Junge Männer stehen um eine Kleinstwasserkraftwerksturbine herum, nachdem sie die Kiste geöffnet haben.
Kleinst-Wasserkraft in Kamerun: "Water is Light" soll hier nicht nur als Werbespruch ankommen. (Foto: Ingenieure ohne Grenzen)

Klimareporter°: Herr Appel, wie wird die Energiewende in Afrika aussehen – viele kleine Solaranlagen auf den Dächern oder große Solarkraftwerke und Windparks?

Gordon Appel: Sowohl als auch. Wichtig ist, dass man bei der Planung die Gesamtkosten der Energiesysteme im Auge hat, auch die sogenannten externen Kosten der Stromerzeugung und den Netzausbau.

Die externen ökologischen Kosten sind bei erneuerbaren Energien geringer als bei fossilen Energieträgern, aber die Kosten für die Netzanbindung eines Windparks können sehr hoch sein. Größere Projekte sollten deshalb dort stattfinden, wo es schon eine Netzinfrastruktur gibt oder eine größere Stadt in der Nähe ist.

In ländlichen Regionen hat die Energiewende in Afrika eine einmalige Chance. Durch die Installation von vergleichsweise kleinen Off-grid-Systemen – mit Photovoltaik, Wasserkraft oder Windenergie – lässt sich hoher Infrastrukturaufwand vermeiden und eine kostengünstige Energieversorgung aufbauen. Immerhin machen die Kosten der Netznutzung in Ländern wie Deutschland rund 20 Prozent der Stromkosten aus.

Die "Ingenieure ohne Grenzen" stemmen große und kleine Projekte?

Nein, unser Schwerpunkt liegt auf jeden Fall bei den kleineren Energiesystemen.

Wie können wir uns die tägliche Arbeit Ihrer Organisation vorstellen?

Wir haben nur einige wenige hauptamtliche Mitarbeiter in unserem Büro in Berlin, vor allem engagieren sich bei uns ungefähr 700 ehrenamtlich Aktive. Insgesamt hat der Verein an die 2.500 Mitglieder. Die Geschäftsstelle sichert die administrative Basis, aber geplant und durchgeführt werden die meisten Projekte von den Ehrenamtlichen in den Regional- und Kompetenzgruppen.

Regionalgruppen gibt es inzwischen in 32 Städten in Deutschland. In den Kompetenzgruppen sind die Mitarbeiter für die technische Qualitätssicherung und den Know-how-Transfer zuständig. Die meisten Projekte haben wir in den Bereichen Wasser und erneuerbare Energien, es gibt aber auch welche beim Brückenbau, im Sanitärbereich und zum Abfallmanagement.

Woran arbeiten Ihre Ingenieure gerade?

Viele unserer Mitglieder engagieren sich zurzeit in Solarstrom-Projekten zur Elektrifizierung von Bildungseinrichtungen. Es laufen aber auch Projekte für Mini-Biogasanlagen oder solare Wasserdesinfektion.

Und zwei Kollegen aus der Regensburger Gruppe sind Anfang des Monats aus Kamerun zurückgekehrt, wo sie Menschen im Umgang mit erneuerbaren Energien geschult haben, vor allem für Wasserkraft. Mit einem Projektpartner vor Ort haben sie eine Kleinst-Wasserkraftanlage gebaut und eingerichtet.

Die Anlage heißt WIL 250, das steht für "Water Is Light" und 250 Watt maximale Leistung. Unsere Ingenieure haben sie in den letzten Jahren mit Studenten der OTH Regensburg entwickelt. Es ist eine Niederdruckturbine, die sich schon bei geringen Fallhöhen ab 1,50 Meter betreiben lässt und den Strombedarf in kleinen Wohneinheiten decken kann. Jetzt suchen wir wieder Spender, um weitere Anlagen bauen zu können.

Was ist das größere Problem, fehlendes Geld oder fehlende Akzeptanz?

Sagen wir es mal so, ob ein Projekt akzeptiert wird oder nicht, können wir in gewissem Maße mitbeeinflussen. Dafür haben wir in den zwölf Jahren, die es uns gibt, Grundsätze entwickelt: Wir planen und realisieren die Projekte gemeinsam mit regionalen Partnern und orientieren uns an technisch robusten und einfachen Lösungen mit möglichst vielen lokalen Materialien. Immer gehören auch Trainings vor Ort und Schulungen dazu.

Porträtaufnahme von Gordon Appel.
Bild: SWK

Gordon Appel

leitet bei den Ingenieuren ohne Grenzen seit 2008 die Kompetenz­gruppe erneuerbare Energien und engagiert sich auch im Vorstand. Der Verein hat gerade in Kamerun eine selbst entwickelte Mini-Wasser­kraft­anlage zum Laufen gebracht – als eines von 25 Projekten in 17 Ländern. Im Brotberuf ist Appel Produkt­management­chef bei den Stadtwerken Konstanz.

Das zusammen hilft uns dabei, dass die Projekte vor Ort angenommen werden. Ein Projekt ohne Akzeptanz kommt für uns nicht infrage. Ganz wichtig ist deshalb die Erkundung, die wir vor jedem Projekt durchführen.

So gesehen kann man schon sagen, dass eher das Geld einen Engpass darstellt. Die einfache Formel "Doppelt so viel Geld bedeutet doppelt so viele Projekte in gleicher Qualität" würde aber zu kurz greifen. Geld kann man nicht mit der Gießkanne verteilen, es muss geplant und strukturiert eingesetzt werden.

Oft kommen Fortschritte nicht so schnell, wie wir uns das wünschen. Die Lebensbedingungen von Menschen lassen sich nicht von heute auf morgen radikal ändern, das muss man akzeptieren. In jedem Fall gibt es viel zu tun, und Spenden für unsere Projekte und zum weiteren Aufbau unserer Organisation sind immer willkommen.

Die politische Situation in vielen Entwicklungsländern ist nicht stabil. Wie können Erneuerbaren-Projekte damit umgehen?

Wo die politische Situation zu instabil ist, führen wir schlicht keine Projekte durch. Die Sicherheit der ehrenamtlichen Mitarbeiter steht für uns an erster Stelle. Ansonsten arbeiten wir in den meisten Projekten von Anfang an auf Kooperationen mit Nichtregierungsorganisationen oder lokalen Partnern hin.

Die Zivilgesellschaft zu stärken ist entscheidend. Speziell bei den erneuerbaren Energien haben wir viele Projekte in Krankenhäusern oder Schulen. Ist dann zum Beispiel in den Schulen Licht vorhanden, können sie Erwachsenenbildung in den Abendstunden anbieten. So versuchen wir die Energiewende von unten, aus der Gesellschaft heraus zu unterstützen – und meiden eher den politischen Weg.

Stehen die großen Hilfsorganisationen bei Ihnen Schlange, um von Ihren Erfahrungen zu profitieren?

Schlange stehen sie nicht, aber die Anfragen nehmen zu, wenn auch meist von kleineren Organisationen, die in anderen Bereichen der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind. Es ist ja auch mehr als sinnvoll, wenn sich jeder auf das konzentriert, was er am besten kann, und man sich gegenseitig unterstützt.

Trotzdem, warum gibt es nicht viel mehr solcher Projekte?

Wir haben im vergangenen Jahr immerhin 25 Projekte in 17 Ländern durchgeführt. Und dann gibt es "Engineers without Borders" noch in 60 weiteren Ländern. Viel wichtiger als die bloße Menge der Projekte ist aber die Qualität. Wenn man sich vor Augen führt, in wie vielen Bereichen des täglichen Lebens Technik eingesetzt wird, wird klar, welche Verantwortung für andere damit verbunden ist. Es ist schon eine große Aufgabe, hier professionell und nachhaltig zu arbeiten.

Und wie wird man ein "grenzenloser Ingenieur"?

Jeder, der sich in der technischen Entwicklungszusammenarbeit engagieren möchte, ist bei uns willkommen. Unterstützen kann man unsere Arbeit durch Spenden oder eine Fördermitgliedschaft, die natürlich mit einer aktiven Mitarbeit in den Regional- oder Kompetenzgruppen verbunden sein kann.

Man muss dabei gar nicht unbedingt Ingenieur sein. Wir haben viele Ehrenamtliche aus anderen Fachbereichen, die sich im Fundraising oder in der Öffentlichkeitsarbeit engagieren.

Oder – enorm wichtig – unsere Kompetenzgruppe für interkulturelle Kommunikation und Ethnografie. Die Mitglieder haben vor allem einen sozialwissenschaftlichen Background und bieten interne Trainings für interkulturelle Kommunikation, Erkundung und Evaluation an. Das sorgt für mehr sozialen Zusammenhalt in unseren Projekten.

Brauchen wir vielleicht auch in Europa einfachere Technik?

Erwachsenenbildung im ländlichen Mosambik kann abends stattfinden, weil elektrische Beleuchtung vorhanden ist.
Die Ulmer Gruppe elektrifiziert Schulen und Gemeindezentren in Mosambik. Wo solche Projekte mit lokalen Partnern gelingen, ändert sich meist viel mehr als die Beleuchtung, sagt Gordon Appel. (Foto: Ingenieure ohne Grenzen)

Manchmal könnte einem das durchaus in den Sinn kommen. Besonders in der Energieversorgung, die technisch ziemlich komplex und anspruchsvoll ist. Wir haben in Europa durch strengere Anforderungen und höhere Standards eben auch eine entsprechend komplexe Infrastruktur aufgebaut.

Allerdings tragen wir durch unseren Wohlstand und die gute Ausbildung auch eine gewisse Verantwortung, Motor der weltweiten Energiewende zu sein, gerade bei der Forschung und Entwicklung. Dabei muss nicht zwangsläufig komplizierte Technik entstehen.

Wir sehen im Verein unsere Aufgabe eher darin, unser Wissen weiterzugeben und angepasste Lösungen im Rahmen einer weltweiten Zusammenarbeit zu entwickeln. Was vor Ort sinnvoll ist, lässt sich nicht aus Europa entscheiden.

Wenn Sie sich ansehen, wie die Energiewende zurzeit in Deutschland läuft, was kommt Ihnen da in den Sinn?

Ich würde mir wünschen, dass die notwendigen Diskussionen offener geführt werden, dass Wärme und Verkehr mehr in den Blick rücken und dass wir endlich wegkommen von ideologischen Debatten und dem großen Einfluss von politischen Amtszeiten und Lobbyisten. Die Energiewende ist eine riesige gesellschaftliche Aufgabe, dafür braucht man einen ganzheitlichen und langfristigen Fahrplan. Der fehlt leider viel zu oft.

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