Porträtaufnahme von Jens Mühlhaus.
Jens Mühlhaus. (Foto: Tobias Hase)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Jens Mühlhaus, Vorstand beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Green City AG.

Klimareporter°: Herr Mühlhaus, zwei Tage vor der heutigen Bundestagswahl hatte die Klimabewegung zu einem großen Streiktag aufgerufen. Meinen Sie, dass sich das noch irgendwie auf das Wahlergebnis auswirkt?

Jens Mühlhaus: Ich glaube ja, und es waren richtig viele Menschen auf der Straße, vor allem auch wieder sehr viele junge Leute. Der Druck von der Straße kann auf den letzten Metern viele Wähler:innen, die noch unentschieden sind, durchaus dazu bewegen, die Bundestagswahl als eine richtungsweisende Klimawahl zu begreifen.

Darum sind wir auch als Unternehmen mit unseren Mitarbeiter:innen zum Klimastreik gegangen, um dazu beizutragen, dass die Botschaft so kurz vor dieser richtungsweisenden Wahl so deutlich wie möglich wird. Auch eine von Olaf Scholz oder Armin Laschet geführte Bundesregierung wird eine Klimapolitik machen müssen, die deutlich ambitionierter ist als das, was in ihren traurigen Wahlprogrammen steht.

Letztendlich ist ein toter Planet für die Wirtschaft auch keine profitable Arbeitsgrundlage. Manchmal frage ich mich, was daran so schwer zu verstehen ist. Wenn ich es pointiert formulieren soll, ist es doch so – wir stehen an einem Punkt der Triage für den ganzen Planeten. Und die nächste Dekade entscheidet darüber, wohin die Reise geht.

Ich würde mir wünschen, dass von dem globalen Klimastreik ein Gefühl der Verantwortung durch die deutschen Wahlkabinen schwappt und sich dies auch im Wahlergebnis widerspiegelt.

Auf den Trend zur Eigenversorgung brauchen wir dringend eine energiewirtschaftliche Antwort, mahnt Thorsten Müller, Chef der Stiftung Umweltenergierecht. Das derzeitige Netzsystem sei "nicht gottgegeben". Er plädiert auch dafür, die Netzinfrastruktur auf neuer Grundlage zu finanzieren. Wie kann Ihrer Ansicht nach der Vor-Ort-Energie neues Leben eingehaucht werden?

Strom ist erstmal ein sehr abstraktes Produkt, bei dem es den meisten Menschen nicht in den Sinn kommt, es selbst herzustellen. Unsere Gesellschaft hat Jahrzehnte einer Entwicklung hinter sich, in der die Konsumenten sich immer weiter vom Ursprung seiner Konsumgüter entfernt haben.

Ganz plastisch sehen wir das in der Lebensmittelbranche, wo völlig durchindustrialisierte Produkte in den Regalen stehen, sei es das Stück Fleisch oder die Tütensuppe. Aber der Trend, wieder näher an die Erzeugung zu rücken, wissen zu wollen, wo etwas herkommt, der wird immer mehr zum Mainstream. Und das ist gut so!

Beim Strom ist es so, dass gerade die Solarenergie uns allen die Möglichkeit gibt, selbst Energieerzeuger zu werden, ohne promovierte Elektroingenieure sein zu müssen. Solarmodul an den Balkon hängen, einstecken, fertig. Die Energiewirtschaft hat das im Schulterschluss mit konservativer Energiepolitik als Gefahr gesehen, schließlich hatte sie ja ein Monopol auf die Erzeugung und Verteilung eines Stoffs, der für ein modernes Leben unabdingbar ist.

Doch das löst sich immer mehr auf. Das Bedürfnis nach Stromautonomie wird nicht mehr zu brechen sein, Strom selbst zu machen und damit auch noch mobil zu sein, ist einfach viel zu cool.

Im Hinblick auf die Verteilung von Strom wird es spannend. Natürlich ist keinem geholfen, wenn sich Haushalte mit Solaranlage und Speicher selbst versorgen und sich vom System abkapseln. Die politische Aufgabe ist es, Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die privaten Mikro-Energiesysteme, dazu zählt für mich auch das Elektroauto, systemdienlich arbeiten, also wichtige Funktionen im Verbund übernehmen.

Die Energiewende funktioniert nur, wenn tausende Solaranlagen und tausende Speicher die natürliche Fluktuation der erneuerbaren Energien ausgleichen helfen. Dazu braucht es das Netz. Künstliche gesetzliche Hürden aus der fossilen Steinzeit müssen abgebaut und neue Finanzierungsmodelle für die Bereitstellung einer funktionierenden Verteilstruktur geschaffen werden.

Die neue Bundesregierung steht auch hier vor großen Aufgaben, damit aus dem Wunsch nach Stromautonomie kein Trend zur Autarkie wird.

Auch in Deutschland beschleunigt sich der Klimawandel. Die Erwärmung hat gegenüber der vorindustriellen Zeit hierzulande schon zwei Grad erreicht. Die Zahl heißer Tage über 30 Grad könnte bei weiter ungebremstem CO2-Ausstoß bis ungefähr zur Jahrhundertmitte um fünf bis zehn pro Jahr zunehmen, im Süden Deutschlands sogar um zehn bis 20. Interessiert sich ein Unternehmen wie Green City für solche Hitze-Prognosen?

Die klimatologischen Entwicklungen beobachten wir, wie sehr viele andere Menschen auch, mit großer Sorge. Für uns als Unternehmen ist die Klimakrise seit Anbeginn ein Motivator.

Wir wissen heute mit absoluter Sicherheit, dass die Klimaerwärmung unseren Planeten im schlimmsten Fall in großen Teilen unbewohnbar machen wird. Doch wir wissen auch, was zu tun ist, um dieses Szenario abzuwenden. Das mit Abstand effektivste Mittel, um die Klimakrise zu lösen und den Kollaps unserer Ökosysteme zu verhindern, ist Ökostrom.

Strom aus erneuerbaren Quellen ist eine universelle, sofort verfügbare, kostengünstige und beliebig skalierbare Energiequelle, die kohlenstoffbasierte Energieträger, die Hauptverursacher von Kohlendioxidemissionen, in allen Lebensbereichen überflüssig macht.

Ökostrom ist der Wirkstoff gegen die Klimakrise. Und wir sind mit unseren Anlagen Produzent. Durch unsere Kapitalanlagen können sich alle Menschen an der Wirkstoffproduktion gegen die Klimakrise beteiligen. Anders gesagt: Wir haben als Weltgemeinschaft die Lösung zur Klimakrise in der Hand. Und das stimmt mich hoffnungsvoll.

In Tübingen sollen Anwohner mit Auto künftig 120 Euro Parkgebühren im Jahr zahlen. Für Autos mit Verbrennungsmotor, die mehr als 1,8 Tonnen wiegen, und für Elektroautos mit mehr als zwei Tonnen werden 180 Euro fällig. Mit den Einnahmen soll eine Absenkung der Bustarife finanziert werden. Wäre das nicht auch eine gute Idee für andere Städte wie München?

Natürlich. In Bayern hat jedoch die CSU-Staatsregierung die schon im vergangenen Jahr per Gesetzesänderung vom Bund erhaltene Hoheit über die Gebührenordnung für das Anwohnerparken noch nicht an die Kommunen übertragen.

Insofern hat München, Stand heute, nach meinem Wissen noch gar nicht die Möglichkeit, diesen sinnvollen Schritt zu gehen. Damit ist wohl frühestens Ende des Jahres zu rechnen. Ich bin gespannt, was für einen Vorschlag das Mobilitätsreferat dann einbringen wird.

Derzeit bezahlen Autofahrer 30 Euro für rund 15 Quadratmeter öffentlichen Raum, auf dem das Auto zu 95 Prozent seiner Zeit abgestellt ist. Das sind 17 Cent pro Quadratmeter im Monat, das muss man sich mal vorstellen!

Letztendlich geht es aber um mehr als um die Höhe einer Gebühr, es geht darum, wem der öffentliche Raum gehört. Hier braucht es ohne Zweifel eine Umverteilung: weg vom motorisierten Individualverkehr, hin zu mehr Rad- und Fußwegen und Grünflächen. Das wird der große Konflikt in den nächsten zehn Jahren.

Dass es notwendig ist, Lösungen zu finden, ist augenfällig. Gerade München ist mit fast 50 Prozent die am stärksten versiegelte Stadt Deutschlands. Der klimagerechte Umbau kostet jedoch Geld. Parkplatzgebühren sind also ein wichtiges Instrument, um zumindest einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die bisher fast kostenlose Nutzung von öffentlichem Raum zu schaffen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Ich war gerade auf der Windmesse in Husum und mich hat die positive Aufbruchstimmung in der Branche nicht wirklich überrascht, aber sehr positiv gestimmt. Im Grunde ist uns allen klar, dass der massive Zubau von Erneuerbare-Energien-Anlagen, ob die neue Bundesregierung will oder nicht, kommen wird.

Wir stehen vor einem Wachstumssprung, gerade auch was Hybridanlagen angeht. Die 2020er-Jahre werden das Jahrzehnt der Erneuerbaren, und das ist eine gute Nachricht.

Fragen: Jörg Staude

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