Die Stromversorgung in Deutschland zählt zu den zuverlässigsten weltweit. Sie fällt im Schnitt nur wenige Minuten pro Jahr aus, 2023 war es keine Viertelstunde, 2024 wahrscheinlich auch. Und das, obwohl die Elektrizität bereits zu mehr als der Hälfte aus erneuerbaren Energien stammt, deren Einspeisung viel stärker schwankt als die konventioneller Kraftwerke.
Trotzdem kann es zu engen Situationen kommen, vor allem in der "Dunkelflaute" mit wenig Windkraft und noch weniger Sonnenenergie. Und die hat Deutschland kürzlich zweimal erlebt, im November und Dezember. Das brachte auch Rekordpreise an der Strombörse.
Private Haushalte mit ihren langfristigen Stromverträgen merken von den Preiskapriolen nichts, das gilt auch für Firmen, die ihre Stromlieferungen über den sogenannten Terminmarkt absichern. Abnehmer allerdings, die sich kurzfristig an der Börse versorgen, am sogenannten Spotmarkt, mussten irre Preise zahlen oder ihre Produktion sogar herunterfahren.
Im sogenannten Day-Ahead-Handel kostete Strom am 6. November 820 Euro pro Megawattstunde. Am 12. Dezember waren es sogar 936 Euro, also fast ein Euro pro Kilowattstunde. Dazwischen waren es meist um die 100 Euro pro Megawattstunde. In dieser Woche, als der Wind – gerade im Winter entscheidender Faktor – wieder kräftig zurückkam, fiel der Preis sogar zeitweise auf null.
Auch wenn die Versorgung gesichert ist, signalisieren die stark schwankenden Preise, dass bei der Energiewende nachgesteuert werden muss. Der Preisschock sorgte für viel Wirbel und war auch Wasser auf den Mühlen für Energiewende-Gegner in Politik und Medien.
Sie versuchen glauben zu machen, mit "grünem Zappelstrom" sei kein verlässliches Elektrizitätssystem zu machen, Deutschland entgehe dem Blackout nur dank Atom- und Kohlestrom aus dem Ausland.
"Preisschwankungen am Spotmarkt gehören dazu"
Kerstin Andreae, Chefin des Energiebranchenverbandes BDEW, überrascht die Entwicklung nicht. "Zu einem auf Erneuerbaren beruhenden Stromsystem gehören stärkere Preisschwankungen am Spotmarkt", erklärte sie letzte Woche.
Im Frühjahr und Sommer habe es ebenfalls starke Preisausschläge gegeben, so Andreae, nur eben nach unten bis hin zu "negativen" Strompreisen. Entscheidend ist aus Andreaes Sicht deswegen, wo der Durchschnittspreis für den Strom liegt und wer von den Preisschwankungen wirklich betroffen ist. Das seien eben diejenigen, die ihren Strom kurzfristig einkaufen.
Die BDEW-Chefin begrüßte aber auch, dass Institutionen wie die Bundesnetzagentur und das Bundeskartellamt jetzt untersuchen, warum in der letzten Woche so wenige von den vorhandenen Erdgas- und Kohlekraftwerken am Netz waren, die eigentlich für den fehlenden Windstrom hätten einspringen können – mit anderen Worten, ob sich Teilnehmer am Strommarkt missbräuchlich verhalten haben, um die Preise in die Höhe zu treiben.
Auch steht der Verdacht im Raum, die Strombranche habe dadurch einen Warnschuss an die Politik abfeuern wollen, um sie zu mehr Tempo etwa beim Bau von flexiblen, wasserstofffähigen Gaskraftwerken zu bewegen. Ein Projekt, das in den drei Jahren Ampel-Regierung allzu langsam vorankam und nun, nach deren Aus, wegen fehlender Mehrheit im Bundestag ganz gekippt wurde.
Diese Variante ist wohl eher im Reich der Wunschvorstellungen zu verorten. Das Scheitern des Kraftwerkssicherheitsgesetzes von Wirtschaftsminister Habeck, das den Gaskraftwerksbau voranbringen sollte, hat sich so ziemlich die gesamte Energiebranche gewünscht, wenn auch aus recht unterschiedlichen Motiven.
Das Stromsystem muss umgebaut werden
Wie dem auch sei, die Dunkelflauten machen noch einmal klar: Das Stromsystem muss dringend für die weiter steigende Grünstrom-Einspeisung umgebaut werden. Die künftige Koalition im Bund steht in der Pflicht, schnell einen Nachfolger für das gescheiterte Kraftwerkssicherheitsgesetz zu verabschieden, damit die nötigen Backup-Kapazitäten entstehen.
Und das müssen keineswegs immer neue Kraftwerke sein. Außerdem braucht es schnell mehr Flexibilität bei den Stromverbrauchern, ob Unternehmen, Haushalte oder E‑Auto-Flotte. Ziel dabei ist es, die Stromabnahme besser an Überfluss- und Mangelsituationen anzupassen.
Dazu können auch Haushalte etwas beitragen – mit den dafür nötigen intelligenten Stromzählern, den Smart Metern. Entscheidend für ein flexibles Stromsystem sind aber industrielle Großverbraucher, die ihren Strombedarf dem Angebot anpassen können. Dazu fehlen derzeit allein schon regulatorische Voraussetzungen. Die Lieferverträge der Versorger sehen immer noch die Verpflichtung der Unternehmen vor, den Strom möglichst gleichmäßig abzunehmen.
Ausgebaut werden müssen auch der europäische Stromverbund und die Kapazität der sogenannten Kuppelstellen zwischen den Ländern, um den Stromaustausch vergrößern zu können. Dass Deutschland in diesem Jahr deutlich mehr Strom importierte, sei ein Zeichen für einen funktionierenden europäischen Strommarkt, betont der BDEW. 2024 hätten im Ausland zeitweise günstigere Erzeugungen zur Verfügung gestanden als in Deutschland.
Diesen europäischen Energiemix hält BDEW-Chefin Kerstin Andreae für vorteilhaft. Es sei positiv, dass die Länder sich energiepolitisch unterschiedlich aufgestellt haben. Das müsse als Standortvorteil für Europa verstanden und ausgebaut werden.
Auf den ganzen Kontinent gesehen gilt ohnehin: Irgendwo weht immer ausreichend Wind. So zeigt eine aktuelle Analyse der für die jüngste Dunkelflaute verantwortlichen Großwetterlage "Hoch Mitteleuropa" durch den Deutschen Wetterdienst: Während hierzulande kaum Wind wehte, gab es zur gleichen Zeit in Nord- und Südwesteuropa jede Menge davon.