Die kürzlich im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vorgelegte Studie "CO2-Opportunitätskosten von Biokraftstoffen in Deutschland" des Heidelberger Ifeu-Instituts weist gravierende fachliche Mängel auf.
Und obwohl die Autoren selbst schreiben, dass ihre Studie "ein hypothetisches Szenario betrachtet", fordert die Umwelthilfe auf Grundlage der Ifeu-Ausarbeitung die Bundesregierung auf, die Förderung von Biokraftstoffen einzustellen.
Zur Erinnerung: Biokraftstoffe sind heute die einzige funktionierende Maßnahme, die im großen Maßstab Treibhausgasemissionen der Antriebsenergie im Straßenverkehr mindert, allein 2020 im Umfang von 13,2 Millionen Tonnen CO2.
Doch zurück zu den Mängeln der Studie. Die Ifeu-Autoren betrachten darin zwei Szenarien: einerseits die realen CO2-Einsparungen durch Biokraftstoffe aus Anbaubiomasse und andererseits die hypothetischen Einsparungen, die erzielt werden könnten, wenn auf der bisher für Biokraftstoffe genutzten Anbaufläche für 30 Jahre Wald wachsen würde.
Aufforstungs- und Biokraftstoffflächen müssen dabei, so die Annahme, nicht deckungsgleich sein, vielmehr können auch andere Äcker weltweit renaturiert werden, solange die Gesamtfläche übereinstimmt. Den Studienautoren zufolge würde eine Aufforstung deutlich mehr Treibhausgase einsparen als der Einsatz von Biokraftstoffen.
Nicht nur diese Grundannahme der Studie ist fragwürdig, die Ausarbeitung weist auch weitere schwerwiegende fachliche Mängel auf.
Ärgerlicher Photovoltaik-Vergleich
So bleiben grundlegende Elemente der landwirtschaftlichen Wirklichkeit von den Ifeu-Autoren unberücksichtigt. Raps als "Energiepflanze" zu bezeichnen, ist irreführend. Denn aus der Rapsernte wird nur zu 40 Prozent Pflanzenöl gewonnen, das zu Biodiesel verarbeitet werden kann.
Die verbleibenden 60 Prozent sind eiweißreiches Tierfutter und die wichtigste heimische pflanzliche Eiweißquelle. Würden die Rapsflächen aufgeforstet, müsste mehr Soja importiert werden, was zu einem erhöhten Flächenverbrauch zum Beispiel in Argentinien oder Brasilien führen würde.
Raps hat zudem einen hohen Vorfruchtwert. Das bedeutet, dass die tief wurzelnde Rapspflanze den Boden auflockert, sodass die in der Fruchtfolge nachfolgende Getreideernte um etwa zehn Prozent steigt.
Wird Rapsöl zu Biodiesel verarbeitet, dann entsteht als Nebenprodukt Glycerin, eine wichtige Basischemikalie. Fast 100 Prozent des Glycerins, das zum Beispiel in Arzneimitteln, Desinfektionsmitteln und Kosmetika enthalten ist, stammen aus der Biodieselherstellung. Wird kein Biodiesel produziert, müsste Glycerin aus fossilen Rohstoffen gewonnen werden. Zu diesen Vorzügen von Biodiesel findet sich beim Ifeu-Institut kein Wort.
Ärgerlich ist auch der vollkommen unzulängliche Vergleich zwischen Photovoltaik-Flächen für die Stromerzeugung und Flächen zum Rapsanbau für Biodiesel. Die Ifeu- und DUH-Darstellung, wonach Solarpaneele mehr Energie bereitstellen als der Anbau des Raps, ist zwar populär, verkennt aber, dass Biokraftstoffe Energieträger sind.
Solarpaneele können dagegen nur Strom produzieren, die aber zwischengespeichert werden muss. Nachts und wochenlang im Winter liefert Photovoltaik kaum Strom, während die in Biokraftstoffen gespeicherte Energie jederzeit abrufbar ist.
Der Flächenvergleich hinkt also erheblich, und die daraus konstruierte Forderung des Auftraggebers DUH führt in die energiepolitische Irre.
Klimavorteil von E-Autos halbiert sich fast
Beim Vergleich zwischen Biokraftstoffen und Elektromobilität werden in der Studie einseitig nur die Treibhausgasemissionen und die Umweltauswirkungen von Biokraftstoffen betrachtet, die Emissionen aus der Produktion von E-Autos sind angeblich irrelevant.
Elmar Baumann
Der studierte Biotechnologie- und Wirtschaftsingenieur ist seit 2009 Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB). Im VDB haben sich größere Hersteller von Agrokraftstoffen organisiert, darunter ADM, Cargill, Evonik und Verbio. Die Mitglieder repräsentieren nach Verbandsangaben 60 Prozent der inländischen Produktion.
Bei Elektrofahrzeugen sind aber die Treibhausgasemissionen und Umweltauswirkungen der Herstellung, vor allem der Batterien, besonders bedeutsam.
Überhaupt nicht in Rechnung gestellt wird in der Studie, dass der Betrachtungszeitraum 30 Jahre umfasst, dass also bei einer prognostizierten Lebensdauer der E-Autos von zehn Jahren die Emissionen zu ihrer Herstellung drei Mal anfallen.
Übernimmt man die Parameter der von Agora Verkehrswende veröffentlichten Studie "Klimabilanz von E-Fahrzeugen", halbiert sich nach überschlägiger Berechnung der Klimavorteil, auf den die Autoren der DUH-Studie kommen, über den 30-Jahres-Zeitraum nahezu von 216 Millionen auf 117 Millionen Tonnen CO2.
Diese Studie für Agora Verkehrswende hat übrigens ebenfalls das Ifeu-Institut erarbeitet – dasselbe Institut, das in der vorliegenden Studie für die DUH die über einen Zeitraum von 30 Jahren entstehenden Emissionen von E-Fahrzeugen für irrelevant hält.
Wälder sind unsichere CO2-Speicher
Der wirkliche Knackpunkt, der die gesamte These der Autoren infrage stellt, ist jedoch ein anderer: Wie beschrieben, gehen die Ifeu-Autoren davon aus, dass der durch die Aufforstung entstandene Wald über einen Zeitraum von 30 Jahren auf der betroffenen Fläche wächst.
Dabei nehmen sie an, dass etwa die Hälfte der Flächen, die der Biokraftstoffproduktion entzogen werden, in Deutschland und Europa liegt, die andere Hälfte in anderen Weltregionen wie den Tropen.
Es ist jedoch unsicher, ob aufgeforstetes Land zu verlässlicher CO2-Speicherung führt. So sieht das Öko-Institut den Zustand und die Entwicklung natürlicher Senken wegen möglicher Waldbrände, Hitzeperioden und anderer Naturkatastrophen als sehr unsicher an.
Gemeinsam mit dem Deutschen Naturschutzring (DNR) empfiehlt das Öko-Institut daher, die Klimaleistung von Wäldern und Mooren nicht auf die deutschen und europäischen Klimaziele für 2030 anzurechnen.
Laut einer Studie der UN-Organisationen FAO und UNECE zu den Waldgebieten in Ost- und Südosteuropa sind die dortigen Wälder vor allem durch Feuer und Schädlingsplagen bedroht. Ein weiteres Problem stellt nach Ansicht von FAO und UNECE der illegale Holzeinschlag dar.
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass wiederaufgeforstete landwirtschaftliche Flächen in den Tropen keine langfristig sichere CO2-Senke darstellen, weil es häufig zu erneuten Rodungen kommt.
Damit ist die zentrale These der Ifeu-Studie wissenschaftlich infrage gestellt.
Aufforstung müsste aufwendig überwacht werden
Weder die Ifeu-Autoren noch die DUH erläutern, wie eine praktische Umsetzung der Aufforstung erfolgen soll. Wollte man aber tatsächlich bisherige Ackerflächen aufforsten, gäbe es eine Reihe von Hindernissen: Nach Angaben des Bundeslandwirtschaftsministeriums erzielen Landwirte auf deutschen Äckern durchschnittliche Erlöse von jährlich rund 3.000 Euro je Hektar.
Will man Bauern dazu bewegen, Ackerbau zugunsten von Wald einzustellen, müsste man sie finanziell entschädigen. Dazu müssten die Landwirte über einen Zeitraum von mindestens 30 Jahren Geld erhalten.
Schließlich müsste für die DUH-Ifeu-Lösung ein Monitoring eingerichtet werden, damit der Wald Wald bleibt, die Entschädigung nicht grundlos gezahlt wird und die Emissionseinsparung auch tatsächlich erfolgt.
Da die Ifeu-Autoren damit rechnen, dass die Wälder zur Hälfte außerhalb Europas aufwachsen, müsste ein entsprechendes Überwachungssystem auch in den Tropen aufgebaut werden.
Im Bereich der CO2-Kompensation zum Beispiel von Flugreisen oder von bestimmten Nahrungsmitteln zeigt sich, wie problematisch es ist, solche Aufforstungsprojekte umzusetzen, über einen langen Zeitraum durchzuhalten und ihren Erfolg zu messen: Nichtregierungsorganisationen selbst prangern sie deshalb immer wieder an, zum Beispiel indem sie ihnen den "Goldenen Windbeutel" verleihen.
Mit nachhaltigkeitszertifiziertem Biodiesel und Bioethanol aus Anbaubiomasse will die DUH eine seit Jahren praktizierte, wirksame und effiziente Maßnahme zur Minderung des Treibhausgasausstoßes im Straßenverkehr abschaffen – zugunsten einer fragwürdigen, teuren, unerprobten und wissenschaftlich höchst umstrittenen Alternative.
Die deutsche Politik sollte den Empfehlungen der DUH nicht folgen: Zum einen entbehren sie einer sauberen wissenschaftlichen Grundlage. Zum anderen würden sie es unmöglich machen, die Klimaziele für das Jahr 2030 im Verkehr zu erreichen.
Kontra: "Agrokraftstoff ist klimaschädlicher als fossiler Sprit" von Sascha Müller-Kraenner, Deutsche Umwelthilfe (DUH)