Containern oder dumpster diving (Mülltauchen) – so nennt man es, wenn weggeworfene Lebensmittel aus Abfallcontainern von Supermärkten mitgenommen werden. In Deutschland ist das verboten. 2019 wurden dafür zwei Studentinnen wegen "gemeinschaftlich begangenen Diebstahls" verwarnt.
Wie groß das Wegwerf-Problem wirklich ist, zeigt eine jüngst in Nature Food veröffentlichte Studie. Die Hälfte der weltweiten Treibhausgas-Emissionen der Lebensmittelproduktion geht demnach auf Abfälle zurück.
In Zahlen: 9,3 Milliarden Tonnen CO2-Äquivalent stammten 2017 aus Lebensmittelabfällen und -verlusten während der Produktionskette. Das entspricht in etwa den summierten jährlichen Emissionen der USA und der Europäischen Union.
Nicht nur die Emissionen regen zum Nachdenken an. Ein Drittel aller produzierten Lebensmittel geht irgendwo zwischen Acker und Kühlschrank verloren oder wird weggeworfen.
Hierzulande haben sich Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) mittlerweile für ein straffreies Containern ausgesprochen. An der Rechtslage hat sich bis dato aber nichts geändert.
Natürlich ist Containern auch keine Lösung gegen die gigantischen Mengen Lebensmittel, die jedes Jahr in die Tonne wandern. Aber der Umgang damit offenbart, wie normalisiert die Wegwerf-Kultur bei uns ist.
Rund elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jedes Jahr weggeworfen. Jedes Lebensmittel, egal, ob es im Mund oder im Müll landet, hat einen bestimmten CO2-Fußabdruck. Wobei durch die Produktion tierischer Produkte wesentlich mehr Treibhausgase entstehen als zum Beispiel in der Gemüseproduktion.
Das Forschungsteam aus China und Singapur kam zum Ergebnis, dass über den gesamten Produktionsweg Rind- und Lammfleisch 77-mal mehr Emissionen verursacht als Tomaten. Durch den Verrottungsprozess auf Müllhalden entstehen weitere Treibhausgase und auch die Müllinfrastruktur selbst produziert welche.
Großteil des Abfalls stammt aus privaten Haushalten
Die Studie berücksichtigt dabei anfallende Emissionen über die gesamte Lieferkette – vom Feld bis auf den Tisch (oder eben in die Tonne). Sie stützt sich auf Daten zur Lebensmittelversorgung von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die 164 Länder und Regionen zwischen 2001 und 2017 abdecken.
Regionale Unterschiede wie Klima, Einkommen und Ernährungsweisen spiegeln sich in den Emissionszahlen wider. Die Emissionen der Müllentsorgung sind in ärmeren Ländern generell höher. Das liegt daran, dass reichere Länder über modernere und effizientere Energietechnik verfügen.
Entwicklungsländer in tropischen oder subtropischen Regionen verlieren besonders viele Lebensmittel zwischen Ernte und Verkauf. Fehlende oder schlechte Kühltechnik ist daran schuld.
In Industrienationen stammt der Großteil des Abfalls von privaten Haushalten. 59 Prozent gehen in Deutschland auf die Haushalte zurück und nur zwei Prozent auf die Produktion.
Die fleischlastige Ernährung, häufig weite Transportwege und aufwendige Lebensmittelverarbeitung der Industrienationen treibt dort die Emissionen in die Höhe. Rund 73 Prozent der weltweiten Emissionen durch Lebensmittelabfälle entfallen auf Fleisch, 21 Prozent auf Getreide und nur 2,4 Prozent auf Obst und Gemüse.
In Ländern mit hohem Fleischkonsum wie den USA, Europa und Australien liegt dieser Anteil sogar bei über 85 Prozent. Die Autor:innen schreiben deshalb, dass die Halbierung des weltweiten Konsums von tierischen Produkten etwa die Hälfte der heutigen Emissionen des Lebensmittelabfalls einsparen würde.
Es stehen auch technische Möglichkeiten zur Auswahl, um Emissionen zu senken. So raten die Forscher:innen, weggeworfene Lebensmittel zu kompostieren oder in Biogasanlagen in Energie umzuwandeln, statt sie auf Mülldeponien verrotten zu lassen.
Entkriminalisierung des Containerns wäre ein Signal
Yin Ke, Professor an der Nanjing Forestry University in China und Mitautor der Studie, will mit den Ergebnissen vor allem das Bewusstsein für die enorme Menge an Lebensmittelabfällen schärfen. Er sieht noch große Lücken bei der Bekämpfung der Lebensmittelverschwendung. "Viele Länder unternehmen aus verschiedenen Gründen wie Armut, Ungleichheit und politischer Instabilität wenig bis gar keine Anstrengungen", sagte Yin.
Erst 21 Länder haben sich in ihren Klimaplänen zur Erfüllung des Paris-Abkommens ausdrücklich zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten oder -abfällen verpflichtet.
Eine kürzlich im Fachjournal Nature Climate Change erschienene Studie kam zu dem überraschenden Ergebnis, dass eine Senkung von Lebensmittelabfällen nur einen geringen Effekt auf die Emissionen des Lebensmittelsektors hätte.
Das ist zum Teil dadurch zu erklären, dass die Studie nur die Abfälle des Einzelhandels und der Haushalte berücksichtigt. Außerdem gebe es unterschiedliche Definitionen für Lebensmittelabfälle und -verluste, sagt Yin Ke. So fehlten in der Nature-Climate-Change-Studie auch die Emissionen der Abfallwirtschaft.
Yin: "Das alles sowie auch unterschiedliche Datenquellen können zu den beobachteten Diskrepanzen zwischen den Studien führen."
Ein wichtiger Schritt, um Lebensmittelabfälle zu vermeiden, ist Aufklärung. Der weltweite Umgang mit Nahrung muss nachhaltiger und achtsamer werden.
Die Entkriminalisierung des Containerns wird die Emissionen nicht merkbar drücken. Aber dies würde zumindest zeigen, dass ein Umdenken stattfindet. Und das käme keinen Tag zu früh.