Es wäre ein hoher Preis, wenn der Klimawandel gebremst würde, dafür aber bis zu 160 Millionen Menschen mehr auf der Welt hungern müssten. Nach Ansicht eines internationalen Forscherteams um den Japaner Shinichiro Fujimori vom Institut für Umweltstudien der Universität Kyoto könnte aber genau das passieren – wenn im Kampf gegen die globale Erwärmung die Konsequenzen für die weltweite Versorgung mit Lebensmitteln nicht berücksichtigt werden.
Die Gruppe, zu der auch Wissenschaftler aus Deutschland und Österreich zählen, hat untersucht, wie sich mögliche Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels auf den Hunger in der Welt auswirken könnten. Ihre Studie wurde jetzt im Fachmagazin Nature Sustainability veröffentlicht.
Etwa 820 Millionen Menschen leiden unter Hunger, elf Prozent der Weltbevölkerung; eine erschreckende Zahl, und doch sind es weit weniger als noch vor 30 Jahren. Nach Angaben der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, ist die Zahl der Hungernden zwischen 1990 und 2015 um mehr als 200 Millionen gesunken – allerdings steigt sie seitdem wieder an. Jedes Jahr sterben neun Millionen Menschen an Hunger, mehr als an Malaria, Tuberkulose und Aids zusammen.
Besonders betroffen sind Länder in Afrika südlich der Sahara und in Südasien, aber auch in vielen Regionen Lateinamerikas ist die Situation dramatisch. Hunger ist meistens eine Folge von Armut, häufig trifft es Menschen in ländlichen Regionen, rund die Hälfte der Hungernden arbeitet als Kleinbauern und Viehzüchter, die sich selbst versorgen.
Der Klimawandel gilt als ein wesentlicher Treiber des Hungers, weil Dürren oder Überschwemmungen den Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Die Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen befürchtet, dass durch die Erderwärmung Hunger und Kinder-Mangelernährung bis 2050 um bis zu 20 Prozent zunehmen werden.
CO2-Preis könnte auch Lebensmittelpreise treiben
Da klingt es zunächst paradox, dass ausgerechnet Maßnahmen gegen den Klimawandel den Kampf gegen den Hunger konterkarieren könnten. Die Umweltforscher um Shinichiro Fujimori sehen vor allem zwei Faktoren, die zwar die Emissionen von Treibhausgasen verringern, zugleich aber die Lebensmittelpreise steigen lassen und damit die Versorgung vieler Menschen mit Nahrung erschweren würden.
Zum einen wäre das ein steigender CO2-Preis durch eine Besteuerung. Das kann sich deshalb auf die Lebensmittelpreise auswirken, weil geschätzt rund ein Viertel der Treibhausgase auf das Konto von Ernährung und Landnutzung geht.
Zum anderen könne sich die Konkurrenz um Anbauflächen verschärfen – wenn auf Feldern und Äckern Pflanzen zur Gewinnung von Bioenergie anstelle von Getreide und Gemüse für die Produktion von Nahrungsmitteln angebaut würden. Und auch die Wiederaufforstung landwirtschaftlich genutzter Flächen – sinnvoll, um Treibhausgase aus der Atmosphäre zu ziehen – könnte nach Einschätzung der Forscher die Versorgung mit Lebensmitteln gefährden.
Ein Dilemma ohne Ausweg? Ganz so schlimm bewerten die Autoren die Situation nicht: Mit zusätzlichen Investitionen seien die negativen Effekte abzufedern. Sie errechneten, dass dafür 0,18 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts nötig wären. Dieses wird für 2018 auf 84.700 Milliarden US-Dollar geschätzt. Das Geld könnte in konkrete Projekte zur Nahrungsmittelhilfe und in Agrarsubventionen fließen, um die Preise für Lebensmittel zu senken, schlagen die Forscher vor.
"Arten- und Bodenschutz kommen unter die Räder"
Was sagen andere Wissenschaftler zu diesen Ergebnissen? Für Elke Stehfest, Biologin und Klimaexpertin der niederländischen Umweltagentur PBL, macht die Studie "sichtbar, was in fast allen Klimaszenarien bislang unsichtbar blieb: Wenn die Landwirtschaft ohne Beschränkungen und flankierende Maßnahmen in das globale Emissions-Minderungssystem einbezogen wird, kann das erhebliche Nebenwirkungen haben."
Forscherin Stehfest fürchtet zudem, dass der Anbau für Bioenergie sich vor allem dort konzentrieren wird, wo es am billigsten ist: "Und das auch in den ärmsten Regionen, unter anderem Afrika." Die Forscherin geht davon aus, dass die negativen Effekte auf die Bevölkerung überwiegen werden. Dies mit Subventionen und Hilfszahlungen abzumildern, erscheint ihr als "unrealistisch".
Der Physiker Felix Creutzig, Landnutzungsexperte am Klimaforschungsinstitut MCC in Berlin, sieht eine Möglichkeit darin, beim Klimaschutz statt auf Bioenergie stärker auf Solar- und Windenergie sowie auf neue Techniken wie die Bindung von CO2 aus der Luft zu setzen. Zudem sollte auf Nahrungsmittel wie Rindfleisch, deren Produktion viel Treibhausgas freisetzt, verzichtet werden.
Grundsätzlich ist Creutzig aber der Ansicht, dass die Auswirkungen des Klimawandels auf Hunger und Mangelernährung stärker sind als die der Klimapolitik. Gleichwohl müsse letztere mit einer "global und lokal gerechteren Verteilung des Zugangs zu Ressourcen" einhergehen.
Nach Ansicht von Hannes Böttcher, Energie- und Klimaschutzexperte am Öko-Institut, macht die Studie vor allem eines deutlich: Priorität im Klimaschutz muss das Herunterfahren der fossilen Emissionen haben. Denn wenn die Nutzung von Land als Ausgleich für verfehlte Klimapolitik in anderen Bereichen herhalten müsse, drohten andere Ziele wie die Bekämpfung von Hunger, der Schutz der Biodiversität oder die Schonung des Bodens unter die Räder zu geraten.