Es ist kaum vorangegangen bei den Klimaverhandlungen in Bonn, die am Donnerstagabend zu Ende gegangen sind. "Es gab positive Zeichen – aber die Gespräche waren wie ein Kater von der letzten Weltklimakonferenz", sagte Raju Pandit Chhetri von der nepalesischen Regierungsdelegation.
Jedes Jahr treffen sich die Klimadiplomaten der Welt einmal in Bonn, um Detailfragen zu klären, die dann auf dem großen Weltklimagipfel Ende des Jahres keine Zeit wegnehmen. Diesmal hieß es Nach- statt Vorbereitung: Es standen vor allem solche Fragen im Mittelpunkt, die im vergangenen Dezember auf dem Klimagipfel im polnischen Katowice nicht beantwortet werden konnten – und bei denen auch jetzt noch keine Klarheit herrscht. "Die Fragen, die hier strittig geblieben sind, müssen bald geklärt werden", sagte Chhetri, "damit es endlich darum gehen kann, dass die Klimaziele der Länder verschärft werden".
Das Paris-Abkommen organisiert Klimaschutz dadurch, dass die beteiligten Staaten freiwillige Selbstverpflichtungen abgeben. Weil die nationalen Ziele, die bisher auf dem Tisch liegen, lange nicht reichen, sollen die Staaten sie alle fünf Jahre verbessern. Die Hoffnung ist, dass durch einige Vorreiter eine Dynamik in Gang gesetzt wird, der sich auch die anderen Länder nicht entziehen können und wollen – weil das mindestens mit einem Ansehensverlust verbunden wäre.
Die Gespräche in Bonn waren eher von einer gegenteiligen Dynamik geprägt. Eine Handvoll Staaten kam mit einer Haltung auf das Konferenzparkett, die nicht verhehlte, dass sie kein Interesse an größeren Klimaschutz-Anstrengungen haben.
Das sind die Kernergebnisse aus Bonn:
- IPCC-Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel nicht anerkannt
Im Paris-Abkommen hatten die Staaten festgehalten, dass sie die Erderhitzung möglichst bei 1,5 Grad, auf jeden Fall aber deutlich unter zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten begrenzen wollen. Dazu gaben sie dem Weltklimarat IPCC einen Auftrag: Das hochkarätig besetzte Wissenschaftlergremium sollte einen Bericht dazu vorlegen, was die Forschung über den Unterschied zwischen beiden Zielen weiß. Dieser Bericht erschien im vergangenen Herbst – und löste überraschend einen diplomatischen Eklat aus.
Auf der Weltklimakonferenz in Katowice weigerten sich vier Ölländer – die USA, Russland, Kuwait und Saudi-Arabien – einer Formulierung in der Abschlusserklärung der Konferenz zuzustimmen, nach der die Staaten den IPCC-Bericht "begrüßen". Sie plädierten dafür zu schreiben, man wolle den Bericht "zur Kenntnis nehmen". Die zwei Kernaussagen des Berichts sind: Das halbe Grad macht einen himmelweiten Unterschied aus – doch es ist durch eine radikale Umstellung der Weltwirtschaft möglich, die durchschnittliche Erderhitzung bei 1,5 Grad zu stoppen.
Auch in Bonn entbrannte nun wieder eine Debatte darüber, wie die Staaten mit dem Bericht umgehen sollen. In der Abschlusserklärung danken sie dem IPCC zwar für die Anfertigung des Dokuments und vermerken, dass sie darüber gesprochen haben. Doch eine Art Bekenntnis, sich künftig nach den wissenschaftlichen Ergebnissen richten zu wollen, scheiterte am Widerstand der Ölländer. "Das erschwert es nun, kommende Verhandlungen formal an der niedrigeren Temperaturschwelle auszurichten", sagte Jan Kowalzig von der Entwicklungsorganisation Oxfam.
- Klimaschutz im Ausland gegen Geld weiterhin schlecht geregelt
Artikel 6 des Paris-Abkommens sieht vor, dass es wie schon beim Kyoto-Protokoll möglich sein soll, mit Kohlendioxid zu handeln. Beispielsweise könnte die Schweiz für ein Klimaschutz-Projekt in Brasilien bezahlen – und sich den Nutzen für das Klima selbst auf die Fahnen schreiben.
Der Streit um Regeln für solche Geschäfte hätte den Klimagipfel in Katowice fast platzen lassen. In Bonn kam es trotz langer Verhandlungen wieder in entscheidenden Fragen zu keinem Ergebnis, sodass das Thema auf der kommenden Konferenz in Santiago de Chile erneut auf der Tagesordnung stehen wird. "Die wichtigen Fragen sind ungeklärt geblieben", meint Jan Kowalzig. "Das ist problematisch, weil Artikel 6 das Potenzial hat, die Integrität des Paris-Abkommens auszuhöhlen."
In diesem Fall ist Brasilien als der wahrscheinlich wichtigste Verkäufer von CO2-Zertifikaten das Land, das mehr oder weniger im Alleingang die Fortschritte blockiert. Die anderen Länder wollen beispielsweise verhindern, dass sich sowohl der Käufer als auch der Verkäufer der CO2-Zertifikate die gehandelten Einsparungen anrechnen können. Brasilien wünscht sich dafür schwammige Regelungen.
Außerdem will der lateinamerikanische Staat uralte Zertifikate aus den Handelssystemen des Kyoto-Protokolls in den neuen Markt übernehmen, obwohl deren Effekt für das Klima sehr fragwürdig ist. "Das Pariser Klimaabkommen darf in Santiago nicht mit einem Beschluss voller Schlupflöcher unterwandert werden – ansonsten wäre es besser, diese Regeln gar nicht zu beschließen", sagte David Ryfisch von der Entwicklungsorganisation Germanwatch.
Gilles Dufrasne von der Denkfabrik Carbon Market Watch zweifelt bei derart großer Uneinigkeit sogar daran, dass die Staaten das Thema auf dem Gipfel in Santiago abhaken können. "Mit so vielen ungeklärten Fragen ist es sehr schwer zu glauben, dass die Staaten bis Ende des Jahres eine Einigung finden", sagte der Brüsseler Experte.
- Fortschritte beim Umgang mit Schäden und Verlusten durch den Klimawandel
Kleine Erfolge gab es beim Umgang mit den Schäden und Verlusten, die durch die Klimakrise verursacht werden. Im Jahr 2013 hatten die Staaten dafür ein Prozedere vereinbart, den sogenannten Warschau-Mechanismus. Der soll in Chile überprüft werden. In Bonn haben sich die Staaten nun auf Kriterien geeinigt, nach denen das geschehen soll.
Das klingt nicht nach einem Durchbruch, wird aber den Verhandlungsprozess in Chile erleichtern. Umstritten ist, ob Industrieländer über die normale humanitäre Hilfe hinaus finanziell für Schäden und Verluste in Entwicklungsländern aufkommen müssen – und ob die Frage einen formellen Rahmen wie den Warschau-Mechanismus braucht. Entwicklungsländer und die meisten Klimaschutzorganisationen sagen ja, während sich die Industrieländer eher darum drücken wollen.
Die Bonner Kriterien gehen nur vage darauf ein. "Das Ergebnis hätte noch deutlicher ausfallen können, was die Finanzfragen angeht, aber man kann damit in Santiago arbeiten", sagte Sven Harmeling von der Entwicklungsorganisation Care.
- Debatte über Ende der Einstimmigkeit beim Grünen Klimafonds
Er stand zwar nicht auf der Tagesordnung des Bonner Gipfels, war aber Gegenstand etlicher Veranstaltungen und Gespräche am Rande: der Grüne Klimafonds. Das ist einer der wichtigsten Wege, auf denen die Industriestaaten ihr Versprechen halten wollen, den Entwicklungsländern ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimaschutz und -anpassung zu geben.
Norwegen und Deutschland haben kürzlich versprochen, ihre bisherigen finanziellen Zusagen zu verdoppeln. Einige Länder, darunter Frankreich, die Schweiz und Japan, wollen eine Aufstockung an eine Bedingung knüpfen: dass auf der Vorstandstagung des Grünen Klimafonds in der kommenden Woche die Möglichkeit eines Mehrheitsvotums beschlossen wird.
Bislang kann der Fonds nur einstimmig entscheiden, welche Projekte mit dem Geld gefördert werden. Saudi-Arabien will, dass das so bleibt – um weiter ein Vetorecht zu haben. Die meisten Entwicklungsländer haben zwar nichts gegen ein Mehrheitsprinzip, kritisieren allerdings die Industrieländer, die damit drohen, andernfalls nichts mehr einzahlen zu wollen. Füllt sich der Fonds nicht, ist die Erfüllung zahlreicher Klimaziele armer Länder in Gefahr.
- Weltklimagipfel COP 26 findet 2020 wohl in London statt
Die 26. Weltklimakonferenz Ende 2020 wird in Europa stattfinden – das entspricht dem Turnus, nach dem verschiedene Weltregionen sich mit der Ausrichtung der diplomatischen Großveranstaltung abwechseln. Als Gastgeber für die COP 26 – das Kürzel steht für "Conference of the Parties" – kristallisiert sich Großbritannien heraus.
Ursprünglich wollte sich auch Italien bewerben. In der vergangenen Woche haben die beiden Länder zusammen einen Vorschlag vorgelegt, nach dem die COP selbst in London stattfindet und nur ein Vorbereitungstreffen in Italien. Zwischenzeitlich hatte auch die Türkei Interesse bekundet. Der formale Beschluss fällt im Dezember in Chile.
In Bonn ging es wie bei allen Klimaverhandlungen seit der Verabschiedung des Paris-Abkommens vor dreieinhalb Jahren vor allem darum, eine Art gemeinsame Klima-Verwaltung aufzubauen. Im kommenden Jahr tritt das Klimaabkommen in Kraft – bis dahin müssen die Regeln zur Umsetzung stehen. Das bedeutet, dass dafür eigentlich nur noch die kommende Klimakonferenz im Dezember in Chile bleibt.
UN-Klimachefin Patricia Espinosa mahnte am Abend mit ungewöhnlich deutlichen Worten zur Eile: "Wir können uns solche kleinteiligen Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel nicht mehr leisten – wir brauchen einen tiefschürfenden, transformativen und strukturellen Wandel in der ganzen Gesellschaft."