Junge Männer stehen um eine Kleinstwasserkraftwerksturbine herum, nachdem sie die Kiste geöffnet haben.
Für Kleinst-Wasserkraft wie hier in Kamerun macht das Forum Umwelt und Entwicklung eine Ausnahme. (Foto: Ingenieure ohne Grenzen)

Mitte letzten Jahres war die deutsche Wasserkraftbranche in hellem Aufruhr. Der Entwurf des sogenannten "Osterpakets" aus dem Wirtschaftsministerium sah vor, kleineren Wasserkraftwerken unter 500 Kilowatt die EEG-Förderung zu streichen – aus "ökologischen Gründen", wie es im Gesetzentwurf zu Sofortmaßnahmen für einen beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien hieß.

Im endgültigen Gesetzespapier, das der Bundestag dann Anfang Juli beschloss, wurde die Bundesregierung aufgefordert, ein Ausbauziel für die Stromerzeugung aus Wasserkraft für das Jahr 2030 zu entwickeln. Des Weiteren sollten Betreiber kleinerer Wasserkraftwerke dabei unterstützt werden, ökologisch schädliche Querbauwerke abzubauen.

Dass die Ampel-Koalition bei der "kleinen Wasserkraft" am Ende praktisch das Gegenteil beschloss, resultierte aus einem monatelangen Lobbydruck, besonders aus Bayern. An die Wand gemalt wurde dabei das langfristige Aus für viele Anlagen, falls es bei der Streichung der EEG-Förderung bleibe. Das sei schlecht für Umwelt und Klima.

Umweltschützer Sebastian Schönauer vom BUND-Arbeitskreis Wasser sieht das ganz anders. Wasserkraft werde seit Jahrzehnten fälschlicherweise als regenerative Energiequelle gepriesen.

Der politische Rückzieher bei der EEG-Förderung sei nur ein Beispiel für ein immerwährendes politisches Desaster, das sich bei den Flüssen abspiele, erklärte der BUND-Experte am Dienstag bei einem Pressegespräch in Berlin. Dort stellte das Forum Umwelt und Entwicklung, ein zivilgesellschaftliches Bündnis, ein Positionspapier zum "Irrweg Wasserkraft" vor – einen Tag bevor am heutigen Mittwoch das Kabinett eine Nationale Wasserstrategie verabschieden will.

Laut dem Papier der Umweltschützer liegen die Überlebenschancen für Fische in einem Fluss mit mehreren Staustufen in der Regel bei fünf bis zehn Prozent. Die meisten Fischtreppen oder anderen Anlagen, die die Fischmigration gewährleisten sollen, funktionierten nur mangelhaft. "Bei einigen Fischarten, insbesondere Kieslaichern, kommt es dadurch zu einer artbedrohenden Dezimation der Population um 90 Prozent", warnt das Papier.

Ein Hauptproblem in Deutschland ist für Schönauer dabei die Ignoranz gegenüber der EU-Wasserrahmenrichtlinie, die eine fischbiologische Durchgängigkeit fordert – für die Flüsse und auch für Sedimente. Heutige Flüsse in Deutschland erinnern den Umweltexperten eher an eine "Kette von Stauseen".

Zudem lebten in vielen Bereichen dieser "Stauseen-Kette" praktisch keine Naturfische mehr, sondern, wie es Schönauer überspitzt ausdrückte, "eine Aquakultur". Denn der Fischbestand beruht nach seiner Erfahrung größtenteils auf Besatz aus der Aufzucht.

Klima-Stresstest für Wasserkraftwerke gefordert

Auch für Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung bestimmt sich die kleine Wasserkraft nicht aus dem Gegensatz zu den viel kritisierten Megastaudämmen als "klein aber fein". Vielmehr richteten auch die Kleinanlagen Schäden an, während sie zur Energieversorgung nur im Promillebereich beitrügen.

"Der Mythos von der klimafreundlichen Wasserkraft muss hinterfragt werden", erklärte Maier. Das passiere gegenwärtig kaum, weil in Deutschland in der Energiekrise die Ideologie vorherrsche, jedes Kilowatt sei ein gutes Kilowatt – Hauptsache, es werde nicht aus Atomkraft, Kohle oder "Russengas" hergestellt.

Dabei werde gerade international immer deutlicher, dass die Wasserkraft nicht klimafreundlich sei, betonte Heike Drillisch vom Verein Gegenströmung. Die Initiative befasst sich kritisch mit den Folgen von Großstaudämmen im globalen Süden.

Vor allem bei neuen Dämmen entsteht durch die Verrottungsprozesse unter Wasser Methan, erläuterte Drillisch. Die Menge hänge dabei von diversen Faktoren ab. Dennoch lautet ihr Fazit: "Viele Wasserkraftwerke sind regelrechte Methanfabriken."

Das Positionspapier zitiert dazu Schätzungen, nach denen alle Staudämme der Welt zusammengenommen ungefähr die gleiche Menge anthropogener Treibhausgase ausstoßen wie Deutschland.

Gerade der Klimawandel macht es für Drillisch notwendig, neu über die Wasserkraft nachzudenken. Zum einen häuften sich weltweit Fälle, wo es in Ländern mit einem hohen Anteil von Strom aus Wasserkraft zu Stromausfällen kommt. Als Beispiele nannte sie Malawi, Brasilien und Paraguay, aber auch Spanien und die USA.

Zum anderen führten Wetterextreme wie Starkregen zu enormen Belastungen der Staudämme, warnte Drillisch. Dämme drohten zu brechen oder müssten Notablassungen vornehmen. "Eigentlich müssten alle Staudämme einen Klima-Stresstest machen."

Die Aktivistin machte in dem Zusammenhang darauf aufmerksam, dass unter dem Schlagwort "grüner Wasserstoff" alte Wasserkraftprojekte, die schon ad acta gelegt worden waren, wieder auf den Tisch kommen. Die Hoffnung der Investoren beruhe dabei auf den großen Mengen Wasserkraftstrom und der gleichzeitigen Verfügbarkeit von Wasser für die sehr wasserintensive Wasserstoffherstellung. Beispiele sind laut Drillisch der Weiterbau des Megakomplexes Inga am unteren Kongo sowie ähnliche Vorhaben in Mosambik.

Deutsche Erneuerbaren-Branche wenig beeindruckt

Bei der Vorstellung des Positionspapiers sprach sich Gesine Ames von Misereor dafür aus, auf die Kombination von Wind, Sonne und Biomasse zu setzen. Das sei billiger, effizienter und auf lange Sicht weniger umweltzerstörend, so die Referentin für Afrika und Klimawandel bei dem katholischen Hilfswerk.

Im subsaharischen Afrika, wo nur knapp die Hälfte der Bevölkerung Zugang zu Elektrizität hat, könnten aus Sicht von Misereor in ländlichen Regionen, wo es längerfristig kein staatliches Energienetz gibt, auch selbstverwaltete und gemeinwohlorientierte Kleinstwasserkraftwerke eine sinnvolle Lösung sein.

Wassserkraft in Deutschland

In Deutschland werden laut dem Entwurf der "Nationalen Wasserstrategie" gegenwärtig rund 8.300 Wasserkraftanlagen betrieben, von denen 7.300 ins öffentliche Stromnetz einspeisen. Pro Jahr werden so etwa 20 Millionen Megawattstunden ins Netz eingespeist, über 80 Prozent davon in Bayern und Baden-Württemberg.

Kleinwasserkraft dominiert mit rund 90 Prozent den Anlagenbestand, erzeugt aber nur 15 Prozent des Wasserkraftstroms. 57 Prozent der großen Wasserkraftwerke sind über 60 Jahre alt. Die Betriebsgenehmigungen wurden teilweise dauerhaft ("Altrechte") oder über lange Zeiträume (100 Jahre) erteilt.

Bei der Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie stufen die Bundesländer Wasserkraft an einem Drittel der Fließgewässer mit insgesamt 45.000 Kilometern Fließstrecke als signifikante Belastung ein. Je geringer der Stromertrag einer Anlage ist, desto ungünstiger ist das Verhältnis zwischen den Kosten der erforderlichen gewässerökologischen Maßnahmen und dem Ertrag der Anlage.

Auf die Frage, ob sich das Forum Umwelt und Entwicklung mit seiner Kritik an der Kleinwasserkraft auch an die einschlägigen Erneuerbaren-Verbände gewandt hat, gab es beim Pressegespräch keine konkrete Auskunft.

Sebastian Schönauer berichtete aber von dringlichen Schreiben an verschiedene Anbieter von Grünstrom. Diese habe man aufgefordert, ihre Werbung mit "grüner" Wasserkraft zu unterlassen. Als Antwort habe es die Zusage gegeben, die Werbung zu reduzieren.

Gegen das geplante Förder-Aus für kleine Wasserkraft hatte sich im Juni 2022 jedenfalls auch der Erneuerbaren-Branchenverband BEE starkgemacht. In einem offenen Brief appellierten der BEE und der Bundesverband Deutscher Wasserkraftwerke an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die Streichung der EEG-Förderung für Wasserkraft bis 500 Kilowatt rückgängig zu machen.

Anderenfalls drohe ein "existenzvernichtender Rückbau" von rund 90 Prozent der etwa 7.300 Wasserkraftanlagen in Deutschland, so die beiden Verbände. Um das Potenzial der Wasserkraft auszuschöpfen, sollten vielmehr die Rahmenbedingungen für die Anlagen verbessert werden.

Den bekannten Argumenten für die kleine Wasserkraft fügten die Verbände noch deren "netzdienliche Eigenschaften" hinzu. Diese würden beim Ausbau der fluktuierenden Wind- und Solarenergie dringend zur Integration in ein erneuerbares Energiesystem benötigt.

Die Frage, inwieweit die Wasserkraft dem Netz auch unter den Bedingungen des Klimawandels dienlich sein kann, wird in dem Brief allerdings nicht aufgeworfen.

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