Ein Kind steht am Rand des Flüchtlingslagers Dadaab in Kenia vor Gräbern, in denen 70 Kinder beerdigt wurden, die an Unterernährung gestorben sind.
Flüchtlingslager in Ostafrika: Flucht und Migration haben meist nicht nur eine Ursache. (Bild: Oxfam East Africa/​Wikimedia Commons)

Die internationale Migrations- und Klimapolitik geht davon aus, dass der anthropogene Klimawandel bereits jetzt und in zunehmendem Maße eine wichtige Triebkraft für die Massenmigration aus dem globalen Süden in den globalen Norden ist und sein wird.

Die Staaten der Klimarahmenkonvention fordern ausdrücklich, Klimaflucht zu verhindern, zu minimieren und zu bekämpfen. Auch der UN-Sicherheitsrat warnt vor einer massenhaften Klimamigration und dem daraus resultierenden Risiko einer Verschärfung von Konflikten.

Obwohl der Klimawandel das reale Potenzial hat, Lebensgrundlagen zu zerstören und Leben zu bedrohen, verstärken diese Forderungen und Warnungen ein falsches Narrativ, das eine große Zahl von "Klimaflüchtlingen" vorhersagt. Dieses in der wissenschaftlichen Literatur und in politischen Berichten verankerte Narrativ hat zur Folge, dass die Klimamigration ohne empirische wissenschaftliche Grundlage als eine drohende Sicherheitskrise betrachtet wird.

Was sagt die Klimaforschung? Sie hat detailliert erarbeitet, wie sich der Klimawandel in verschiedenen Teilen der Erde unterschiedlich ausprägt, etwa durch den Anstieg des Meeresspiegels, durch Extremereignisse wie Dürren, Überschwemmungen oder Hitze.

Sorgen bereiten uns Forschern die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschen, insbesondere die Bedrohung der Ernährungssicherheit und die Gefahr von Hungersnöten.

Es stimmt, dass die Auswirkungen des Klimawandels ungleich verteilt sind. Es gibt Lebewesen, die an extreme Bedingungen angepasst sind. Menschen gehören nicht dazu, sie bekommen bei Hitze schon relativ schnell Probleme. Umgebungstemperaturen von über 40 Grad sind nur schwer auszuhalten, besonders für ältere Menschen.

Bei fortschreitender Erwärmung werden Gebiete auf der Erde unbewohnbar werden. Häufig sind marginalisierte Gemeinschaften, die in wirtschaftlich benachteiligten Gebieten leben oder ethnischen Minderheiten angehören, stärker von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen.

Plakative Darstellung lädt zum Missbrauch ein

Mit Bezug darauf wird in der öffentlichen Debatte eine Verbindung von Klimawandel und Migration sehr plakativ verwendet. Dabei wird das Narrativ vom Klimawandel und der sich anbahnenden Massenmigration stark vereinfacht und es wird außer Acht gelassen, wie der Klimawandel tatsächlich zur Migration beiträgt.

Tatsächlich zeigt sich, dass Migration von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst wird, darunter wirtschaftlichen, politischen und sozialen. Der sich immer stärker abzeichnende Klimawandel ist nur ein Teil des Bildes.

Bild: Kerstin Rolfes

Gerrit Lohmann

ist Professor am Alfred-Wegener-Institut in Bremer­haven und vertritt den Bereich "Physik des Klima­systems" an der Universität Bremen. Sein Arbeits­gebiet umfasst die Entwicklung und Analyse komplexer Modelle zur Simulation von abrupten Klima­schwankungen, ein­schließ­lich der Über­gänge von Eis­zeiten zu Warm­zeiten und zukünftigen Klima­zuständen.

Andere wichtige Faktoren sind Perspektivlosigkeit, Kriege und benachteiligende Strukturen, auch durch den Kolonialismus verursacht. Die Aussage, dass "Migranten unseren Wohlstand bedrohen", ist ein häufig geäußerter Standpunkt in der gegenwärtigen Diskussion, der jedoch vielfältiger Kritik ausgesetzt ist.

Es ist aber auch zu beachten, dass diese Aussage von politischen Überzeugungen, wirtschaftlichen Interessen und kulturellen Vorstellungen beeinflusst wird. In diesem Zusammenhang besteht Handlungsbedarf, globale Ungerechtigkeiten und die Verzweiflung von Menschen zu beenden und wirklich emanzipatorische Ansätze zu verfolgen.

Es ist allerdings zu befürchten, dass das Narrativ des Klimawandels und der Migration dazu beitragen kann, Migranten einen Stempel aufzudrücken, indem man sie als "Klimaflüchtlinge" bezeichnet. Dies kann dazu führen, dass die tatsächlichen Gründe für Migration und die individuellen Geschichten der davon betroffenen Menschen übersehen werden.

Gegenwärtig wird nicht ausreichend differenziert, weder zwischen den verschiedenen Arten von Migration noch zwischen den unterschiedlichen Auswirkungen des Klimawandels auf verschiedene Regionen und Gemeinschaften.

 

Es könnte so weit kommen, dass der Klimawandel instrumentalisiert wird, indem Migranten als Sündenböcke für Umweltprobleme missbraucht und als zukünftige große Bedrohung für die aufnehmenden Gemeinschaften betrachtet werden. Weiter ist zu befürchten, dass als politische Agenda das Hauptaugenmerk auf die Migration als angenommene Reaktion auf den Klimawandel gelegt wird statt auf die Verhinderung des Klimawandels selbst.

Eine plakative Darstellung massenhafter Klimamigration als Bedrohung unserer Gesellschaft kann von rechten Parteien missbraucht werden. Das trägt rassistische Züge. Denn der Hauptverursacher des Klimawandels ist der globale Norden.