Fotomontage: Auf einem verdorrten Feld, über dem ein Unwetter geraufzieht, steht eine geöffnete Tür, hinter der dieselbe Landschaft fruchtbar und heil erscheint.
Alles eine Frage der Perspektive. (Bild: Marko Aliaksandr/​Shutterstock)

Die Zahlen haben es in sich. Im Februar wurde eine Umfrage des Online-Marktforschungsinstituts Appinio veröffentlicht, bei der eintausend junge Menschen in Deutschland nach dem Zusammenhang zwischen Kinderwunsch und Klimawandel befragt worden sind.

Ergebnis: Mehr als ein Viertel der 16- bis 24-Jährigen erklärte, aufgrund der Klimakrise keine Kinder bekommen zu wollen. Ein weiteres Viertel gab an, ihr Kinderwunsch habe sich abgeschwächt.

Das klingt erschreckend, einerseits. Andererseits: Wen wundert's? "Es ist üblich geworden, dass Kindern gesagt wird, sie werden wegen des Klimawandels sterben", beginnt die britische Datenjournalistin Hannah Ritchie von der Universität Oxford ihr im Frühjahr auf Deutsch erschienenes Buch "Hoffnung für Verzweifelte" (englisch: "Not the End of the World").

"Wenn sie keine Hitzewelle erwischt, dann wird es ein Waldbrand sein. Oder ein Hurrikan, eine Überschwemmung oder eine Hungersnot", beschreibt Ritchie die wenig mutmachende Lage.

Die Welt ist längst auf Besserungskurs

Lange herrschte nicht mehr solch eine Weltuntergangsstimmung. Auch Ritchie war viele Jahre davon überzeugt, dass sie keine Zukunft haben werde, in der es sich lohne zu leben. Überall, so ihr Eindruck, gehe es bergab: Klimawandel, Entwaldung, Luftverschmutzung, Überfischung, Artenkrise ... "Ich glaubte, dass ich gerade inmitten der größten Tragödie der Menschheit lebe", schreibt sie.

Doch dann sei sie einen Schritt zurückgetreten, habe sich alle Daten genau angesehen – Ritchie ist wissenschaftliche Leiterin des Portals "Our World in Data" – und habe festgestellt: Alle ihre früheren Annahmen seien falsch gewesen. Die Welt sei im Gegenteil längst auf Besserungskurs.

Klar, es sei noch viel zu tun, räumt sie ein – aber die Richtung stimme. Die Welt sei nicht verloren. Schluss mit der Schlechtmalerei, das paralysiere nur. Seien wir optimistisch und gehen die Probleme mit Zuversicht an!

Beim Rezensenten als langjährigem Klimajournalisten stellen sich beim Lesen von Ritchies Buch ambivalente Gefühle ein. Zunächst ist das alles zugegebenermaßen äußerst erfrischend. Lange Zeit wurden die Menschen nur so bombardiert mit schlechten Nachrichten, dass Ritchies Perspektive fast schon verboten frech erscheint. Sie lässt einen durchatmen und begierig Seite um Seite umblättern. Warum sich nicht erstmal darauf einlassen?

An acht Themen – Nachhaltigkeit, Luftverschmutzung, Klimawandel, Entwaldung, Ernährung, Biodiversität, Plastik in den Meeren und Überfischung – dekliniert die Autorin durch, welche Verwüstungen der Mensch angerichtet hat, aber auch, wie er in den vergangenen Jahren darauf reagiert hat und vieles wieder zum Besseren drehen konnte. Das ist mitunter sehr überraschend.

So gingen vor einigen Jahren die meisten Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler noch davon aus, dass wir auf eine 4,5 oder gar sechs Grad wärmere Welt zusteuern, eine Welt des Chaos, in der sich unsere Zivilisationen nur schwer halten würden.

Immer mehr Regierungen bekennen sich zu Klimaneutralität

Diese pessimistische Sicht hat sich inzwischen gewandelt: Eine Beschränkung der Erderwärmung auf zwei Grad Celsius erscheint nicht mehr unmöglich. Dazu würde es fast schon reichen, wenn alle Länder der Welt ihre Klimaschutz-Versprechen erfüllen würden, die sie in den vergangenen Jahren abgegeben haben.

Auch bekennen sich mehr und mehr Regierungen zur CO2-Neutralität als Ziel für die Mitte des Jahrhunderts. Klar, selbst Europa und Deutschland kämpfen damit, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Aber es ist ein Anfang.

Aber Versprechungen sind das eine, die wirkliche Entwicklung das andere: Noch immer steigen die CO2-Emissionen an und erreichten 2023 weltweit einen Höhepunkt. Wo, bitte schön, ist da die Wende?

Sie werde sichtbar, wenn man eben einen Schritt zurücktrete, entgegnet Ritchie: Die Welt habe bereits den Höhepunkt bei den CO2-Emissionen überschritten, denn seit dem Jahr 2012 würden die Pro-Kopf-Emissionen sinken.

Für die Autorin ist das ein Zeichen dafür, dass auch die gesamten weltweiten CO2-Emissionen bald ihren Höhepunkt erreichen – und danach abfallen werden. Noch sei das Bevölkerungswachstum daran schuld, dass zwar die Pro-Kopf-Emissionen sinken, nicht aber die CO2-Emissionen insgesamt. Bald aber werde der Trend beim Rückgang der Pro-Kopf-Emissionen obsiegen, womöglich schon in diesem Jahrzehnt, so Ritchie.

Mut macht ihr dabei die Entwicklung im eigenen Land. Noch im Jahr 1950 deckte Großbritannien seinen Energieverbrauch fast komplett mit Kohle – heute spielt der Energieträger kaum noch eine Rolle.

Inzwischen würde sie selbst, schreibt Ritchie, nur noch so viel CO2-Emissionen verursachen wie ihre Ur-Ur-Ur-Großeltern, die Menschen also, die in den 1850er Jahren gelebt haben. Auch in Deutschland seien die Pro-Kopf-Emissionen rapide gefallen – um ein Drittel allein seit den 1970er Jahren. Ähnliches gilt in den USA – und das, obwohl überall die Wirtschaftsleistung stieg.

Wind und Sonne sorgen für Energie und schonen das Klima

Den Grund für diese Entkopplung sieht Ritchie darin, dass Solar- und Windstrom inzwischen einfach so billig seien. Das würde auch den Ländern im globalen Süden einen Weg aufzeigen, wie sie sich elektrifizieren können, ohne den Klimawandel anzutreiben.

Eine ähnliche Entwicklung sieht die Autorin beim Wechsel von Benzin- und Dieselfahrzeugen zu Elektroautos. "Das große Dilemma der 2000er und 2010er Jahre war, ob man sich ein Dieselfahrzeug anschaffen soll oder einen Benziner", schreibt Ritchie. "Das große Dilemma der 2020er Jahre und darüber hinaus ist, ob man sich ein Elektroauto anschaffen soll oder überhaupt kein Auto mehr."

Das Buch

Hannah Ritchie: Hoffnung für Verzweifelte. Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen. Piper, München 2024, 384 Seiten, 22 Euro.

Auch wenn man sich gern von diesem grenzenlosen Optimismus tragen lassen will – ein paar Einwände gibt es dann doch. Die Welt hat zuletzt so viele fossile Energieträger verbraucht wie nie zuvor. Der Energiehunger wächst, die ärmeren Länder wollen sich aus guten Gründen entwickeln und Millionen Menschen erhoffen sich einen Lebensstandard wie in den Industriestaaten.

Vor allem China und Indien verbrennen weiterhin gewaltige Mengen an Kohle, etliche Länder sogar immer mehr. Viele Länder im globalen Süden setzen lieber auf fossile Energien als auf Sonne und Wind – sei es, weil sich wenige große Kraftwerke schneller und leichter realisieren lassen als viele einzelne Windräder oder Solarpaneele, sei es, weil die Machtelite in autokratischen Ländern mit der alten Energieindustrie verwoben ist.

Man muss aber erst gar nicht mit dem Finger auf andere zeigen: Die Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine ließ die Bundesregierung hektisch auf der ganzen Welt nach neuen Energielieferanten suchen – und regte dabei das Anzapfen neuer Erdgasfelder in diversen Erdteilen an.

Schon zwei Grad Erwärmung können zu viel sein

Heißt: In einer idealen Welt könnte es noch klappen mit dem Zwei-Grad-Ziel. Aber wir leben nicht in einer solchen Welt. Was passiert, wenn Donald Trump die Wahlen in den USA gewinnt? Wenn neue Krisen aufziehen?

Es wird immer auch Rückschläge im Klimaschutz geben, und die Zeit spielt gegen uns. Schon jetzt sorgt der Klimawandel mit 1,4 bis 1,5 Grad Erwärmung überall in der Welt für ein nie gekanntes Ausmaß an Extremwetterereignissen – wie wird das erst in einer zwei oder drei Grad wärmeren Welt sein?

Und was, wenn der Trend zu autokratischen Parteien weitergeht und mehr und mehr Länder angesichts zunehmender Krisen unwillig sind, in Klimaschutz zu investieren? Fast ist man wieder geneigt, den Kopf in den Sand zu stecken.

 

Vielleicht doch nochmal das Buch von Ritchie zur Hand nehmen. Und bei allen Hiobsbotschaften sich einen geschärften Blick gestatten: Ist es wirklich so schlimm? Und fragen, wo man konkret ansetzen soll. Gerade das ist Ritchies Leistung: der Blick auf das Wesentliche – und zuversichtlich bleiben.

Wer keine Kinder kriegen will, um die Klimakrise nicht noch weiter voranzutreiben, sollte das – zumindest mit dieser Begründung – jedenfalls noch einmal überdenken. Schon heute stoßen wir Deutschen pro Kopf nur noch so viel CO2 aus wie ein Mensch vor 100 Jahren. Und unsere Kinder werden immer weniger Kohlendioxid in die Welt entlassen – und dafür vielleicht daran arbeiten, den Planeten bewohnbar zu halten.