Im englischen Balcombe installiert ein Bauer Solarkollektoren auf dem Dach seiner Scheune.
Im südenglischen Balcombe installiert ein Bauer Solarkollektoren auf dem Dach seiner Scheune. (Foto: Kristian Buus/​Flickr)

Die erste große Umweltkonferenz in Rio 1992 hat den Klimawandel zwar nicht Pandemie genannt, aber ihn in seither 15 Weltklimakonferenzen praktisch zur fossilen Pandemie erklärt.

Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und UN-Generalsekretär António Guterres sagen übereinstimmend: "Die Klimafrage ist die Überlebensfrage der Menschheit."

Die Coronakrise wird in diesem Jahr wahrscheinlich Zehntausende Tote fordern, aber die Klimaerhitzung und Luftschadstoffe fordern Jahr für Jahr Millionen Tote.

Jetzt kann man ständig hören: In der Coronakrise macht der Klimawandel keine Pause.

Richtig! Wir verbrennen heute an einem Tag weltweit so viel fossile Rohstoffe, also Kohle, Gas, Öl, Benzin und Diesel, wie die Natur in einer Million Tagen angesammelt hat. Wir benehmen uns wie Pyromanen und verstoßen dabei im Verhältnis eins zu einer Million gegen Naturgesetze, obwohl wir auf jeder Weltklimakonferenz hören, dass wir lernen müssen, nachhaltig zu wirtschaften. Das mag eine Zeitlang gut gehen, aber nicht auf Dauer.

Mit Waldbränden kündigt sich bereits der nächste Dürresommer an – der dritte in Folge. Aber schon vor 28 Jahren hat die Weltgemeinschaft in Rio beschlossen, auf den Impfstoff erneuerbare Energien zu setzen, also auf klimafreundliche Energie aus Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme.

Der deutsche Bundestag hat daraus die Konsequenz gezogen und im Jahr 2000 das Erneuerbare-Energien-Gesetz beschlossen. Das EEG wurde so erfolgreich und überzeugend, dass knapp hundert Regierungen dieses Gesetz in seiner Intention übernommen haben.

EEG heißt: Du bekommst einen ökonomischen Anreiz, wenn du auf Öko-Energie umsteigst. Deutschland produziert im Frühjahr 2020 immerhin 52 Prozent seines Stroms erneuerbar. Der Impfstoff zeigt erste positive Wirkungen. Freilich noch viel zu wenige.

Der "Impfstoff" ist bekannt, es geht um die Anwendung

Noch steigen weltweit die Treibhausgase – erst in der Zeit der neuen Corona-Pandemie sinken sie erstmals leicht, weil Flugzeuge am Boden bleiben, Fabriken geschlossen sind und weniger Autos fahren.

Die Wissenschaftler des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sagen uns, dass wir das Tempo des Umstiegs auf erneuerbare Energien beschleunigen müssen. Denn das CO2-Budget, das wir noch haben, um das Paris-Ziel von höchstens zwei Grad zusätzlicher Erwärmung zu erreichen, ist spätestens 2030 oder 2035 aufgebraucht.

Also in zehn oder spätestens 15 Jahren erreichen wir "Kipp-Punkte" der Klimaerhitzung, nach denen das bisher menschen- und lebensfreundliche Klima nicht mehr zu retten sein wird. Afrika wird dann auf Dauer in weiten Teilen unbewohnbar und Europa wird klimatisch Afrika.

Also müssen wir den Impfstoff gegen die Klimaerhitzung endlich überall anwenden.

Das heißt in Deutschland: Nicht nur die Stromwende, sondern auch die Verkehrs-, die Wärme- und die Agrarwende organisieren, um unseren Beitrag zur Stabilisierung des Weltklimas zu leisten. Die Techniken hierfür sind alle vorhanden. Es gibt keinen Grund, die Energiewende aufzuschieben.

Die Bundesregierung, die EU und weitere Industriestaaten wie die USA, Japan oder auch China wollen nach der Coronakrise mit vielen Milliarden die Wirtschaft wieder anschieben. Wenn wir diese Riesensummen in eine grüne Wirtschaft und in den Umstieg auf klimafreundliche Energieträger investieren, erreichen wir einen mehrfachen Erfolg: Wir nutzen den Impfstoff gegen die fossile Pandemie und stabilisieren das Klima, wir schaffen Millionen neue Arbeitsplätze, was nach der Rezession durch Corona dringend nötig sein wird, und wir bekommen preiswerte Energie. Denn Sonne und Wind schicken keine Rechnung.

Erneuerbare sind günstig und reichlich vorhanden

Schon heute sind Solar- und Windstrom in den meisten Ländern der Welt die billigste Energiequelle. Entsprechende Zahlen hat die Internationale Agentur für Erneuerbare Energie (Irena) gerade vorgelegt.

Zugleich gab die Agentur bekannt, dass seit dem Jahr 2000 weltweit elf Millionen neue Arbeitsplätze durch erneuerbare Energien entstanden sind und über 40 Millionen geschaffen werden können. Die EU will unter Ursula von der Leyen einen Green Deal organisieren.

Albert Einstein hat schon 1921 den Physik-Nobelpreis für die Erklärung des photovoltaischen Effekts erhalten. Worauf warten wir im Jahr 2020 eigentlich noch? Die Sonne schickt uns theoretisch 10.000-mal mehr Energie, als die Menschheit heute verbraucht. Es gibt von Natur aus kein Energieproblem.

Aber in Deutschland haben in diesem Frühjahr noch immer 90 Prozent der Dächer keine Solaranlagen. Sie stehen energetisch völlig umsonst in der Gegend herum.

Franz Alt

ist Journalist und Buchautor. Er leitete 20 Jahre das politische Magazin "Report" beim Südwest­rundfunk, danach bis 2003 die Zukunfts­redaktion des SWR. Als einer der ersten deutsch­sprachigen Journalisten informierte er über den Klima­wandel und die nötige Energie­wende.

Stattdessen holen wir für viel Geld Öl aus Arabien, Gas aus Sibirien und Kohle aus Kolumbien hierher und belasten damit die Umwelt. Das ist weder ökonomisch sinnvoll noch ökologisch vertretbar, wenn die Sonne auch hierzulande kostenlos auf jedes Dach scheint.

In diesen Tagen hat Grünen-Chef Robert Habeck in einem Interview mit der Zeit gesagt: "Für den Klimawandel gibt es keinen Impfstoff". Da irrt er sich. Die Grünen sollten nicht hinter ihr eigenes Diskussionsniveau vor der Corona-Pandemie zurückfallen.

Hermann Scheer, einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes, hat in seinem letzten Buch sinngemäß geschrieben: Wir haben unendlich viel erneuerbare Energien, aber nicht unendlich viel Zeit für den Umstieg auf erneuerbare Energien. Ein ökologisches Wirtschaftswunder ist jetzt möglich.

Auf den Impfstoff gegen das neue Coronavirus müssen wir vielleicht noch ein Jahr warten, sagen die Wissenschaftler. Der "Impfstoff" gegen die Klimaerhitzung ist längst bekannt. Wir sollten ihn endlich auch intensiver einsetzen.

 

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