Ein Thermometer zeigt hohe Werte über 35 Grad.
Hitzetage haben schon stark zugenommen, aber das geht noch weiter. (Foto: Martin Prague/​Shutterstock)

Schaut man auf die vorindustrielle Zeit zurück, hat Deutschland das Zwei-Grad-Limit eigentlich schon erreicht. Laut einem heute veröffentlichten Faktenpapier des Deutschen Wetterdienstes (DWD) war der Zeitraum von 2011 bis 2020 bereits um rund zwei Grad Celsius wärmer als die Jahre von 1881 bis 1910.

Die Temperaturen in Deutschland sind damit deutlich stärker gestiegen als im weltweiten Schnitt. Dieser liegt bei 1,1 bis 1,2 Grad. Der Unterschied illustriert, wie stark die Ozeane noch immer einen Großteil der zusätzlichen Wärme aufnehmen.

DWD-Vorstand Tobias Fuchs, zuständig für Klima und Umwelt, bezifferte vor dem heute beginnenden Extremwetterkongress in Hamburg den Temperaturanstieg seit 1881 in Deutschland erneut auf 1,6 Grad. Diese Angabe ist auch noch in dem im Juni letzten Jahres veröffentlichten Nationalen Klimareport des DWD zu finden.

Fuchs erklärte die unterschiedlichen Angaben damit, dass die 1,6 Grad auf sogenannte Trendanalysen zurückgehen. Der Vergleich zum Ende des 19. Jahrhunderts ergebe hingegen einen Anstieg von 1,9 bis 2,0 Grad. Das sei eine rein methodische Frage.

Zumindest im Faktenpapier folgt der DWD damit aber jetzt der schon im Oktober vergangenen Jahres vom renommierten Klimaforscher Stefan Rahmstorf vertretenen Ansicht, dass die mittleren Temperaturen in Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert bereits um volle zwei Grad angestiegen sind.

Einigkeit gibt es offenbar darüber, dass sich das Tempo der Erwärmung beschleunigt. Über den Gesamtzeitraum von 1881 bis 2020 wurde es laut DWD in Deutschland im Mittel um 0,12 Grad pro Jahrzehnt wärmer, in den letzten 50 Jahren seit 1971 lag die Erwärmungsrate mit 0,38 Grad pro Jahrzehnt aber mehr als dreimal so hoch.

Immer mehr heiße Tage

DWD-Vorstand Fuchs erwähnte zum heutigen Auftakt des Kongresses aber auch die gute Nachricht, es gebe noch die Chance, die Folgen der Klimaveränderung zumindest zu "dämpfen". Das erfordere aber, jetzt sofort umzusteuern.

Nur mit ausreichendem Klimaschutz könne verhindert werden, dass sich Wetterextreme weiter ungebremst verschärften, sagte Fuchs. Zugleich ließen sich nur mit frühzeitiger Anpassung die Auswirkungen des Klimawandels eingrenzen. Deutschland müsse auch in 50 Jahren ein Land sein, in dem man "ganzjährig und gesund leben kann".

Der DWD-Vorstand listete eine Reihe heute schon feststellbarer Wetterextreme auf, die durch den Klimawandel verstärkt werden:

  • Die Zahl heißer Tage mit einer Höchsttemperatur von 30 Grad und mehr stieg seit den 1950er Jahren von jährlich drei auf neun.
  • Die Zahl solcher heißen Tage könnte bei weiter ungebremstem CO2-Ausstoß bis zum Zeitraum 2031 bis 2060 im Norden Deutschlands um fünf bis zehn pro Jahr zunehmen, im Süden um zehn bis 20.
  • Die Zahl der Tage mit hohem bis sehr hohem Waldbrandrisiko lag im Zeitraum von 1961 bis 1990 bei etwa 27, im Zeitraum von 1981 bis 2010 bei 33 und von 1991 bis 2020 sogar bei 38.
  • Besonders im Sommer nimmt die Zahl aufeinanderfolgender Trockentage zu. Das führt zu immer höheren Wasserdefiziten in den Böden.
  • Nur unwesentlich verändert hat sich im Zeitraum von 1951 bis 2020 die Zahl der Tage mit Niederschlägen von mehr als 20 Litern je Quadratmeter. Für Starkregenereignisse gibt es aber noch zu wenig belastbare Messungen, weil der dazu dienende Regenradar erst seit 2001 aktiv ist. Derzeit lässt sich laut DWD nur für einige Regionen feststellen, dass sich dort eine Zunahme von Starkregen andeutet.
  • Der Meeresspiegel an Nord- und Ostsee ist in den letzten hundert Jahren um 15 bis 20 Zentimeter gestiegen.

"Ermüdende" mediale Apokalypse

Zum Kongressauftakt fragte sich Sven Plöger, Meteorologe und Fernsehmoderator, warum trotz all der seit 40 Jahren bekannten wissenschaftlichen Fakten ein "kleiner Teil" der Bevölkerung konsequent den Zusammenhang zum menschengemachten Klimawandel negiere.

Am häufigsten werde ihm derzeit die Frage gestellt, berichtete Plöger, ob es noch möglich sei, umzusteuern. Nach seinem Eindruck äußern sich darin auch eine Art Mutlosigkeit und Angst. Die Menschen seien besorgt.

Das merke er auch an den Zuschriften der Zuschauer, die meist von Männern über 65 stammten. Diese fragten sich, ob nun ihr mühsam errungener Wohlstand verloren geht, wenn sich wegen des Klimaschutzes so viele Dinge ändern müssen. Diese Angst könne lähmen.

Plöger stellte in dem Zusammenhang die Frage, ob es richtig sein könne, in den Medien immer stärker die Apokalypse an die Wand zu malen und das Extremste nach vorn zu stellen. So werde die Angst eher noch befördert und die Menschen könnten möglicherweise nicht für das gemeinsame Ziel gewonnen werden.

Als Alternative schwebt Plöger allerdings auch nur vor, stärker "positiv" zu kommunizieren und die Chancen deutlich zu machen. Man könne zeigen, wo auf der Welt es "tolle" praktische Beispiele gebe, etwa Start-ups, die "fantastische" Dinge machten. Sich den ganzen Tag zu erzählen, wie schlimm es werde, sei dagegen "sehr, sehr ermüdend".

Gleichzeitig beklagte Plöger aber auch unzureichende politische Rahmenbedingungen. Derzeit sei die Welt in einem Zustand, wo eine Person, die die Umwelt verschmutzt, reicher werden könne als eine, die sie sauber hält. Solange sich daran nichts ändere, seien keine grundsätzlichen Erfolge möglich.

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