Mitgliedsstaaten angewiesen, die Förderung zu begrenzen.
Und die aktuelle globale Nahrungsmittelkrise erinnert auf erschütternde Weise daran, dass Essen, das wir hier als Sprit verbrennen, andernorts auf den Tellern von Menschen fehlt.
Dass wir trotzdem heute immer noch dieselben Pro-und-Kontra-Debatten zum Agrosprit führen wie vor zehn Jahren, liegt ganz wesentlich an den grob irreführenden Ökobilanzen: Die amtlichen Zahlen suggerieren einen Klimavorteil gegenüber fossilem Sprit.
Aber in dieser Bilanz klafft eine gewaltige Lücke: Es fehlt ein entscheidender Posten – der Flächenverbrauch. Rapsfelder, Getreideäcker sowie Palm- und Sojaplantagen für Kraftstoff verschlingen weltweit riesige Landflächen.
Auf 6,5 Prozent der deutschen Ackerfläche in Deutschland wachsen Pflanzen für Kraftstoff, rund um den Globus dienen über 1,2 Millionen Hektar – eine Fläche halb so groß wie Mecklenburg-Vorpommern – der Produktion von Agrosprit allein für deutsche Verbrenner-Autos.
Dieser Flächenverbrauch verursacht hohe Klimakosten: Auf dem für Agrosprit genutzten Land kann keine natürliche Vegetation mehr wachsen und CO2 speichern. Eine kürzlich veröffentlichte Studie des Ifeu-Instituts im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) hat diese sogenannten CO2-Opportunitätskosten von Agrokraftstoffen quantifiziert und gezeigt: Land zu renaturieren, statt es für die Produktion von Agrokraftstoff einzusetzen, würde viel mehr CO2 einsparen.
Berücksichtigt man den Flächenverbrauch, ist Agrokraftstoff noch klimaschädlicher als fossiler Kraftstoff.
Zusätzliche Intensivlandwirtschaft
Dass wir dem Agrosprit ganze Landstriche opfern, dient dem Klimaschutz also nicht, sondern schadet ihm. Dazu leiden auch noch Biodiversität und Ökosysteme unter der unnötigen zusätzlichen Intensivlandwirtschaft mit sterilen Monokulturen, Pestizid- und Düngereinsatz und intensiver Bodenbearbeitung.
Diese Tatsachen sind natürlich wenig erfreulich für die Agrokraftstoffindustrie, die auf staatliche Förderung ihrer Produkte angewiesen und nicht an einer ehrlichen Ökobilanzierung interessiert ist. Die Kritik des Agrokraftstoff-Lobbyverbandes VDB an der DUH-Studie ist entsprechend scharf formuliert, inhaltlich jedoch substanzlos.
Der Verweis auf die "Vorzüge" von Koppelprodukten des Agrosprits, insbesondere zur Nutzung als Futtermittel, ist ein altes Mantra der Agrokraftstofflobby.
Aber ein Missstand rechtfertigt nicht einen anderen. Unser derzeit gewaltiger Bedarf an Futtermitteln ist Folge einer viel zu stark auf Tierprodukte ausgerichteten Landwirtschaft, die selbst ein massives Klima-, Umwelt- und Gesundheitsproblem darstellt.
Der Flächenfraß für Agrosprit lässt sich nicht mit dem noch viel größeren Flächenfraß für Futtermittel legitimieren. Eine drastische Reduktion der Tierbestände ist zentraler Bestandteil des nötigen Umbaus der Landwirtschaft.
Sofern Rapsanbau dann noch zur Futtermittelproduktion erforderlich ist, lässt sich das Öl hervorragend als Speiseöl einsetzen. Es in Autotanks zu füllen und zu verbrennen, ist klimaschädlich und gerade angesichts der aktuellen globalen Nahrungsmittelkrise grotesk.
Ohnehin geht der Koppelprodukt-Einwand in Bezug auf die DUH-Studie komplett ins Leere: In der Analyse wurde der Anteil der Koppelprodukte herausgerechnet, sodass nur etwa 60 Prozent der tatsächlichen Anbauflächen von Raps und Getreide betrachtet werden. Und obwohl wir mit diesem konservativen Ansatz den wahren Flächenverbrauch deutlich unterschätzen, ist die Klimabilanz von Agrosprit klar negativ.
Die Herstellung nur bei E-Autos einbeziehen?
Die DUH-Studie zeigt auch, wie unglaublich ineffizient und verschwenderisch es ist, Energie aus eigens dafür kultivierten Pflanzen herzustellen. Die Erzeugung von Solarstrom für E-Autos benötigt für die gleiche Kilometerleistung 97 Prozent weniger Fläche als die Herstellung von Agrosprit für Verbrenner.
Dass Solaranlagen nicht 24 Stunden und sieben Tage die Woche Strom liefern, wie der VDB bemängelt, ändert an diesem gigantischen Effizienzvorsprung nichts. Der Punkt ist, dass sich erneuerbare Antriebsenergie für Fahrzeuge problemlos klimaschonend auf einem winzigen Bruchteil der Agrosprit-Anbauflächen produzieren lässt.
Sascha Müller-Kraenner
ist seit 2015 Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Der studierte Biologe ist seit über 30 Jahren umweltpolitisch aktiv und war zuvor für den Deutschen Naturschutzring, die Heinrich-Böll-Stiftung und die US-amerikanische Naturschutzorganisation The Nature Conservancy in leitenden Positionen tätig.
Der Vergleich mit Photovoltaik ist dabei noch maximal günstig für den Agrosprit – Windenergie ist nochmals flächeneffizienter.
Ziemlich verzweifelt wirkt die Behauptung des VDB, die DUH-Studie habe beim Vergleich von Agrosprit und Elektromobilität die Emissionen aus Produktion und Wartung von E-Autos unterschlagen. Bezöge man diese ein, müsste man selbstverständlich auf der anderen Seite auch die Emissionen aus der Herstellung der Verbrenner einrechnen – die bestehen ja auch nicht aus Luft und Liebe.
Dass ein solcher Vergleich der Lebenszyklusemissionen von Verbrenner- und Elektrofahrzeug schon beim heutigen Strommix – und erst recht bei Nutzung von Solarstrom – zugunsten des E-Fahrzeugs ausfällt, ist hinlänglich bekannt und steht unter anderem als "Zentrales Ergebnis 1" auf Seite 3 der vom VDB selbst angeführten Studie "Klimabilanz von E-Fahrzeugen".
Es geht um Renaturierung, nicht um Aufforstung
Ein Ausstieg aus der Nutzung von Agrosprit in Deutschland – und erst recht EU-weit – reduziert den Flächenverbrauch, sodass an geeigneten Stellen Land an die Natur zurückgegeben werden kann.
Dabei geht es nicht um Aufforstung, wie der VDB unterstellt, sondern darum, menschliche Eingriffe möglichst einzustellen und den Wiederaufwuchs der natürlichen Vegetation zuzulassen. Dieser Ansatz von Renaturierung oder Rewilding ermöglicht die Regeneration von Ökosystemen, die an lokale Gegebenheiten angepasst und entsprechend resilient sind.
Die Potenziale sind vorhanden: Für Deutschland hat der Naturschutzbund Nabu im vergangenen Jahr gezeigt, dass auf mehr als 20 Prozent der Landesfläche ein erhebliches Renaturierungspotenzial besteht. Und abgeholzte Tropenwaldflächen haben nach jüngsten Untersuchungen eine enorme Regenerationsfähigkeit bereits innerhalb von 20 Jahren ohne menschliche Eingriffe.
Dass die CO2-Speicherung in natürlichen Ökosystemen unter anderem aufgrund der Erderhitzung Schwankungen unterliegt, ist ein Argument für mehr Renaturierung – nicht dagegen. Es ist zynisch, dass der VDB die Auswirkungen der Klimakrise als Argument gegen dringend nötige Klimaschutzmaßnahmen anführt.
Renaturierungsmaßnahmen zahlen unmittelbar auf die Klimaziele ein: Das Klimaschutzgesetz schreibt für 2030 verbindliche Treibhausgaseinsparungen im Landnutzungssektor vor, die ohne massive Maßnahmen zur Stärkung natürlicher CO2-Senken völlig unerreichbar sein werden.
Nahrungsmittel als Sprit zu verbrennen ist der sicherste Weg, Klimakrise, Artensterben und Lebensmittelknappheit gleichzeitig zu befeuern, und darf nicht länger auch noch staatlich gefördert werden.
Das Umweltbundesamt stuft seit jeher die Förderung von Agrosprit als klimaschädliche Subvention ein. Statt auf dem Papier mit Agrosprit die Emissionen des Verkehrs kleinzurechnen, muss die Bundesregierung eine grundlegende Mobilitätswende und den raschen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor vorantreiben.
Pro: "Raps als Energiepflanze zu bezeichnen, ist irreführend" von Elmar Baumann vom Verband der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB)