Klimareporter°: Frau Henneberger, Uniper und die Bundesregierung werben für Datteln 4 mit Klimaschutz, schließlich würden alte und dreckigere Kraftwerke vom Netz gehen. Umweltverbände halten mit eigenen Rechnungen dagegen ...
Kathrin Henneberger: Die alten Kraftwerke sind unwirtschaftlich, sie produzieren real viel weniger Strom, als sie könnten – das wäre bei Datteln 4 anders. Es könnten also sogar mehr Treibhausgase anfallen als bisher.
Und wenn es bei der Abschaltung alter Kraftwerke nun wirklich nach den realen Strommengen ginge, würden Sie Datteln 4 dann anders bewerten?
Sich beim Klimaschutz auf die Politik zu verlassen hat in den letzten 30 Jahren nicht funktioniert. Wir können einfach nicht damit rechnen, dass die Politik anfängt, weise Entscheidungen zu treffen.
Wie mit den Ergebnissen der Kohlekommission umgegangen wird, beweist das. Die waren ja schon ein – klimapolitisch völlig unzureichender – Kompromiss zwischen den verschiedenen Interessengruppen, auch die Energiewirtschaft war einbezogen. Und trotzdem bleibt das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung noch dahinter zurück.
Wir können also auch bei Datteln 4 davon ausgehen: Es wird mal wieder eine Veräppelung stattfinden, wenn wir das nicht mit Druck verhindern. Außerdem sprechen nicht nur Klima-Bedenken gegen die Steinkohle.
Sie meinen, weil die Förderung der Kohle oft mit Menschenrechtsverletzungen einhergeht?
Ja, wir sprechen deswegen von Blutkohle. Deutschland fördert ja seit einem Jahr gar keine eigene Steinkohle mehr. Die Kohle für Datteln 4 würde aus Regionen wie Kolumbien oder Sibirien kommen. Dort leiden die Menschen unter den Abbaugebieten. Das fängt bei den Umweltstandards an. Luft, Wasser und Böden werden durch die Kohleförderung vergiftet, weil zum Beispiel Schwermetalle entweichen.
Außerdem werden Gemeinden für die Tagebaue umgesiedelt. Dass für die Energiebedürfnisse im globalen Norden Menschen im globalen Süden die Landrechte genommen werden und ihre Lebensgrundlage zerstört wird, ist eine koloniale Praxis.
Kathrin Henneberger
ist seit ihrer Jugend Klimaaktivistin, zurzeit unter anderem als Pressesprecherin von "Ende Gelände". 2008 und 2009 war sie Bundessprecherin der Grünen Jugend.
Hinzu kommt noch, dass Umweltaktivistinnen in diesen Ländern mit schweren Repressalien zu rechnen haben. In Nordkolumbien sind in den Kohleregionen Paramilitärs unterwegs und es ist in den letzten Jahren mehrfach zu Morden an Kohlegegnerinnen gekommen. Auch deswegen sind wir heute hier.
Es ist das Jahr, in dem Deutschland endlich den Kohleausstieg in ein Gesetz gießt. Ein neues Kohlekraftwerk ist da schwer vermittelbar. Wird Datteln 4 sozusagen der neue Hambacher Forst?
Die Klimabewegung wird gegen Datteln 4 kämpfen wie letztes Jahr für den Hambi. Und ich erlebe auch schon wie damals, dass sich die verschiedenen Akteurinnen der Klimabewegung in Deutschland und ganz Europa vernetzen, um dieses Kraftwerk zu verhindern. Vor allem schließen wir uns gerade mit Gruppen in Finnland kurz, denn der finnische Staatskonzern Fortum hält den absoluten Großteil der Uniper-Aktien.
Wie breit der Widerstand gegen Datteln 4 aufgestellt ist, zeigt auch schon unsere Besetzung heute. Mit dabei sind neben uns von Ende Gelände und Decolonize auch Menschen von Fridays for Future, aus dem Hambi und ganz freie Aktivistinnen.
Erwarten Sie auch ähnlich starken Rückhalt im Rest der Bevölkerung?
Ich hoffe sehr, dass sich viele Menschen wie letztes Jahr bei der Hambi-Räumung hinter uns stellen. Ich vermute, dass viele empört sein werden, dass es ein neues Kohlekraftwerk geben soll – trotz der Millionen, die letztes Jahr für Klimaschutz auf die Straße gegangen sind.
Wichtig ist auch die symbolische Wirkung, die es international hätte, wenn Deutschland wirklich noch ein Kohlekraftwerk ans Netz bringt. Deutschland als Industrieland wäre schließlich dafür verantwortlich voranzugehen. Datteln 4 ist genau das Gegenteil.
Auf wen wollen Sie mit Ihrem Protest Druck ausüben?
Wir richten uns heute und in den nächsten Monaten an alle, die in der Verantwortung stehen. Das sind eine ganze Menge. Der Kohlekonzern Uniper natürlich, der jetzt versucht, noch kurzfristig Profit zu machen. Politisch ist das die Bundesregierung, die Datteln 4 mit einer Sonder-Klausel im Kohleausstiegsgesetz ermöglicht – denn das schließt neue Kohlekraftwerke ansonsten aus. Und natürlich der Bundestag, der das Gesetz in dieser Form nicht beschließen darf. Wir appellieren an das Gewissen der Abgeordneten!
Und dann ist da ganz klar noch die nordrhein-westfälische Landesregierung mit Armin Laschet von der CDU an ihrer Spitze. Er hätte es ohne Probleme verhindern können, dass Datteln 4 kommt – und ich bin sicher, dass er es auch jetzt noch könnte. Er könnte seine Macht nutzen und sagen: Das kann ich nicht zulassen.
Ergänzung um 19 Uhr: Polizei räumt Besetzung von Datteln‑4‑Kränen