Ein traditionelles ländliches Hausdach mit Solarmodulen.
Dezentrale Energiewende heißt nicht, dass jeder Haushalt nur seinen eigenen Strom im Blick hat. (Foto: Ankie Wolff/​Pixabay)

Klimareporter°: Herr Lackmann, Sie haben selbst eine private Solarstrom-Dachanlage. Angenommen, die Anlage würde Anfang kommenden Jahres aus der EEG-Förderung fallen. Was würden Sie da machen?

Johannes Lackmann: Ich würde mich gemeinsam mit anderen vor allem um vernünftige gesetzliche Anschlussregelungen für den Weiterbetrieb für alle kümmern. Individuelle Lösungen mit Umbaumaßnahmen sind zwar technisch möglich, haben aber gesamtwirtschaftlich keinen Sinn.

Rund 85 Prozent der Photovoltaik-Anlagen, die nach 2000 in den Anfangsjahren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes installiert wurden und die in den nächsten Jahren aus der Förderung fallen, haben weniger als fünf Kilowatt Leistung. Zudem speisen sie meist ihren gesamten Strom ins Netz ein und haben keinen Speicher. Was fängt man mit denen an?

Für gesetzliche Anschlussregelungen ist die wichtigste Prämisse, nicht irgendwelche technischen Umbauten vorzunehmen zu müssen. Das würde sofort die Wirtschaftlichkeit dieser Kleinanlagen ruinieren.

Konkret könnte ein Weiterbetrieb so aussehen:

Die vorhandenen Zähler für Verbrauch und Einspeisung bleiben bestehen – es gibt da keine Umbauten. Die Strommengen, die der Solarhaushalt ins Netz einspeist, und die, die er selbst aus dem Netz bezieht, werden kalenderjährlich saldiert – sogenanntes Net-Billing. Für den eingespeisten Überschuss-Strom erhält der Haushalt den Marktwert von gegenwärtig etwa 4,5 Cent je Kilowattstunde, für den netto bezogenen Strom gelten die üblichen Konditionen des jeweiligen Stromlieferanten.

Auf die am Verbrauchszähler abgelesene Jahresstrommenge werden die Netzentgelte und Umlagen bezahlt. Die EEG-Umlage wird aber auf 75 Prozent der vollen Umlage reduziert.

Die Begründung dafür ist: Wenn die Messung rechtlich auf Eigenverbrauch – im sogenannten Net-Metering – umgestellt würde, würden automatisch etwa 25 Prozent der verbrauchten Strommenge aus der eigenen Photovoltaik-Erzeugung kommen. Das heißt, dass auch diesem Falle nur 75 Prozent der vollen EEG-Umlage auf den Verbrauch zu zahlen wäre.

In der Nach-EEG-Zeit müssen die Anlagen aber darauf umgerüstet werden, ihren Strom künftig selbst zu vermarkten. Felix Schäfer, Vorstand bei den Bürgerwerken, bezifferte bei einer Anhörung die Umrüstkosten zur Direktvermarktung auf 500 bis 1.500 Euro.

Es gibt überhaupt keinen sachlichen Grund, Photovoltaik-Anlagen, die bisher mit einfachen Zählern für die Jahreserzeugungsmenge abgerechnet wurden, nun plötzlich wie Kraftwerke zu behandeln mit viertelstündlicher Leistungsmessung, Erzeugungsprognose und so weiter. Die bisherige Abrechnung über Standardprofile hat funktioniert und kann fortgesetzt werden.

Wie teuer wollen wir denn Energiewende machen, wenn für jede Dachanlage neue Zähler, der Umbau der Zählertafel und ein Rattenschwanz an Bürokratie eingeführt werden?

Ihr Vorschlag wird in der Politik und in der Branche aber kaum debattiert.

Johannes Lackmann

baute in den 1990er Jahren als einer der ersten in Nordrhein-Westfalen einen Windpark auf – den damals größten Binnen­land­wind­park in Europa, heute vollständig in Bürgerhand. Als erster Chef des Bundes­verbandes Erneuerbare Energie (BEE) arbeitete er am Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) mit. 2007 trat er zurück, um gegen die "Mitnahme­mentalität" im Verband zu protestieren. Als Geschäfts­führer der Westfalen­wind GmbH betreut er mehrere Windpark­projekte rund um seine Heimatstadt Paderborn.

Der Vorschlag ist mehrfach veröffentlicht worden, aber nicht überall beliebt, obwohl er am nächsten liegt. Die geschilderte Verrechnung von Erzeugung und Verbrauch funktioniert in 50 Ländern der Erde. Im Ausland lacht man über uns, weil wir uns eine Lösung ohne Bürokratie in Deutschland mal wieder gar nicht vorstellen können.

Für die Post-EEG-Anlagen zeichnet sich hierzulande allerdings eine Lösung ab, nach der der Netzbetreiber den Strom so wie bisher weiter abnimmt und dann den Marktwert vergütet. Dann brauchen die Photovoltaikbetreiber ebenfalls nichts zu tun und erhalten für ihren Strom so vier bis 4,5 Cent die Kilowattstunde.

Allerdings werden die Kosteneinsparungen, die sich – wie bei meinem Net-Billing-Modell – durch den Eigenverbrauch ergeben, eben nicht berücksichtigt.

Der Prosumer, der seine Photovoltaik-Anlage bis 2008 in Betrieb nahm, erhält aus dem EEG allerdings im Schnitt 50 Cent für die Kilowattstunde. Wenn er nun in der Post-EEG-Phase nur noch wenige Cent je Kilowattstunde bekommt, wird das künftig kaum noch Gewinn abwerfen.

Keine Frage: Wer für den eigenerzeugten Strom nur vier bis 4,5 Cent bekommt und für den Strom aus dem Netz um die 30 Cent zahlen muss, für den ist das nicht besonders attraktiv. Deswegen sieht mein Modell ja vor, dem Prosumer zumindest den Eigenverbrauch gutzuschreiben und entsprechend auch die zu zahlenden Netzentgelte und Umlagen zu senken.

Und physikalisch ist es tatsächlich so, dass der Strom von Dach zu großen Teilen im Hause verbleibt. Das sollte auch in der Stromrechnung berücksichtigt und vom Gesetzgeber entsprechend geregelt werden.

Viele Prosumer fragen sich allerdings auch, warum sie angesichts ihres Eigenverbrauchs, bei dem der Strom sowieso im Haus bleibt, überhaupt oder auch nur anteilig Netzentgelte und EEG-Umlage zahlen sollen ...

Die Leute haben ja in den vergangenen Jahren von der Förderung profitiert und sollten sich an den Systemkosten beteiligen.

Allerdings sollte die Politik für den Weiterbetrieb der alten Anlagen auch einen Anreiz bieten. Sonst droht als Lösung, dass der Prosumer sagt: Bevor meine Anlage gar nichts mehr wert ist, kaufe ich mir einen Stromspeicher, kopple mich weiter vom Stromsystem ab und gehe in Richtung Autarkie.

Volkswirtschaftlich gesehen wäre das eine völlig sinnlose Lösung. Der Prosumer würde sein Geld für unsinnige Installationen ausgeben, statt sich an den Gemeinkosten zu beteiligen.

Der Marketing-Trend bei der Photovoltaik für Prosumer geht derzeit aber klar in Richtung Abkopplung. Mach dich mit Speicher, Wärmepumpe und Wallbox autark vom Netz, lautet der Slogan.

In der Branche steht dahinter die Idee von "My home is my castle" – ich optimiere meinen Verbrauch und schaffe eine glückliche Strominsel. Dieses Denken halte ich für verheerend. Wir müssen doch volkswirtschaftlich denken.

"Nicht einmal Sonne und Wind werden bei dem Autarkie-Modell zusammengedacht – das geht gar nicht!"

Wir haben Netze aufgebaut, weil Netze sinnvoll sind. Deren Vorteil ist doch, dass der Strom hin und her fließt und sich ausgleicht, ohne dass man dafür einen besonderen Aufwand treiben muss.

So ein Netz wird aber dann unheimlich aufwendig, wenn ich die Erzeuger alle vereinzele, das Netz mir also de facto wegdenke und so tue, als gäbe es lauter kleine Versorgungsinseln. Das macht das Netz dann sehr teuer für die, die noch daran teilnehmen und sich nicht pseudoautark machen können – oder wollen.

Den Verfechtern der Autarkie-Idee sage ich immer: Wenn heute viel die Sonne scheint, dann ladet ihr den Speicher voll. Und wenn morgen viel Wind weht, dann ladet ihr den Speicher wieder leer, obwohl wir mehr als genug erneuerbaren Strom im Netz haben. Nicht einmal Sonne und Wind werden bei dem Autarkie-Modell zusammengedacht – das geht doch gar nicht!

Photovoltaik erreicht in Deutschland im Schnitt in 1.000 Stunden des Jahres die volle Stromleistung, vor allem um die Mittagszeit. Windkraft kommt dagegen an Land auf etwa 1.600 und auf See auf über 3.000 sogenannte Volllaststunden. Die Windkraft gilt deswegen als das Rückgrat der Energiewende.

Wind und Sonne sind zudem sehr stark komplementär: Wenn wir viel Sonne haben, gibt es oft wenig Wind. Und bei windstarkem Tiefdruckwetter haben wir oft wenig Sonne.

Nimmt man beide Erzeugungsarten zusammen, werden die Lücken, wo es uns noch an erneuerbarer Versorgung fehlt, schon relativ klein. Man ist zwar nicht bei hundert Prozent, der Aufwand aber, um den Rest zu sichern, ist nicht mehr sehr groß.

Und um die schwankende erneuerbare Erzeugung auszugleichen, gibt es schon einige Geschäftsmodelle.

Auch der Prosumer sollte den Strom nicht nur so verbrauchen, wie es für ihn gerade optimal ist, sondern auch einen Anreiz haben, sich im Interesse des Gesamtsystems zu verhalten. So könnte mit zeitlich variablen Tarifen vom Netz das Signal ausgehen, wann es billig und wann es teuer ist, das Elektroauto oder den Wärmespeicher zu laden.

Das kann nicht aus einer privaten Sicht heraus, sondern muss von Stromversorgern oder Netzbetreibern gesteuert werden. Diese müssen Flexibilitätsoptionen bereitstellen, um ein optimales Gesamtsystem zu erreichen.

Eigentlich ist es doch verrückt, dass sich eine alte, abgeschriebene Photovoltaikanlage, die Strom unschlagbar billig erzeugt, nicht wirtschaftlich betreiben lässt. Im Grunde liegt das ja daran, dass der Strom an der Börse derzeit so wenig kostet und der wertvolle Ökostrom dort praktisch verramscht wird ...

Das ist ein generelles Problem – für alte wie für neue PV-Anlagen. Wir brauchen einen vernünftigen, in Stufen ansteigenden CO2-Preis wie etwa in Schweden und dazu: keine Subventionen für den Ausstieg aus der Kohle. Wir brauchen Flextarife, sodass der Strom auch in Spitzenzeiten im Sinne der Sektorkopplung abfließen kann in Wärmeanwendungen, Mobilität und flexible Industrieprozesse.

"Verbandsinteressen dürfen nicht darin bestehen, für zufällig entstandene Geschäftsmodelle zu lobbyieren"

Mit den Erneuerbaren haben wir jetzt eine Technologie, die – sogar global gesehen – sehr günstig Strom liefern kann. Wir müssen den Widerspruch auflösen, dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen immer günstiger wird, aber der Strom für die Verbraucher immer teurer wird. Mit dieser Entwicklung gefährden wir die bisher breite Zustimmung zur Energiewende.

Die Kostenvorteile müssen bei den privaten Verbrauchern und den kleinen und mittleren Unternehmen endlich ankommen. Diese haben bisher die Energiewende bezahlt. Wenn wir im Prosumerbereich die Bürokratie von der Photovoltaik wegnehmen, entstehen sehr günstige Stromkosten auch ohne EEG-Förderung. Wer für diese ausgereifte Technik dann immer noch immer einen Förderbedarf sieht, dichtet ihr einen Nachteil an, die sie objektiv nicht hat.

Dahinter verbergen sich doch Kernfragen: Werden die Erneuerbaren derzeit durch schlechte Rahmenbedingungen ausgebremst, insbesondere durch zu geringe CO2-Preise, einen schleppenden Kohleausstieg und zu viel Bürokratie? Und besteht der Ausweg darin, sich als Prosumer von alldem abzukoppeln und sich möglichst aller Abgaben und Netzpflichten zu entledigen?

Als ich das Net-Metering in der Branche vorgeschlagen habe, wurde ich sofort angegriffen. Endlich, so sagten Kollegen, gebe es mit den Batteriespeichern ein brauchbares Marktmodell, mit dem Geld zu verdienen sei, und jetzt käme ich mit so einem Vorschlag. Da bin ich richtig angegangen worden.

Da sagte ich: Wenn eure Verbandsinteressen darin bestehen, für zufällig entstandene Geschäftsmodelle zu lobbyieren, dann ist das nicht mehr mein Verband. In Wahrheit wäre das viel größere Geschäft zu machen, wenn man die Photovoltaik entfesselt – egal, ob dann eine Batterie dazukommt oder nicht.

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