Die Debatten um Energiepolitik und Atomwaffen werden bei den offiziellen Atommächten – anders als beim Iran oder Nordkorea – selten zusammengebracht. "Die Trennung zwischen zivilen und militärischen Aktivitäten ist eines der unantastbarsten Prinzipien in der Weltpolitik", sagen Andrew Stirling, Professor für Wissenschafts- und Technologiepolitik an der Uni Sussex SPRU, und sein Mitarbeiter Philip Johnstone. Mit diesem Tabu brachen die beiden Wissenschaftler unlängst im britischen Guardian. "Gibt es tiefere Verbindungen zwischen Großbritanniens nuklearer Abschreckung und seinem Bekenntnis zur Atomkraft?", fragten sie und zeigten Stück für Stück auf, wie die Verbindungslinien laufen.
Die Regierung von David Cameron steht vor zwei Richtungsentscheidungen zur nuklearen Infrastruktur. Zum einen geht es um die künftige Ausrichtung der Energiepolitik. Das teuerste Kraftwerk der Welt, Hinkley Point C, soll mit zwei Reaktorblöcken à 1.600 Megawatt für umgerechnet 34 Milliarden Euro gebaut werden. Umweltschützer rechnen Baukosten von etwa 11.000 Euro pro Kilowatt installierter Leistung vor, also rund 700 Prozent der Installationskosten einer Solaranlage.
Energieministerin Amber Rudd bekräftigte jüngst ihre Begeisterung für das Hochsubventions-Projekt, dessen staatlich garantierte Vergütung sich über die Laufzeit von 35 Jahren auf über 108 Milliarden Euro summieren soll, zusätzlich zu den Baukosten. Fast gleichzeitig strich ihr Ministerium die Förderung für erneuerbare Energien. Eine bemerkenswerte Weichenstellung, soll doch der AKW-Neubau vom Typ EPR – bekannt durch die Fiasko-Baustellen in Finnland und Frankreich – nach hochoptimistisch kalkulierter Bauzeit von sieben Jahren bescheidene sieben Prozent des britischen Strombedarfs decken. Zum Vergleich: Sieben Jahre nach Inkrafttreten des deutschen EEG lieferten die Erneuerbaren schon zusätzliche acht Prozent, in den darauffolgenden sieben Jahren kamen weitere 13 Prozent hinzu.
Die zweite atomare Grundsatzentscheidung betrifft die Erneuerung der nuklearen Abschreckung. 160 Atomsprengköpfe besitzt Großbritannien auf Trident-Interkontinentalraketen, verteilt auf vier atomar angetriebene U-Boote der Vanguard-Klasse, stationiert im schottischen Marine-Hafen Faslane sowie in unterirdischen Bunkern in Hafennähe. Die Runderneuerung sei dringend notwendig und Premier Cameron daher bereit, die benötigten 30 Milliarden Euro aus dem Steuersäckel springen zu lassen. Doch 2013 teilte der liberaldemokratische Koalitionspartner die konservative Freude an der Abschreckung nicht, die Entscheidung wurde auf 2016 vertagt.
"Waffenfähiges Material als Nebenprodukt"
"Angeblich völlig verschieden, haben jedoch beide Entscheidungen gemein, dass sie sehr umstritten und extrem teuer sind, sich quälend in die Länge ziehen und häufig von brachialer Rhetorik begleitet werden", stellen Johnstone und Stirling fest. Es bestehe ein starker Zusammenhang zwischen denen, "die besonders eifrig neue AKW bauen wollen, und denen, die besonders stark den Wunsch zum Ausdruck bringen, ihr Atomwaffenarsenal aufrechterhalten zu wollen." Historisch sei "die Verbindung zwischen der Begeisterung für die Atomkraft und für Atomwaffen gut untersucht." Die größte Aufmerksamkeit wurde auf Möglichkeiten gerichtet, atomwaffenfähiges Material abzuzweigen.
Hier mahnen die Wissenschaftler mit Blick auf Großbritannien jedoch Sorgfalt an. Was für die Anfänge der Atomkraft-Entwicklung entscheidend war und auch in Bezug auf die gegenwärtige Proliferation waffenfähigen Materials eine Bedrohung bleibt, erkläre die besonderen britischen Verhältnisse nicht. Einerseits wegen des "funktionierenden weltweiten Atomwaffen-Kontrollregimes" und andererseits, weil Großbritannien seit dem Ende des Kalten Krieges eine enorme Menge von waffenfähigem Material angehäuft habe. Unter dem irreführenden Namen "Wiederaufbereitung" wurde diese "Plutonium-Schwemme" in Sellafield erbrütet.
In der öffentlichen Wahrnehmung würden die Dinge oft durcheinandergebracht, zeigt das Institut für Ingenieurwesen und Technik IIT einem Unterhaus-Ausschuss auf und führt weiter aus: "Einrichtungen wie Sellafield wurden ursprünglich entwickelt, um waffenfähiges Material für das Militär als Nebenprodukt der Stromproduktion zu extrahieren."
Atom-U-Boote permanent auf "Streife"
Hier stellen Stirling und Johnstone die spannenden Fragen: "Was ist, wenn diese Verbindungen weniger mit den Waffen selbst, sondern vielmehr mit den umfangreichen technischen Systemen zu tun hat, die erforderlich sind, um die dazugehörigen Atom-U-Boote zu betreiben?" Schließlich sei es diese erstaunliche technische Meisterleistung, mit deren Reichweite und Kapazität man anstrebe, die nukleare Abschreckung glaubhaft zu machen.
Die Autoren fragen: "Gibt es die Sorge, dass der Verlust der zivil-nuklearen Kapazitäten dazu führt, dass die Glaubwürdigkeit der nuklearen Abschreckung abnimmt? Gibt es parallel zu anderen Staaten etwas wie einen 'tiefen Angstzustand' in Großbritannien, man könne die auf der internationalen Bühne gepflegte Elite-Identität verlieren, die einem durch die nukleare Abschreckung verliehen wird?" Darüber hinaus befürchte Großbritannien, seinen Einfluss in der Welt und seinen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu verlieren. Also kreuzt ständig eines der vier atomar betriebenen Vanguard-U-Boote patrouillierend in den Weltmeeren herum. Dazu kommen weitere sieben atomar betriebene Jagd-U-Boote.
Außenminister Philip Hammond zog schon als Verteidigungsminister die Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft einer "Teilzeit-Abschreckung" vor. Dieser ganz spezielle "Kriegszustand" des Vereinigten Königreichs habe also richtungsweisenden Einfluss auf Technologie-Strategien, wie auch der Historiker David Edgerton in seinem Buch "Warfare State" ausführt.
Im U-Boot-Antrieb liegt also der Schlüssel zum Verständnis, mobile Druckwasserreaktoren, die von entsprechend ausgebildetem Personal betrieben und gewartet werden müssen. Der einzige stationäre Druckwasserrektor Sizewell B soll also "Nachwuchs" in Hinkley Point bekommen – zwei Europäische Druckwasserreaktoren EPR.
Die spektakulärste Kehrtwende
Welche dramatischen Wendungen nationale Technologie-Strategien nehmen können, zeigen Johnstone und Stirling anhand des Weißbuchs zur künftigen Energieversorgung. In der 2003er Ausgabe verwarf Tony Blairs New-Labour-Regierung Atomstrom als unattraktiv und zu teuer. Das Land, das durch seine Insellage über hervorragende Windstandorte an Land und offshore verfügt, "soll stattdessen Erneuerbare und Energieeffizienz fördern".
Diese Einsicht währte jedoch nicht lang. Völlig überraschend folgte eine der spektakulärsten Kehrtwenden in der jüngeren britischen Politik. Nach nur drei Jahren wurde eilends ein neuer Energy Review fertiggestellt. Es gab weder Veränderungen der Rahmenbedingungen noch neue Argumente. Trotzdem setzte das Papier von 2006 eine robuste Pro-Atom-Politik in Kraft. Und obwohl es durch eine juristische Überprüfung gekippt wurde, weil es zu oberflächlich war, entgegnete die Blair-Regierung nur scharf, dass jegliche weitere Neubewertung "die eingeschlagene politische Richtung in keiner Weise beeinflussen" könne. Seitdem, so Johnstone und Stirling, habe sich die britische Befürwortung der Atomkraft immer mehr gefestigt.
Eva Stegen
ist promovierte Biologin und eine streitbare Kämpferin für erneuerbare Energien. Bei den "Stromrebellen" der Elektrizitätswerke Schönau engagiert sie sich als Energiereferentin.
Im selben Zeitraum fand hinter den Kulissen ein intensiver politischer Aufruhr um die geheimnisvolle U-Boot-Frage statt. Bis 2004 lief die kapitalkräftige KOFAC-Kampagne (Keep Our Future Afloat – "Haltet unsere Zukunft über Wasser"), die darauf abzielte, die Auslastung der Barrow-Werft aufrechtzuerhalten, in der Atom-U-Boote und Kriegsschiffe gebaut werden.
Eine der effektivsten Lobbygruppen des Landes, ein Konsortium aus Atomindustrie, Gewerkschaften und atomabhängigen lokalen Behörden, sollte – so ist es einem offiziellen EU-Papier zu entnehmen – "Lobbying für den Marineschiffbau als Kernstück der Rüstungsindustrie des Landes bei politischen Ereignissen und Veranstaltungen der Rüstungsindustrie" betreiben.
Dieselbe Organisation engagierte sich auch eifrig in der energiepolitischen Beratung und hob die Wichtigkeit eines gemeinsamen Kompetenzpools für den zivilen und militärischen Nuklearbereich hervor. War das 2003er Energie-Weißbuch noch etwas aus der Art geschlagen, so wurde schon 2005 beim US-amerikanischen Streitkräfte-Berater RAND eine Studie für das britische Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben. Diese beschrieb detailliert die Risiken, denen das Abschreckungs-Konzept und die U-Boot-Bauer durch Arbeitskraft- und Know-how-Verlust ausgesetzt seien.
Zivil-militärische Verbindungen knüpfen
Mit derselben Stoßrichtung folgte eine ganze Serie ähnlicher Dokumente aus dem Verteidigungsministerium, dem Verteidigungsausschuss und anderen Sicherheitseinrichtungen. Schließlich wurde 2006 auch ein neues Weißbuch zur Verteidigungspolitik vorgelegt, das nochmals das Bekenntnis zur nuklearen Abschreckung bekräftigt. Gleichzeitig erschienen ängstliche Parlaments-Veröffentlichungen, neue Forschungsprogramme wurden aufgelegt und die Regulierungsbehörden stimmten auf der zivilen Seite mit ein in das Geschrei, "die nukleare Option offenzuhalten".
Der britische U-Boot-Bauer BAE Systems brachte eine Gruppe von Schlüssel-Zulieferern zusammen, um die Koordination innerhalb der nuklearen Bauunternehmer zu verbessern. All das gipfelte 2009 in der Eröffnung des Global Nuclear Skills Institute durch die Regierung. Aufgabe dieses "Nuklear-Kompetenz-Instituts": ohne großes Aufsehen Verbindungen für die entscheidenden Kompetenzen zwischen dem zivilen Sektor und dem Verteidigungsbereich knüpfen.
"Unsere Reaktoren sind modular gestaltet. Die Art von Modulen, die BAE Systems in seine U-Boote montiert, ist exakt vom selben technologischen Ansatz wie die, die wir in unseren Kernkraftwerken verwenden", gab Adrian Bull, Sprecher des Reaktorbauers Westinghouse, in einer Unterhaus-Ausschusssitzung im Juli 2008 zu Protokoll. "Es gibt also viel Spielraum für einen fruchtbaren Austausch und Synergien zwischen beiden Seiten. Da sind Potenziale für Menschen, die auf der einen Seite einsteigen und ihre Karriere in dem anderen Bereich fortsetzen, und ich denke, dass diese Vielfalt ein Plus an Attraktivität ist, um Menschen in die Kernenergie zu holen."
Die Konkurrenz von der französischen Areva teilt die Sorge über Kompetenzverlust durch Nachwuchsmangel. Areva-Chef Robert Davies, der später den Zuschlag für die EPR-Blöcke in Hinkley Point bekam, sagte, er sehe den britischen Markt als "Sprungbrett für eine europäische Atom-Renaissance". Bevor Davies für den Reaktorneubau bei Areva zuständig war, kommandierte er 25 Jahre lang bei der Royal Navy Kriegsschiffe.