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"Der Haupthebel zur Verhinderung von Emissionen in der Landwirtschaft liegt in der Veränderung der Ernährungsgewohnheiten", sagt Agrarökonom Lotze-Campen. (Foto: Engin Akyurt/​Pixabay)

Klimareporter: Herr Lotze-Campen, in Deutschland sind die Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft nach der Wende schnell gesunken, stagnieren jetzt aber schon seit vielen Jahren. Woran liegt’s?

Hermann Lotze-Campen: Die Veränderung nach der Wiedervereinigung basiert vor allem darauf, dass in Ostdeutschland die Viehbestände drastisch reduziert wurden. Jetzt sind wir an einem Punkt, an dem sich zeigt, dass die technischen Möglichkeiten, in der Landwirtschaft die Emissionen zu reduzieren, nicht so einfach umzusetzen sind.

Es gibt dafür außerdem bisher keine wirklichen Anreize. In der deutschen Klimaschutzstrategie stehen zwar jetzt auch Minderungsziele für die Landwirtschaft, aber es werden noch kaum politische Maßnahmen genannt, mit denen das vonstattengehen könnte. Deswegen ist es nicht sonderlich überraschend, dass die Emissionen im Augenblick stagnieren.

Wo liegen denn die Hebel, um wieder Bewegung hineinzubekommen?

Ich sehe ein gewisses Potenzial in der Umsetzung der Stickstoffminderungsstrategie. Über die Düngeverordnung sollen die Stickstoffüberschüsse in der Landwirtschaft zurückgefahren werden. Wenn das gelingt, ist es zum einen gut für das Grundwasser, eine gezieltere Stickstoffdüngung wird aber auch weniger Lachgas-Emissionen von den Äckern mit sich bringen.

Bei den Methan-Emissionen, hauptsächlich aus der Viehwirtschaft, ist es ein bisschen schwieriger. Es gibt Möglichkeiten, durch die Anpassung der Fütterung bei den Wiederkäuern oder die Abdeckung von Gülle-Lagerstätten die Emissionen etwas zu senken. Aber hier sind die technischen Möglichkeiten schon relativ begrenzt. Man kann natürlich die Leistung des einzelnen Tieres steigern, dann sinken beispielsweise die Emissionen pro Liter Milch. Das lässt sich allerdings auch nicht beliebig fortführen.

Das klingt sehr kleinteilig, etwa im Vergleich zum Energiesektor, wo das Ersetzen der Kohlekraftwerke durch erneuerbare Energien die Emissionen massiv senken würde.

Es gibt noch einen weiteren Unterschied. In der Landwirtschaft haben wir eine ganz große Zahl von relativ kleinen Emittenten, im Energiesektor ist es genau umgekehrt. Das macht es zum Beispiel einfacher, den Energiesektor in den Emissionshandel einzubinden. Das europäische Handelssystem deckt bislang nur etwa die Hälfte der gesamten Emissionen ab, und zwar gerade nicht die aus der Landwirtschaft und dem Verkehrssektor, wo man es mit hunderttausenden von Akteuren zu tun hat.

Zur Person

Hermann Lotze-Campen ist Professor für Nachhaltige Landnutzung und Klimawandel an der Humboldt-Universität Berlin – gefördert durch die Bayer Foundation. Er leitet den Forschungsbereich "Klimawirkung und Vulnerabilität" am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Zudem ist er ausgebildeter Landwirt.

Der Haupthebel in der Landwirtschaft liegt nach unseren Berechnungen in der Veränderung der Ernährungsgewohnheiten, sprich: weniger Fleischverbrauch, um es ein bisschen plakativ zu formulieren. Dann würden entsprechend die Viehzahlen abnehmen und man hätte einen ähnlichen Effekt wie nach der Wiedervereinigung. Alles andere ist, wie Sie sagen, wohl eher kleinteilig.

Nun haben wir mehrmals starke Gegenwehr erlebt, wenn es um weniger Fleischkonsum geht. Die Grünen haben sicher immer noch Alpträume von ihrem Veggie-Day-Vorschlag. Haben Sie Ideen, wie sich hier ein Umdenken erreichen lässt?

Es ist natürlich nicht einfach, aber das gilt für die anderen Sektoren genauso. Das Mobilitätsverhalten zu ändern ist auch nicht so leicht. Ich denke, man sollte das Thema mit gesundheitlichen Aspekten verbinden.

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt zur Vermeidung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Ähnlichem, den Fleischverbrauch vom jetzigen Niveau aus ungefähr zu halbieren. Das würde zugleich die damit einhergehenden Emissionen substanziell mindern. Wobei man bedenken muss, dass die deutsche Landwirtschaft auch für den Export produziert.

Aber das ist ein bisschen wie bei den erneuerbaren Energien: Wenn wir in Deutschland zeigen könnten, dass ein Umsteuern beim Verbraucherverhalten möglich ist, kann das eine gewisse Vorbildfunktion entfalten.

Ehrlich gesagt finde ich es schon erstaunlich, wie oft man in der Werbung oder in Kantinen jetzt doch zumindest ein Angebot von vegetarischen, zum Teil auch veganen Nahrungsmitteln sieht. Das sind erste Schritte. Bei der Ernährung spielt ja auch eine Rolle, was konkret angeboten wird. Sobald attraktive Alternativen da sind, wären sicherlich mehr Leute bereit, sich zumindest ab und zu umzustellen.

Was halten Sie davon, die Klimawirkung von Produkten per Siegel abzubilden?

Da bin ich eher zurückhaltend. Ein Teil der Verbraucher wird sich sicherlich daran orientieren. Ich sehe aber zwei Probleme. Zum einen, dass sich der größere Teil weiterhin doch eher vom Preis leiten lässt und auch nicht regelmäßig willens oder in der Lage ist, diese zusätzliche Information zu verarbeiten. Der andere Punkt ist, so eine Art Zertifizierung auch wasserdicht zu machen. Das muss man ja entlang der gesamten Wertschöpfungskette bewerten. Ich halte das für schwer umsetzbar. Da würde ich eher beim Preis ansetzen.

Was schlagen Sie vor?

Klimapolitisch würde ich argumentieren, dass Emissionen generell einen Preis brauchen, ob über den Emissionshandel oder eine Steuer, und einen klaren Pfad, wie der Emissionspreis in der Zukunft ansteigen wird. Sonst sind ambitionierte Klimaziele aus meiner Sicht kaum zu erreichen. Dieser Preis müsste auch auf landwirtschaftliche Emissionen ausgedehnt werden.

Wenn man einen Mindestpreis für alle Emissionen hätte und den auch auf Methan und Lachgas umrechnet, würde ich schon erwarten, dass es eine Verschiebung im Verbrauch hin zu mehr pflanzlichen Nahrungsmitteln gibt. Die Frage ist, wie schnell das passieren würde. In Deutschland geben die meisten relativ wenig vom Haushaltseinkommen für Nahrungsmittel aus, viele Verbraucher spüren das also vielleicht gar nicht so sehr im Portemonnaie.

Zusätzlich sehr wichtig sind Bildungsmaßnahmen, gerade in Schulen und Kindergärten. Wenn die Kinder schon früh lernen, dass man nicht jeden Tag Fleisch essen muss, dass man sich auch sehr gut von Gemüse ernähren kann, hat das längerfristig einen Effekt. Ernährungsverhalten hat viel mit Gewohnheiten zu tun.

Sie hatten die Klimaziele angesprochen. Die Bundesregierung mit ihrem Klimaschutzplan 2050 und der Deutsche Bauernverband wollen die Emissionen der Landwirtschaft jeweils um etwa 30 Prozent bis 2030 senken. Ist das ehrgeizig genug?

Die Ziele sind schon in Ordnung – wenn klar ist, dass es danach noch weitergehen muss. Was ich vermisse, ist, dass wir noch konkreter über die politischen Maßnahmen diskutieren. Sonst stehen die Ziele im Raum, es gibt aber keinen richtigen Plan, wie sie zu erreichen sind. Was dann passiert, haben wir ja gerade bei den übergreifenden Klimazielen für 2020 gesehen: Auf einmal stehen wir da und sie werden nicht erreicht.

Wenn ich in den Klimaschutzplan schaue, finde ich das Bekenntnis zur Senkung der Stickstoffüberschüsse. Das wäre wie gesagt aus verschiedenen Gründen gut: für die Reduktion der Lachgas-Emissionen, den Trinkwasserschutz und auch die Reduktion von Luftverschmutzung und Atemwegserkrankungen. Ich muss ehrlich sagen: Ich komme selbst aus der Landwirtschaft und finde es schon sehr bedenklich, dass nach so vielen Jahren immer noch Probleme mit Nitrat im Grundwasser auftreten und heute die Wasserwerke Alarm schlagen.

Stickstoffüberschüsse zu reduzieren ist also auf jeden Fall eine gute Idee. Aber das allein wird für die Emissionsreduktion nicht ausreichen.

Nun ist die Landwirtschaft ein stark globalisierter Sektor. Ist da ein nationales Vorgehen überhaupt sinnvoll, müsste es nicht international erfolgen?

Wenn man sich auf diesen Standpunkt stellt, kann man natürlich alle möglichen Maßnahmen in weite Ferne schieben, indem man sagt: Dann sind wir nicht mehr konkurrenzfähig. Ich glaube schon, dass einzelne Länder vorangehen und zeigen müssen, wie es funktionieren kann. Allein auf eine globale Lösung zu warten wird einfach zu lange dauern.

Für den Emissionshandel wird ja auch gerade diskutiert, dass einzelne Länder sich zu Allianzen zusammenschließen. Bei der Landwirtschaft ist die Diskussion noch längst nicht so weit wie im Energiesektor, weil die Emissionsvermeidung hier eben auch deutlich komplexer und differenzierter ist. Aber das wird kommen müssen, denn sonst sind die völkerrechtlich vereinbarten Ziele einfach nicht erreichbar.

Ist eine weitgehend CO2-neutrale Landwirtschaft mit der Perspektive 2050 denn überhaupt denkbar?

Null Emissionen aus der Landwirtschaft halte ich für unwahrscheinlich. Gewisse Restemissionen aus Methan und Lachgas werden sich nicht vermeiden lassen. Aber wenn man die Perspektive erweitert, dann könnte man zum Beispiel die Kohlenstoffspeicherung in den Böden durch Humus-Anreicherung erhöhen und das gegenrechnen. Die Anrechnung wäre auch im Rahmen des Emissionshandelssystems wirtschaftlich interessant. Allerdings müsste man dann auch Maßnahmen und Technologien entwickeln, um das Kohlenstoffspeichern dauerhaft zu überprüfen und sicherzustellen.

Wenn null Emissionen nicht möglich sind, scheitert dann der Pariser Klimavertrag spätestens an diesem Sektor? Oder ist der Anteil der Landwirtschaft dafür zu klein?

Mit Blick auf das Paris-Abkommen sind die ersten Schritte ganz klar: im Energiesektor drastisch umsteigen, vor allen Dingen die Kohlenutzung beenden. Über die Zeit, wenn die günstigen Vermeidungsoptionen ausgeschöpft sind, muss auch die Landwirtschaft einen wachsenden Beitrag leisten.

Irgendwann müssen wir dann wegen der Restemissionen in allen Sektoren zusätzlich über andere Kompensationsmaßnahmen nachdenken, also zum Beispiel Aufforstungen oder Bioenergie-Produktion mit Kohlenstoff-Sequestrierung. Aber eine großskalige Anwendung wird nach unseren Szenarien noch einige Jahrzehnte dauern.

Dabei könnten übrigens auch interessante neue Möglichkeiten für den Agrarsektor entstehen. So etwas wie eine Kohlenstoff-optimierte Landwirtschaft, gemischte Agrar-Forstsysteme, die zudem die Rückstände aus den Ackerkulturen einbeziehen. Das ist am Ende eine Kostenfrage: Sobald es da wirtschaftliche Anreize gibt, wären sicherlich viele Landwirte bereit, neue Produktionsverfahren einzusetzen. Und damit sind wir wieder bei den Emissionspreisen.

Gäbe es denn noch andere politische Stellschrauben, um Landwirte in diese Richtung zu bewegen – zum Beispiel bei der Art, wie die Agrarsubventionen ausgestaltet sind?

Absolut. Im Agrarsektor muss ja ohnehin die Tatsache der Subventionierung weiter diskutiert werden. Aus meiner Sicht müsste die Agrarpolitik ganz klar noch viel mehr auf die Vermeidung von Emissionen ausgerichtet werden. Das sollte eigentlich im Interesse der Gesellschaft sein, die letztendlich aus ihren Steuern diese Subventionen aufbringt.

Emissionspreise oder eine entsprechend ausgestaltete Subventionierung haben wahrscheinlich am Ende ähnliche Effekte. Wichtig ist, dass es diese Anreize gibt. Wobei eine Bepreisung über alle Sektoren den Vorteil hat, dass die günstigsten Vermeidungsmöglichkeiten zuerst genutzt werden und die gesamtwirtschaftlichen Kosten für die Gesellschaft so gering wie möglich bleiben.

Noch einmal zurück zu den technischen Lösungen. Einige Firmen wollen jetzt Pillen für Rinder auf den Markt bringen, damit sie nicht mehr so viel Methan produzieren – bis zu 30 Prozent weniger stellen sie in Aussicht. Kann das eine Hilfe sein?

Hier sieht man: Wenn es erst einmal politische Signale gibt, fangen die Akteure auch an, nach neuen Lösungen zu suchen. Ich finde das sehr interessant, 30 Prozent sind schon eine ganze Menge.

Allerdings ist gerade der Wiederkäuer-Pansen ein sehr komplexes biologisches System. Man müsste erst einmal zeigen, dass es dauerhaft funktioniert, sich kontrollieren und nachverfolgen lässt. Manchmal ist es so, dass man kurzfristig etwas verändert, und dann passt sich das System wieder an. Aber natürlich sollten alle technologischen Möglichkeiten weiter erforscht und dann auch in die Umsetzung gebracht werden.

Falls es funktioniert – um eine Reduzierung des Fleischkonsums kommen wir trotzdem nicht herum, oder?

Neue technische Lösungen würden den Druck natürlich reduzieren. Aber wir reden inzwischen über eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad und weniger. Um da substanziell etwas zu erreichen, muss man an allen Schrauben drehen, die es gibt.

Allein den Milchverbrauch werden wir nicht auf null herunterfahren können. Ich kann mir vorstellen, den Fleischkonsum drastisch zu reduzieren. Aber den Verbrauch von Milch und Eiern derart zu senken, das halte ich schon für sehr schwer vermittelbar und umsetzbar. Das heißt, auch mit deutlich weniger tierischen Nahrungsmitteln müssen wir dann immer noch nach technischen Optionen suchen, um diese verringerte Produktion möglichst emissionsarm zu gestalten.

Sofern man die politischen Ziele zur Vermeidung eines gefährlichen Klimawandels wirklich ernst meint, sind die Herausforderungen sehr, sehr groß, in allen Sektoren. Wir können zeigen, dass eine solche gesellschaftliche Transformation zu schaffen ist, aber das wird kein Spaziergang. Ich glaube, diese Botschaft ist bisher in Politik und Öffentlichkeit noch nicht richtig angekommen.

Lesen Sie dazu auch den Gastbeitrag Jan-Hendrik Cropp: Fallstricke des Carbon Farming