Menschen mit Gasmasken in einem Demonstrationszug, auf Transparenten steht
"Rise for Climate"-Aktionstag war gestern auch in Asien: Protest gegen neue Kohlekraftwerke und für Klimaschutz auf den Philippinen. (Foto: 350.org)

Die Klimadiplomaten müssen das Regelbuch für das Pariser Klimaabkommen "essen, schlafen und träumen". Das hatten die Verhandlungsvorsitzenden zu Beginn der Klimakonferenz gefordert, die am heutigen Sonntag in Bangkok zu Ende gegangen ist. Der Grund für die Aufforderung war klar: "Der Fortschritt in allen Bereichen ist ungenügend, um die Arbeit im Dezember abzuschließen." Dann soll im polnischen Katowice die "Bedienungsanleitung" für das Paris-Abkommen verabschiedet werden.

Nach der Woche in Bangkok ist dieses Ziel noch immer erreichbar: Der 307-Seiten-Text gleicht immer mehr einem völkerrechtlichen Vertrag. Wichtiger noch: Die Vorsitzenden der verschiedenen Verhandlungsstränge haben den Auftrag bekommen, den Text weiterzuentwickeln. Das ist nicht selbstverständlich, sondern zeigt das Vertrauen der Länder in die Vorsitzenden.

Besonders umstritten war in Bangkok das Thema Finanzen. Die Industriestaaten haben versprochen, in den Jahren 2020 bis 2025 je 100 Milliarden US-Dollar zu "mobilisieren". Nun wollen die Entwicklungsländer wissen, wie viel Geld ab dem Jahr 2026 fließen wird. Die Industriestaaten weigerten sich aber, darüber zu verhandeln. Das Paris-Abkommen enthalte dafür kein "Mandat".

Aus Sicht von Mohamed Adow von der Hilfsorganisation Christian Aid lautet damit die Botschaft der Industrie- an die Entwicklungsländer: "Ihr müsst das selber stemmen."

Kreis der Geberländer soll wachsen

Franz Perrez, der Leiter der Schweizer Delegation, widerspricht: "Wir wollen gerne darüber reden. Nach 2025 muss aber der Kreis der Geberländer ausgeweitet werden. Diese Frage wiederum ist politisch zu polarisierend, um sie noch dieses Jahr anzugehen." Hinzu kommt bei manchen Industriestaaten wohl auch die Hoffnung, dass nach den nächsten Präsidentschaftswahlen in den USA auch diese wieder zu den "Geberländern" gehören werden.

Umstritten ist auch noch, ob und wie in der "Bedienungsanleitung" zwischen Industrie- und Entwicklungsländern unterschieden werden soll. Das zeigte sich etwa bei den Verhandlungen über den "gemeinsamen Zeitrahmen" für die Klimapläne der Länder. Eine Gruppe von Entwicklungsländern um China, Indien, Iran und Saudi-Arabien – die sogenannten "Gleichgesinnten" – will hier erreichen, dass für Entwicklungsländer der "gemeinsame Zeitrahmen" freiwillig ist.

Das geht aber selbst den Nichtregierungsorganisationen zu weit. Der Vorschlag der "Gleichgesinnten", hier eine Differenzierung zwischen Industrie- und Entwicklungsländern einzuführen, "widerspricht dem Verhandeln in gutem Treu und Glauben", schrieben sie. Ähnlich sehen das andere Entwicklungsländergruppen, etwa die kleinen Inselstaaten (Aosis), die fortschrittlichen lateinamerikanischen Staaten (Ailac) oder die ärmsten Länder (LDC).

"Mit dem Paris-Abkommen ist eine neue Dynamik entstanden", sagt Perrez. "Die Konfliktlinien verlaufen nicht mehr zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten, sondern zwischen denjenigen, die eine robuste Umsetzung des Paris-Abkommens wollen, und denjenigen, die wichtige Elemente des Abkommens abschwächen wollen."

Während die "Gleichgesinnten" mit China einen klaren Anführer haben, fehlt dieser aber den anderen Ländern. Mohamed Adow hofft hier auf die Europäer: "Die Welt schaut auf die EU als dem Erwachsenen im Raum." Ob Europa diese Rolle ausfüllen kann, ist aber ungewiss.

So verkompliziert die EU etwa die Diskussion über den "gemeinsamen Zeitrahmen" weiter. Die ärmsten und verletzlichsten Länder sowie die Umweltorganisationen fordern hier fünf Jahre. Die EU plant intern hingegen mit zehn Jahren und will das nicht ändern. "Wenn die EU auf fünf Jahre einschwenken würde, gäbe es eine ganz andere Dynamik", erklärt Adow, um dann zu bedauern: "Die EU geht nicht strategisch vor und hat es nie getan."

Im Hinblick auf den Klimagipfel in Katowice besteht zudem die Befürchtung, die EU könne "zu weich" verhandeln, weil sie einen Gipfel in einem EU-Land unbedingt zum Erfolg führen will.

Länder müssen ehrgeiziger bei ihren Klimazielen werden

Ob Katowice ein Erfolg wird, hänge aber nicht nur von der Verabschiedung des Regelbuchs ab, sagt Alden Meyer vom US-Wissenschaftsverband Union of Concerned Scientists: "Katowice muss auch den Schwung dafür bringen, dass Länder ehrgeiziger beim Senken ihrer Emissionen werden."

Hier könnte die EU Führungsstärke zeigen: Derzeit diskutiert sie, bis zum Jahr 2030 ihre Treibhausgas-Emissionen nicht nur um 40, sondern um 45 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Bisher gibt Deutschland aber den Bremser.

Ähnlich ist es in China: Die Regierungs-Denkfabrik NCSC kam im Juni in einer Studie zu dem Schluss: "China hat das Potenzial und die Voraussetzungen für eine Verbesserung" des Klimaziels. Dieses sieht bislang noch vor, dass die Emissionen im Jahr 2030 ihren Höhepunkt erreichen.

Die Verabschiedung des Regelbuchs noch in diesem Jahr wird ein "Wettlauf gegen die Zeit", fürchtet Rixa Schwarz von der Umweltorganisation Germanwatch. Nach ihrer Einschätzung hat es bei einigen zentralen Umsetzungsregeln deutliche Fortschritte gegeben, so bei denen zur Transparenz der Maßnahmen für Klimaschutz und Klimaanpassung. Bei anderen Elementen seien die politischen Differenzen aber so groß, dass noch keine konkreten Textentwürfe erarbeitet werden konnten.

Schwarz: "Wenn die Verhandler heute die Textentwürfe zur Seite legen und erst im Dezember in Katowice wieder hervorholen würden, wäre die Zeit zu knapp. Deshalb ist es wichtig, dass die Vorsitzenden der Verhandlungsgruppen den Auftrag bekommen, bis dahin weiter am Text zu arbeiten."

Dass ein Erfolg in Katowice noch nicht sicher ist, zeigt schließlich auch eine überraschende Maßnahme des UN-Klimasekretariats: Dieses hat die Konferenz in Polen um einen Tag verlängert. Das war selbst vor drei Jahren in Paris nicht nötig.