Windrad, von unten gesehen
Damit die Stromversorgung in Deutschland klimaneutral wird, muss vor allem Windkraft – wie hier im Bild –, aber auch Solarenergie viel schneller ausgebaut werden. (Foto: Simon Steinberger/​Pixabay)

Der Klimaschutz muss beschleunigt werden. Doch wie – das ist ein Knackpunkt bei den Koalitionssondierungen in Berlin. Ein soeben vorgelegtes Szenario für ein CO2-freies, auf Öko-Energien basiertes Stromsystem in Deutschland könnte einen Konsens in diesem Sektor befördern. Danach wäre der Kohleausstieg bereits 2030 statt wie bisher geplant 2038 und völlige Klimaneutralität 2040 erreicht – und das bei geringeren Stromkosten als im fossilen System.

Der finnische Technologiekonzern Wärtsilä hat im Vorfeld des UN-Klimagipfels in Glasgow den Report "Front-Loading Net Zero" (Schneller zur Netto-Null) vorgelegt, in dem der kostenoptimale Weg zu netto null Treibhausgasen im Stromsektor für drei sehr unterschiedliche Volkswirtschaften modelliert wird – für Deutschland, Kalifornien und Indien.

Ergebnis: Die Beschleunigung des Umstiegs auf Öko-Energien sowie effiziente Speicher- und Flexibilisierungslösungen senkt die Stromerzeugungskosten spürbar. Im Falle Indiens sind es bis 2040 sogar rund 50 Prozent, für Kalifornien ergeben sich 17, für Deutschland acht Prozent Ersparnis.

Laut dem Szenario kann Deutschland bis 2030 sowohl die Atomkraftwerke, von denen die letzten laut Ausstiegsplan Ende 2022 abgeschaltet werden, als auch die Kohlekraftwerke durch erneuerbare Energien ersetzen. Beide Quellen lieferten 2020 zusammen noch fast 37 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms. Nach 2030 würde auch die Nutzung von Erdgas auslaufen, dessen Anteil im Vorjahr zwölf Prozent betrug.

Die Investitionskosten liegen bei diesem schnelleren Übergang zu 100 Prozent Ökostrom höher als bei einem Zieljahr 2045, in dem in Deutschland generell die Netto-Null erreicht sein soll. Das werde jedoch durch Einsparungen kompensiert, etwa weil Brennstoffkosten bei den fossilen Kraftwerken schneller sinken und Kosten für CO2-Zertifikate wegfallen, so die Untersuchung. "Je schneller der Umstieg vollzogen wird, desto niedriger fallen die Stromgesamtkosten aus", so Wärtsilä.

"Deutschland hat die Technologien"

Klar ist aber auch: Für den 2040er Horizont ist es notwendig, die Kapazitäten für Wind- und Solarenergie, aber auch für flexible Gaskraftwerke, die in "Dunkelflauten" die Stromversorgung sichern können, viel schneller auszubauen, als das unter den Merkel-Regierungen vor allem seit 2010 der Fall war. Bereits 2031, also in zehn Jahren, müsse sie um 80 Prozent höher liegen als 2020. Mittel- und langfristig würden die Gasanlagen statt mit Erdgas mit Synthesegas betrieben werden, das mit Ökostrom hergestellt wird.

Der forcierte Umbau des Sektors würde Deutschlands Klimabilanz der Studie zufolge schnell verbessern, vor allem durch den schnelleren Kohleausstieg. Bis 2040 könne Deutschland seinen CO2-Jahresausstoß um 422 Millionen Tonnen senken, was 57 Prozent seiner Gesamtemissionen im Jahr 2020 entspricht. Weitere 77 Millionen Tonnen CO2-Emissionen im Ausland würden vermieden. Grund: Die Bundesrepublik müsste dank höherer eigener Stromkapazitäten weniger Elektrizität importieren.

Der Konzern resümiert, dass "ein höheres Tempo beim Ausbau erneuerbarer Energien die Stromkosten nicht in die Höhe treibt, sondern sie im Vergleich zum aktuellen Kostenniveau sogar reduzieren kann".

Deutschland müsse zwar einen "Quantensprung" beim Umbau des Energiesystems machen, sagte der Wärtsilä-Manager und Mitautor des Reports Jan Andersson. Die Analyse vermittle jedoch eine klare Botschaft: "Deutschland hat die Technologien, um den Kohleausstieg mit Vehemenz voranzutreiben. Und die Stromkunden werden dabei nicht mehr bezahlen müssen."

Der Energieexperte Christian Breyer bewertet die Wärtsilä-Studie positiv. Der Professor an der Technischen Universität Lappeenranta in Finnland sagte, der Bericht zeige sehr deutlich, was durch den Übergang von konventionellen zu 100 Prozent erneuerbaren Energien nicht nur CO2, sondern auch Kosten gespart werden könnten.

Auch vor Strommangel oder Blackouts müsse man keine Angst haben, so Breyer. Die heute bereits verfügbaren Technologien böten "die Flexibilität und schnelle Reaktionszeit, die für den Ausgleich erneuerbarer Energien erforderlich sind".

Der Konzern Wärtsilä bietet Technologien für den Energie- und Schifffahrtssektor an, er hat rund 200 Standorte in über 70 Ländern und 18.000 Beschäftigte. Nettoumsatz 2020: 4,6 Milliarden Euro.

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