Klimareporter°: Frau Neubauer, in Ihrem mittlerweile vierten Buch unternehmen Sie den Versuch, "die größte und komplexeste Krise unserer Zeit", wie Sie schreiben, in Karten und Bilder zu übersetzen. Was können Bilder, was das geschriebene Wort nicht vermag?

Luisa Neubauer: Als Geografin habe ich mich schon immer für Karten begeistert. Gute Karten sind mir lange nicht aus dem Kopf gegangen und ich glaube, es geht vielen Menschen so.

Zum anderen habe ich kritisch und selbstkritisch auf den Klimadiskurs geguckt und mich gefragt: Wie kann es eigentlich sein, dass die größte Geschichte der Welt Menschen entweder panisch zurückschrecken oder sich gelangweilt abwenden lässt. Das ist doch absurd.

Darum habe ich meine Lektorin angerufen und gesagt, wir müssen einen Atlas machen, der alles verbindet – Daten mit Schönheit, Wissenschaft mit Ästhetik und Witz und die verschiedenen Geschichten, die diese Krise erzählt.

In der Einführung wird gefragt, ob mehr Informationen über das Klima nicht zu mehr Wissen, sondern zu mehr Verwirrung und Verdrehung führen. Sehen Sie es als ein Versäumnis der deutschen Medienlandschaft, dass die Klimakommunikation zu trocken, zu wenig kreativ ist?

Ich glaube, es gab eine Art Missverständnis. Als man mit den Instrumenten der Wissenschaft festgestellt hat, es gibt eine Klimakrise, hat man scheinbar den Schluss gezogen, dass man auch allein mit wissenschaftlichen Argumenten diese Krise bewältigen kann.

Bild: Lena Faye

Luisa Neubauer

ist Klima­aktivistin und Publizistin sowie das bekannteste Gesicht der Fridays-for-Future-Bewegung in Deutschland. Die 1996 geborene Geografie­studentin, die Mitglied bei den Grünen ist, lebt in Göttingen und Berlin. Seit November 2020 moderiert Neubauer außerdem den Podcast "1,5 Grad".

Dabei wurde komplett ausgeblendet, wie diese Krise entstanden ist. Menschen fahren keine fetten Autos, weil ihnen in wissenschaftlichen Vorträgen oder Flyern erklärt wurde, wie toll Autos sind. Sondern es wurde aufwendigste Werbung produziert und unglaubliches Geld in Hollywoodfilme gesteckt – damit ein Auto zu mehr wird als einem Fortbewegungsmittel. Es geht um Kultur, Status, Freiheit.

Jeder Superheld fährt mit dem neuesten, schönsten und schnellsten Auto durch seinen Film. Gegen dieses Gefühl kommen wir nicht mit nur ein paar Fakten an.

Das ist natürlich auch, da haben Sie recht, durch einen in weiten Teilen unverantwortlichen Journalismus verstärkt worden. Das greifen wir auch im Atlas auf. Wir zeigen zum Beispiel, wie oft in den letzten 30 Jahren die Klimakrise auf dem Titelblatt des Spiegel war. In den gesamten 1990er Jahren – das sind 520 Spiegel-Ausgaben – einmal.

In diesem Atlas gehen wir kulturkritisch, aber auch diskurs- und medienkritisch an die Klimafrage ran.

Der Atlas zeigt, wie sich die Argumente der Klimawandelleugner:innen über die Zeit verändert haben. Hat der Anti-Klima-Populismus in den letzten Jahren auch an Schärfe gewonnen?

Es gab eine Phase, da schien es, als gäbe es keine Klimawandelleugnung mehr, aber eigentlich haben sich die Argumente nur verändert.

Anstatt die Wissenschaft zu leugnen, wird die Dringlichkeit oder die eigene Verantwortung geleugnet. Dazu haben wir die Zitate von verschiedenen CEOs von klimazerstörenden Konzernen rausgekramt – unter anderem sehr lustige der Familie Tönnies.

Eine wichtige Dimension der Leugnung von heute ist die Kriminalisierung von Aktivist:innen. Im deutschen Diskurs betreibt das etwa Verkehrsminister Volker Wissing wie ein Vollprofi.

X, früher Twitter, ist heute wie eine Echokammer, durch die viele klimawandelleugnerische und generell rechtspopulistische bis -extreme Statements an Reichweite gewinnen. Eine Grafik in dem Atlas zeigt, dass sich viele Nutzer:innen aus der Umweltszene seit der Übernahme durch Elon Musk von der Plattform zurückgezogen haben. Was hat Sie bisher davon abgehalten, X zu verlassen?

Ich verstehe, wenn Menschen und Organisationen sich von dort zurückziehen. Ich bleibe fürs Erste. Das geht, weil ich keine Erwartung mehr an diese Plattform habe.

Den Hass erlebe ich so oder so, ob auf Twitter oder woanders. Und weil ich ohnehin auf vielen Plattformen stattfinde, ist es für mich kein großer Aufwand, Twitter auch weiter zu bespielen.

Und das klingt vielleicht komisch, aber ich habe so viel erlebt an unerträglichen Diskussionen auf sozialen Medien, was da auf Twitter passiert, schockt mich einfach nicht mehr.

"Deutschland verursacht nur zwei Prozent der weltweiten menschengemachten Treibhausgasemissionen." Oder: "Aber China macht ja viel zu wenig." – Solche Scheinargumente entlarven Sie in dem Atlas. Wieso halten sich solche im Grunde recht einfach zu konternden Argumente so hartnäckig im öffentlichen Diskurs?

Weil man sich für eine Sekunde klüger fühlt als der Rest. Wenn alle sagen: "Klimaschutz, Klimaschutz, Klimaschutz", dann fühlt es sich für einen Moment cool an, zu sagen: "Aber China ..."

Das versuchen wir in dem Atlas umzudrehen und sagen "Nee, nee – die Schäfchen sagen: 'Aber China ...'" Wer sich das wirklich anguckt, stellt nämlich fest: Wenn ein Satz mit "Aber China" anfängt, geht er so: "Aber China ist das Land, das mehr Solarenergie ausbaut als jedes andere Land der Welt."

Oder: "Aber China gibt längst den Ton beim Bau von Elektroautos an." Wenn überhaupt, müssen wir gucken, dass wir von China nicht abgehängt werden.

In vielen Ihrer Interviews und auch in dem Atlas klingt durch, dass Sie es als eine Ihrer Aufgaben verstehen, Hoffnung zu geben und die Wirkmächtigkeit jedes Einzelnen aufzuzeigen. Zeigen aber nicht gerade die letzten Jahre, dass sich große Demonstrationen und Zustimmungswerte nicht in tatsächlichen Klimaschutz übersetzen?

Auch in dem Atlas zeigt eine Grafik, dass 73 Prozent für den Ausbau des ÖPNV sind. Trotzdem geht es damit kaum voran.

Wir bezeichnen das in dem Buch als "utopische Lücke". Wir sind wahnsinnig gut darin, utopische Errungenschaften der Vergangenheiten ganz selbstverständlich in unseren Alltag zu integrieren und zu akzeptieren – die Tatsache, dass ich jetzt hier als Frau erzählen kann, was ich will, oder dass es freie Wochenenden gibt und Gewerkschaftsrechte.

Aber wenn wir in die Zukunft blicken, erscheinen solche utopischen Errungenschaften plötzlich unmöglich und es heißt: "Was kann ich schon machen?" Da gibt es also ganz offensichtlich eine verzerrte Wahrnehmung.

 

Das Buch

Luisa Neubauer, Christian Endt, Ole Häntzschel: Der Klimaatlas. 80 Karten für die Welt von morgen. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024, 208 Seiten, 28 Euro.

Auch Klima-Errungenschaften, etwa das Verbrenner-Verbot auf EU-Ebene, waren immer Gemeinschaftsprodukte.

Was aber wirklich nicht funktioniert, ist, diesen Wandel nur über das bessere Argument zu erstreiten. Und da sind wir wieder am Anfang des Interviews oder unserer Motivation für diesen Atlas.

Wir leben in einer offenen Konfrontation mit der fossilen Industrie, die auch ganz viele dieser Klimawandel-Leugnungsnarrative und -argumente mitgeprägt hat, allen voran den CO2-Fußabdruck.

Nun steht aber wesentlich mehr auf dem Spiel als das Verbot von klimaschädlichen Autos. Es geht um eine klimagerechte Transformation. Reichen da Appelle an Politik und Unternehmen am Ende aus?

Lassen Sie uns da doch mal medienkritisch draufblicken. Jahrzehntelang war die erste Frage an Umweltaktivist:innen: "Tofu, Fahrradfahren oder Verzicht auf Plastik – was würdest du Menschen empfehlen?"

Wir versuchen in dem Buch aufzuzeigen, wie absurd es ist, zu glauben, der größte Einfluss für uns als Einzelne ist dort möglich, wo wir in einem Supermarkt stehen. Menschen gehen auch zur Arbeit, Menschen sind in Gemeinschaften aktiv und so weiter.

In einer Grafik zeigen wir etwa, wie sich der Arbeitsmarkt verändert hat. Immer mehr Menschen wollen, dass sich ihr Arbeitgeber fürs Klima einsetzt. An den Orten, an den Menschen zusammenkommen, da finden diese kleinen Revolutionen schon längst statt.

Wenn man nun diese theoretische Feststellung über diese Wirkungsräume zusammenbringt mit einem bewussten Umgang damit – halleluja. Dann haben wir es geschafft.

Für die Transformation braucht es also mehr als nur nachhaltige Konsumentscheidungen. Ebenso zweifeln Teile der Klimagerechtigkeitsbewegung daran, dass Demonstrationen und Petitionen allzu viel Wirkung auf die tatsächliche Politik haben. Sie argumentieren dafür, Gegenmacht aufzubauen gegenüber einem System, in dem die richtigen Entscheidungen so schwerfallen.

Auch damit beschäftigt sich der Atlas. Er ist ein Plädoyer dafür, nicht wählerisch zu sein in einer Zeit, in der wir uns das nicht leisten können.

Wenn Aktivismus bedeutet, radikale Ideen realistisch erscheinen zu lassen, dann braucht es doch das ganze Spektrum an Herangehensweisen. Es braucht immer die radikalen Stimmen, die die ganz großen Systemfragen aufwerfen.

 

Es braucht aber auch Leute, die die Menschen erreichen, die ein ganz anderes Leben leben und ganz andere Fragen haben. Ich weiß gar nicht, warum wir uns da einengen sollten.

Also: Raus aus der Öko-Ecke. Raus aus der Vorstellung, dass es den einen richtigen Weg und die eine richtige Argumentation gibt.

Ob jetzt jemand das System über den Haufen werfen möchte – welches System damit auch immer gemeint ist – oder ob jemand einfach nur eine Fahrradstraße will: Wenn sich am Ende alle im Kiez treffen und gemeinsam auf eine Critical Mass fahren, dann ist das doch schon mal ein guter Anfang.

Und doch eint eine Person, die für ein anderes System eintritt, am Ende vielleicht politisch nicht so viel mit einer Person, deren politischer Utopismus bei einer neuen Fahrradstraße aufhört. In einem Kapitel wird diskutiert, ob grünes Wachstum oder ein Ende des Wachstums der richtige Weg ist, und die Frage aufgeworfen: "Gibt es Glück ganz ohne Wachstum?" Wie würden Sie antworten?

Der Atlas ist auch hier in erster Linie eine Einladung zur Diskussion. In verschiedenen Grafiken stellt er in dem Kapitel "Wirtschaftlicher Wandel" dar, was in dem jetzigen Wirtschaftssystem falsch läuft, aber auch, was in Sachen Klima schon gut läuft.

Wir zeigen zum Beispiel in einer Grafik – mit der auch ich gehadert habe –, dass in einigen Ländern die CO2-Emissionen sinken und das BIP, das Bruttoinlandsprodukt, wächst.

"Grünes Wachstum ist möglich", soll die Grafik zeigen: In ausgewählten Ländern ist das Bruttoinlandsprodukt (weißer Pfeil) in 20 Jahren deutlich gestiegen, während der CO2-Ausstoß (gelber Pfeil) sank. (Abbildung: aus dem Buch)

Ich finde das Konzept BIP problematisch, und ich finde CO2-Emissionen als dominanten Gradmesser für die ökologische Krise suboptimal – trotzdem ist diese Entwicklung auch eine Wahrheit und muss deshalb Teil des Diskurses sein.

Genauso zeigen wir, wie weltweit Biodiversitäts-Hotspots durch die Ausbeutung sowohl von fossilen Rohstoffen als auch von Mineralien für die Energiewende zerstört werden.

Wir haben oft überlegt, welches Bild wir hier nun eigentlich zeichnen. Ich habe mich bei manchen Bildern herausgefordert gefühlt, und das wird bestimmt auch manchen Leser:innen so gehen. Und das ist gut so, erst dann fordert man sich selbst und seine Weltbilder heraus.

Ich bin überzeugt davon, dass es weitgreifende und tiefe Systemdebatten braucht. Aber ich finde es gut, dass dieser Atlas Wandel zeigt, der passiert und passieren kann, unabhängig davon, ob wir uns in den nächsten 50 Jahren über die große Systemfrage einig werden.

Eine Abbildung zeigt, wie fossil oder wie klimafreundlich verschiedene Superheld:innen sind. Batman schneidet ziemlich schlecht ab, Pippi Langstrumpf dafür umso besser. Haben Sie selbst Held:innen, ob fiktiv oder real, an denen Sie sich orientieren oder die Sie inspirieren?

Was mich immer wieder beeindruckt, sind Menschen, die mir ihre Geschichten erzählen. Zum Beispiel die Geschichten von Müttern, die mit ihrer Mutterschaft in der Klimakrise gehadert haben und jetzt mit ihren Kindern auf Demos gehen und sich für eine bessere Welt einsetzen.

Oder ganz junge Leute, die vom Dorf in Baden-Württemberg kommen – alles um sie herum ist freiwillige Feuerwehr, Karneval und CDU – und die jetzt sagen, wir setzen uns fürs Klima ein.

Was mich beeindruckt und inspiriert, sind Leute, die aus ihren Lebensumständen keine Regeln ableiten, sondern es genau andersrum angehen.

 

Zu guter Letzt: Sie haben Bücher und Kolumnen geschrieben, sind mit Ihrem Podcast "1,5 Grad" sehr erfolgreich – wann kommt der erste Luisa-Neubauer-Film?

Da würde ich sagen: Stay tuned.