Die Anführer zweier indigener Völker in Brasilien haben beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eine Beschwerde gegen den Präsidenten ihres Landes, Jair Bolsonaro, eingereicht. Nun muss das Gericht entscheiden, ob eine formelle Untersuchung eingeleitet wird.
Bolsonaro werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Er zerstöre systematisch den Amazonas-Regenwald, sei verantwortlich für die Ermordung von Umweltaktivisten und Indigenen und unterminiere die Arbeit der Behörden für den Schutz der Umwelt und der Indigenen.
"Die Situation ist das direkte Resultat der Politik von Jair Bolsonaro", heißt es in der Beschwerdeschrift. Der Staatsführer wolle "alle Barrieren gegen die Plünderung der Schätze Amazoniens beseitigen".
Für die verschiedenen Vorwürfe lassen sich unschwer Indizien finden. Seit Bolsonaro im Jahr 2019 das Präsidentenamt übernommen hat, hat die Entwaldung um die Hälfte zugenommen und liegt jetzt auf dem höchsten Niveau seit 2008.
Verletzungen von Schutzgebieten für Indigene nahmen im Jahr 2019 um 135 Prozent zu. Mindestens 18 Menschen wurden ermordet. Gleichzeitig gingen die Verurteilungen für Umweltverbrechen im vorletzten Jahr um 40 Prozent zurück. Zudem wurde die Zuständigkeit für die indigenen Schutzgebiete auf das Landwirtschaftsministerium übertragen.
Das Umweltministerium erhält dieses Jahr so wenig Geld wie noch nie in den letzten 21 Jahren. In dieser Zeit lag das Budget nie unter 450 Millionen Euro, dieses Jahr beträgt es 260 Millionen. "Es ist beängstigend zu sehen, dass es einen koordinierten Angriff gegen das Klima, den Wald und seine Menschen gibt", sagte Marcio Astrini, der Chef der brasilianischen Umweltorganisation Observatório do Clima.
Die Beschwerde gegen Bolsonaro wurde von dem wohl bekanntesten Menschenrechtsanwalt Frankreichs, William Bourdon, eingereicht. Dieser hofft einen Präzedenzfall schaffen zu können: Er will, dass der Strafgerichtshof Bolsonaro wegen "Ökozid" schuldig spricht.
Umweltverbrechen aus dem Statut gestrichen
Dieser Tatbestand ist aber im Römischen Statut, auf dem der Internationale Strafgerichtshof beruht, eigentlich nicht vorgesehen. Das 2002 in Kraft getretene Statut benennt vier "Verbrechen gegen den Frieden": Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und das "Verbrechen der Aggression".
In den Verhandlungen über das Römische Statut stand Ökozid lange als fünftes Verbrechen gegen den Frieden im Verhandlungstext. Doch 1996 verschwand es "unter mysteriösen Umständen" aus dem Text, wie ein Forschungsbericht der britischen Wissenschaftsorganisation Human Rights Consortium aufgedeckt hat.
Schwere Umweltverbrechen werden jetzt nur noch im Rahmen von Kriegsverbrechen erwähnt, aber nicht im Rahmen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die Schwelle für Bourdon liegt also hoch, wenn er sagt: "Ökozid dieser Intensität muss als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet werden."
Ganz unmöglich ist es aber nicht, dass Bourdon Erfolg hat. Der Internationale Strafgerichtshof hat im Jahr 2016 selbst anerkannt, dass er Verbrechen gegen die Menschlichkeit in einem weiteren Kontext sehen muss: Die Anklagebehörde des Gerichtshofs "wird der Verfolgung von Straftaten nach dem Römischen Statut besondere Aufmerksamkeit widmen, die durch die Zerstörung der Umwelt begangen werden oder dazu führen".
Daher ist nicht ausgeschlossen, dass der Internationale Strafgerichtshof jetzt diesem Vorsatz nachkommt und tatsächlich einen Präzedenzfall schafft. Wann das entschieden wird, ist allerdings unklar. Der Gerichtshof in Den Haag kann sich mit seiner Entscheidung, ob er eine formelle Untersuchung der Vorwürfe einleitet, beliebig lange Zeit lassen.