Logo des Betreibers EDF am Eingang des Atomkraftwerks Nogent-sur-Seine, im Hintergrund die beiden Kühltürme.
Keine Energiewende: Frankreichs staatlicher Energiekonzern EDF will die Laufzeit seiner 32 ältesten AKW-Blöcke auf 50 Jahre verlängern. (Foto: Olrat Bry/​Shutterstock)

Johanna Frei: In Frankreich werden 71 Prozent des Stroms mit Atomkraft produziert. Die Gruppe Radiaction stellt sich dagegen und sieht hier ein Aktionsfeld für Klimagerechtigkeit. Wieso?

Emma: Als wir uns 2019 gegründet haben, haben wir uns den französischen Strommarkt angeschaut und gesehen, dass vor allem die Atomenergie die Wende zu einem gerechten und nachhaltigen Energiesystem auf der Basis erneuerbarer Energien blockiert.

Gleichzeitig müssen die jetzt laufenden Atomkraftwerke in den nächsten Jahren abgeschaltet werden, weil sie ihre Lebensdauer überschreiten. Frankreich muss sich also in den nächsten Jahren entscheiden, weiter auf den Atompfad zu setzen oder auf erneuerbare Lösungen. Wir als neue Generation von Klima- und Anti-Atom-Aktivist:innen wollen Druck machen, damit letzteres geschieht.

Warum kann Atomkraft die Klimaveränderung nicht stoppen?

Die Reaktorunfälle in Tschernobyl und Fukushima vor 35 und vor zehn Jahren zeigen ganz deutlich die Gefährlichkeit von Atomkraftwerken. Außerdem gibt es bisher weltweit keinen verantwortungsvollen Umgang mit dem anfallenden Atommüll. So sieht keine Lösung für die Zukunft aus.

Hinzu kommt noch, dass Atomkraft unglaublich teuer und langsam im Ausbau ist. In Frankreich wird zurzeit ein neuer Reaktor in Flamanville in der Normandie gebaut. Gestartet ist man 2007 mit einer Bauzeit von fünf Jahren und Kosten von drei Milliarden Euro. Jetzige Schätzungen gehen von mindestens 17 Jahren Bauzeit und 19 Milliarden Euro Kosten aus.

Emma von der französischen Klima- und Antiatomgruppe Radiaction
Foto: privat

Emma von Radiaction

engagiert sich für die Klima­gerechtigkeits­bewegung, seit sie 2018 mit französischen Gruppen an einer Aktion des Bündnisses "Ende Gelände" gegen den Braun­kohle­abbau in Deutschland teilnahm. Diese Erfahrung überzeugte sie von der Stärke internationaler Massen­mobilisierung gegen den Klimawandel. In Frankreich schloss sie sich der Anti-Atom- und Klima­gerechtigkeits­gruppe Radiaction an. Diese setzt sich dafür ein, dass Atomkraft keinen Platz in der Klima­bewegung hat.

Und das ist die Regel bei Neubauten, wir sehen das Gleiche bei den Projekten in Großbritannien und Finnland. Für die Klimakrise brauchen wir aber jetzt eine Lösung, und das ist ein partizipatives Energiesystem, das auf dem unverzüglichen Ausbau der erneuerbaren Energien basiert und mit einer Politik der Energieeffizienz kombiniert wird.

Das Euratom-Abkommen verpflichtet seit über 60 Jahren alle Staaten der EU und ihrer Vorgänger, sich positiv zur Atomkraft zu verhalten. Allein in den letzten vier Jahren hat die EU mehr als fünf Milliarden Euro in die nukleare Forschung gesteckt, kaum weniger als in die erneuerbaren Energien.

Die Mitgliedschaft im Euratom-Vertrag ist für alle EU-Mitglieder verpflichtend. Dabei ist bezeichnend, dass große Summen in die Atomkraft fließen, aber das EU-Parlament nicht mitbestimmen darf. Es gibt insgesamt ein großes Demokratiedefizit, wenn es um die Nutzung von Atomenergie geht.

Da hilft es auch nicht, dass besonders in Frankreich und Großbritannien die sogenannte zivile Nutzung der Atomkraft eng mit dem militärischen Atombombenprogramm verbunden ist. Das System Atomkraft steht hier für ein undemokratisches System der Stromproduktion und Entscheidungsfindung, das wir im Gesamten ablehnen.

In der europäischen Klimagerechtigkeitsbewegung wird zurzeit viel über Antirassismus und Antikolonialismus gesprochen. Der ganz überwiegende Teil des Urans, das für den Betrieb der Atomkraftwerke verwendet wird, kommt aus dem globalen Süden oder aus indigenen Gebieten.

"Don't nuke the climate!"

Als Antwort auf den Druck der Atomkonzerne haben 81 Gruppen aus 14 europäischen Ländern eine Erklärung gegen Atomkraft als Lösung für die Klimakrise unterzeichnet. Neben Klima- und Anti-Atom-Gruppen sind auch Organisationen wie Attac Frankreich und Powershift sowie Ökostromer wie die Bürgerwerke eG dabei.

Das ist auch so ein Punkt, den die wenigsten Menschen bedenken, wenn es um Atomkraft geht. Der Uranabbau ist unglaublich dreckig und gefährlich für Menschen und die Umwelt, mit immensen Langzeitfolgen. Ich bin sehr froh, dass in unserem Statement gegen Atomkraft als Klimalösung dieser Punkt so klar benannt wird.

Frankreich führt mit der Atomkraft auch ganz klar koloniale Ausbeutung weiter. Das Uran, das in Frankreich für den eigenen Verbrauch und den Export verarbeitet wird, kommt oft aus ehemaligen Kolonien. Mit den Folgen des Abbaus werden die Menschen vor Ort aber allein gelassen.

In Deutschland werden in Lingen und Gronau atomare Brennstoffe aus Uran für den Export produziert. Es gibt keine Bestrebungen, diese Anlagen mit dem deutschen Atomausstieg 2022 stillzulegen. Wie es aussieht, bleibt überall noch viel zu tun mit alten und neuen Atomprojekten. Allerdings gibt es auch in der Klimabewegung noch keinen Anti-Atom-Konsens ...

Das stimmt leider. Die Atomlobby verstärkt gerade nicht nur ihren Druck auf die Politik, sondern versucht auch junge Klimaaktivist:innen anzusprechen. Wir wollen mit dem Statement auch die Diskussion über Atomkraft in den Gruppen anregen.

Und tatsächlich haben wir zum Teil die Rückmeldung bekommen, dass Gruppen nicht oder noch nicht unterzeichnen können, weil einige in ihren Reihen Atomkraft befürworten. Hier wollen wir die Diskussion weiterführen, bis ganz klar ist, dass Atomkraft in einer klimagerechten Welt keinen Platz hat.

Aber natürlich braucht es auch politische Aktionen nach außen, um von unserer Seite Druck auf die Politik aufzubauen. Noch haben wir die Möglichkeit, eine neue Generation von Atomkraftwerken zu verhindern. Wenn wir sie nicht nutzen, wird es schwierig, den Klimawandel aufzuhalten.

Porträtaufnahme von Johanna Frei.
Foto: privat

Johanna Frei

hat vor zehn Jahren bei der Aktion "Castor Schottern" den letzten Castor­transport nach Gorleben blockiert. Heute ist sie im Rheinischen Braun­kohle­revier in der Klima­gerechtigkeits­bewegung aktiv und versucht Klima- und Anti-Atom-Bewegung zusammen­zu­denken.

Die Erklärung ist ja ein europäisches Statement, und auch viele Gruppen aus Ländern, die keine Atomenergie nutzen, haben unterzeichnet.

Eine klare Anti-Atom-Position ist wichtig für Klimagerechtigkeitsgruppen in allen europäischen Ländern.

Zum einen kennt radioaktive Strahlung keine Grenzen. Wenn ein Unfall passiert, dann sind die Menschen weiträumig betroffen. Das Risiko für einen Unfall steigt auch, weil alle Reaktoren in Europa sehr alt sind. Nicht nur in Frankreich, auch in Spanien und den Niederlanden wurden die Laufzeiten schon auf Kosten der Sicherheit verlängert.

Zum anderen stehen in ganz Europa zurzeit Entscheidungen an, wie es mit der Atomkraft weitergehen soll. Polen will zum Beispiel den Großteil seiner Kohlekraftwerke durch Atomkraft ersetzen. Heute hat Polen noch gar keine Atomkraft, will also ein riesiges Atomprogramm starten. Das ist natürlich Wahnsinn.

Die Atomlobby pusht gerade auch stark die Idee, dass Mittel aus dem Green Deal der EU, die für die Energiewende gedacht sind, für Atomkraft ausgegeben werden können. Das muss auf jeden Fall verhindert werden. Atomkraft ist weder erneuerbar noch grün oder nachhaltig.

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