Extinction-Rebellion-Aktivist scherzt mit Polizisten: Dritter Tag der XR-Aktionstage im April 2019 am Oxford Circus in London.
Bei Blockadeaktionen, wie hier in London, will Extinction Rebellion sich nicht mit Polizisten anlegen, sondern die politischen Verhältnisse ändern. (Foto: Brian Minkoff/​London Pixels/​Wikimedia Commons)

Klimareporter°: Frau Mieulet, Ihre Organisation Extinction Rebellion hat angekündigt, ab kommendem Montag Berlin zu blockieren. Warum ist das nötig?

Cléo Mieulet: Die klassischen politischen Mittel sind ausgelaugt. Wissenschaftler warnen seit Jahrzehnten vor dem Klimawandel und es gibt keine angemessene Reaktion. Auch die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future haben vor zwei Wochen eine große Ohrfeige bekommen, als das Klimapaket beschlossen wurde, das nicht einmal diesen Namen verdient.

Das zeigt, dass wir ein wirksameres politisches Mittel nutzen müssen, nämlich massenhaften, friedlichen zivilen Ungehorsam. In der Geschichte war das schon oft wirksam: So ist das Frauenwahlrecht entstanden, ich kann Mahatma Gandhi zitieren, ich kann Martin Luther King oder Rosa Parks zitieren.

Wie bereiten Sie sich auf die Aktion selbst vor?

Es gibt Aktionstrainings, die wirklich wichtig sind, um den Menschen die Furcht vor der Aktion zu nehmen. Es gibt verschieden starke Formen des Ungehorsams. Man kann ein sogenanntes "Die‑in" machen, man kann einen Verkehrsknotenpunkt blockieren. Da kann man auch noch überlegen, wann man aufsteht, oder ob man sich von der Polizei wegtragen lässt. Aber es gibt auch stärkere Formen, wie zum Beispiel, sich irgendwo festzuketten oder festzukleben.

Das heißt, nächste Woche gibt es Aktionen in all diesen Formen?

Ich kenne nur den offiziellen Teil, über den anderen kann ich mich nicht äußern. Es wird mehrere Blockaden geben, zum Beispiel auf der Marschallbrücke über die Spree in Berlin-Mitte. Ab dem 9. Oktober wird XR Youth den Kurfürstendamm blockieren. Wir werden außerdem eine große familienfreundliche Aktion am Potsdamer Platz organisieren.

Porträtaufnahme von Cléo Mieulet.
Foto: privat

Cléo Mieulet

ist Aktivistin bei Extinction Rebellion (XR). Die Berliner Schauspielerin und Übersetzerin ist seit Dezember vergangenen Jahres bei der Bewegung dabei. Am Montag wurde sie durch eine kurze Ansprache bei der Besetzung der Linken-Parteizentrale in Berlin bekannt.

Wir haben rund um die Aktionen einen intensiven Austausch mit der Polizei. Wir haben ein Deeskalationsteam, das sowohl mit der Polizei als auch mit aufgebrachten Bürgern kommuniziert.

Warum kooperieren Sie so eng mit der Polizei?

Es ist wichtig, dass diese Blockaden über längere Zeitraume bestehen bleiben, damit sie ihre mediale und gesellschaftliche Wirkung entfalten.

Vor einem Jahr in London wurden in Absprache mit der Polizei verschiedene neuralgische Punkte der Stadt blockiert. In den ersten drei Tagen war die Berichterstattung extrem negativ. Erst durch die Beharrlichkeit der Aktivisten hat sich nach dem dritten Tag die Stimmung gewendet und die Öffentlichkeit hat sich wirklich mit den Forderungen beschäftigt.

Seitdem sind die Stimmungsumfragen zu Umwelt und Klima in Großbritannien gekippt: Eine große Mehrheit ist für beherztes Handeln.

Die Proteste sollen aber schon Leute stören?

Einerseits muss es stören, andererseits müssen die Aktionen niedrigschwellig und friedlich sein, sodass sich besonders viele Menschen anschließen. Das ist eine Balance, die nicht einfach zu erreichen ist. Das gilt zumindest für diesen Teil. Deswegen gibt es auch Aktionen mit unterschiedlich hohem Risikolevel.

Was unterscheidet Extinction Rebellion von Bewegungen, die es schon länger gibt, zum Beispiel Ende Gelände?

Ganz wenig. Ende Gelände hat bei seiner Entstehung den Schwerpunkt auf dem Protest gegen die Kohle gelegt. Wir haben unsere drei Forderungen. Es gibt kaum eine Bewegung, die schon zu Beginn drei konkrete Forderungen und zehn Prinzipien hat. Wir sammeln uns quasi unter diesem gedanklichen Gerüst.

Außerdem würden wir nie unsere Identität verbergen. Wir bekennen uns immer zu dem, was wir tun. Wir würden nie unsere Identität verweigern. Das unterscheidet uns vielleicht von manchen anderen Bewegungen.

Aber Ende Gelände setzt genauso wie wir auf friedlichen zivilen Ungehorsam in Form von Blockaden. Gerade nehmen viele Bewegungen dieses Mittel wieder neu auf ihre Agenda. Es kann auch sein, dass ein Teil der Fridays-for-Future-Bewegung das als Weiterentwicklung ansieht. Wobei nicht in die Schule zu gehen auch schon friedlicher ziviler Ungehorsam ist.

Gibt es Überschneidungen mit Fridays for Future?

Ja. Es gibt viele Menschen, die wollen, dass beim Klimaschutz etwas passiert. Die gehen dann zu einer Aktion von Fridays for Future, die gehen zu Ende Gelände und die gehen zu Extinction Rebellion oder auch zu anderen Aktionen. Diese Membranen zwischen den verschiedenen Bewegungen sind durchlässig.

Ende Gelände warnt davor, einen Fragebogen auf der XR-Website auszufüllen. Außerdem gibt es viel Kritik daran, dass Extinction Rebellion mit der Polizei kooperiert.

Den Fragebogen auf unserer Website haben wir, nachdem wir von den Bedenken erfahren haben, sofort geändert.

Wir gehen offensiv in die Mitte der Gesellschaft und haben viel Zulauf von Menschen, die vorher noch überhaupt nicht politisiert waren. Dazu gehört dann eben auch die sehr dezidierte Gewaltfreiheit. Wir sind da wahrscheinlich auf eine Art weniger krass. Wir wollen, dass die Menschen mitmachen. Aus den verschiedensten Milieus. Und der Zulauf ist ja auch da.

Der Gründer Roger Hallam steht in der Kritik. In der Zeit wurde er mit den Worten zitiert, Menschen, die "ein bisschen sexistisch und rassistisch" denken, dürften trotzdem mitmachen.

Er hat gesagt, dass auch Menschen zu uns kommen können, die nicht total bekennend antisexistisch und antirassistisch sind, wenn sie vom Thema bewegt sind. Wir haben unsere zehn Prinzipien – eines davon ist zum Beispiel, dass alle willkommen sind, so wie sie sind. Diese Prinzipien bedeuten sehr klar, dass wir uns von jeglicher Form von Sexismus und Rassismus distanzieren und sie innerhalb unserer Bewegung bekämpfen.

Aktionstage Ende November

Für den 29. November hat das Aktionsbündnis Fridays for Future einen weiteren globalen Aktionstag angekündigt. In einem offenen Brief fordern die Jugendlichen die Bundesregierung auf, ihr "lächerliches" Klimapaket grundlegend zu überarbeiten. Der weltweite Streiktag findet kurz vor Beginn des diesjährigen Weltklimagipfels in Santiago de Chile statt.

Aus Protest gegen das "Totalversagen" der Regierung bei der Klimapolitik plant auch das Bündnis Ende Gelände für den 29. November bis 1. Dezember eine "Massenaktion zivilen Ungehorsams" im Lausitzer Braunkohlerevier.

Wir gehen aber auch davon aus, dass jede und jeder von uns Anteile davon in sich trägt, weil wir von diesem System geprägt sind.

Seit wann sind Sie dabei und was hat Sie persönlich dazu motiviert?

Erstmal bin ich Mutter dreier Kinder. Es geht nicht nur um mein Leben, sondern auch um das Leben meiner Kinder. Die Wissenschaft sagt ganz klar, dass alle unter 30 massiv mit dem Klimaumbruch zu tun haben werden.

Ich bin schon sehr lange in der Umweltbewegung aktiv, habe aber bisher eher versucht, konkret in meinem Umfeld etwas zu ändern. Zum Beispiel haben wir mitten in Berlin eine Insektenwiese angelegt. Einer bestimmten Bewegung habe ich mich nicht angeschlossen – bis ich im vergangenen Dezember zu Extinction Rebellion kam. Das Konzept hat mich sofort überzeugt.

Wie geht es nach den Protesten kommende Woche weiter?

Es könnte sein, dass wir nach der Aktion einen sehr viel größeren Zulauf haben werden. Außerdem werden vielleicht nicht alle unsere drei Forderungen gleich erfüllt.

Die erste Forderung nach der Ausrufung des Klimanotstands können wir wahrscheinlich am leichtesten durchbringen. Die Politik ist ja gerade sehr freizügig mit Symbolen.

Das ist trotzdem gut, denn dann wird eine andere Erzählung begonnen. Von da aus können wir politisch weitermachen. Die Forderung entfaltet nicht sofort ihre Wirkung, ist aber trotzdem unabdingbar, um eine andere politische Struktur zu starten.

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