Claudia Kemfert. (Bild: Oliver Betke)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrats erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Claudia Kemfert, Professorin für Energiewirtschaft und Chefin des Energie- und Umweltbereichs am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW.

Klimareporter°: Frau Kemfert, auch nach der Versetzung von Staatssekretär Graichen in den Ruhestand steht Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck unter Druck. Weiter stark umstritten ist das Gebäudeenergiegesetz mit seinem Ziel, ab Jahresende keine neuen Erdgas- und Ölheizungen mehr einzubauen. Wäre es nicht besser, das Gesetz zurückzuziehen und einen neuen Anlauf zu starten?

Claudia Kemfert: Nein, das wäre grundfalsch. Verbesserungen sind sicherlich sinnvoll und auch nötig. Vor allem wäre eine bessere Kommunikation dringend angeraten. Die Personalie Graichen sollte aber unabhängig von dem Gesetz gesehen werden.

Man darf auch nicht vergessen, dass die Bauministerin hier mitverantwortlich ist und dass das Verfahren weit fortgeschritten ist. Je länger nun verzögert und aufgehalten wird, desto größer wird die Verunsicherung und desto mehr Panik entsteht in der Bevölkerung, die in Verkennung der Situation noch mehr Öl- und Gasheizungen kauft.

Nur weil nie richtig erklärt wurde – oder zumindest die Erläuterungen aus den Ministerien nicht mehr durchdringen, was genau beabsichtigt ist und was es konkret bedeutet –, spielt die Wärmewende verrückt.

Die politischen Gegner der Grünen sind mit allen Wassern gewaschen, die Grünen offenbar nicht. Daran sollte die Wärmewende nun aber wirklich nicht scheitern. Wir brauchen sie dringend.

Einen Monat nach dem Abschalten der letzten Atomkraftwerke sieht die Bundesnetzagentur kaum Auswirkungen auf den Strommarkt. An der Börse sei Strom sogar billiger geworden. Sind Sie auch überrascht, wie gut der Wegfall des Atomstroms in Deutschland weggesteckt wird?

Überhaupt nicht, genau das haben auch die Modellrechnungen immer gezeigt. Die angeblichen Blackouts, die durch die Abschaltung der verbliebenen drei Atomkraftwerke entstehen, waren stets Quatsch.

Dass der Strompreis an der Börse sinkt, kann man seit einiger Zeit an den Future-Preisen ablesen. Das hat vor allem etwas mit der entspannten Situation auf dem Gasmarkt und auf dem französischen Strommarkt zu tun. Wir werden sehen, wie es sich weiter entwickelt.

Entscheidend wird nun sein, dass erneuerbare Energien überall in Deutschland ausgebaut werden und dass die Ökostromlücke vor allem in Bayern schnell geschlossen wird. Das Energiewende-Tempo muss deutlich beschleunigt werden.

Neue Hitzerekorde für die nächsten Jahre prognostiziert die Weltwetterorganisation. Das liegt am El Niño, aber vor allem am verschleppten Klimaschutz. Mit Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit wird das 1,5-Grad-Limit in den nächsten fünf Jahren erstmals gerissen. Ist der Klimawandel schon schneller als unsere Gegenmaßnahmen?

Leider ja. Und zwar deutlich. Die Klimaschutzbemühungen reichen nicht ansatzweise aus, weder in Deutschland und Europa noch weltweit. Aber die Anstrengungen dürfen nicht aufhören, jedes Zehntelgrad zählt.

Leider werden wir aber mit den erheblichen Auswirkungen des Klimawandels leben müssen. Wir erleben ja jetzt schon starke Hitzewellen, Überflutungen, Dürren oder Waldbrände überall auf dem Globus. Es ist wichtig, dass wir uns von den fossilen Energien verabschieden – und nicht nachlassen.

Reiche Menschen haben eine besonders schlechte Klimabilanz. Laut neuen Daten sind die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung für fast die Hälfte aller Treibhausgase verantwortlich. Doch ein Problembewusstsein fehlt, zeigt eine britische Studie und empfiehlt mehr staatliche Maßnahmen. Welche Maßnahmen können das bei Leuten sein, die sich auch durch hohe CO2-Preise nicht beeindrucken lassen?

Im Sachverständigenrat für Umweltfragen haben wir gerade mit einem Gutachten deutlich gemacht, wie wichtig umweltbezogenes Verhalten ist und dass es adäquate Maßnahmen braucht, damit derart rücksichtsloses Verhalten so nicht mehr stattfinden kann.

Die britische Studie zeigt aber ebenso deutlich, dass der allergrößte Teil der reichsten zehn Prozent mit ihren hohen Treibhausgasemissionen nicht im Geringsten gewillt ist, seine Verantwortung wahrzunehmen und umzusteuern.

Im Gegenteil belegt die Studie, dass sie die komplette Klaviatur des Zweifel-Säens mit Whataboutism oder "Plurv" beherrschen, also Ausreden und Ablenkungsmanöver, um genauso weiterzumachen wie bisher.

Der Reichtum basiert ja sehr häufig auf fossilen Geschäftsmodellen, sodass sie ohnehin nicht zu Änderungen bereit sind oder im Gegenteil vielleicht sogar Urheber der Desinformationskampagnen zu sein scheinen. Zumindest werden derartige Ausreden dafür genutzt, das eigene Handeln zu legitimieren.

Was dagegen hilft, sind erstens Preis-Instrumente wie hohe CO2-Preise oder aber happige Vermögens- und Reichensteuern, mit deren Einnahmen Klimaschutz finanziert werden kann.

Zweitens Aufklärung und Information sowie eine aktive Zivilgesellschaft, die klimaschädliches Verhalten weniger "cool" erscheinen lassen, und drittens Verbote für unsinniges und besonders emissionsintensives und kostspieliges Verhalten.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Überrascht bin ich nicht, sondern schockiert. Die "Schockwellen", die ich auch in meinem neusten Buch beleuchte – warum wir in die fossile Energiekrise schlittern konnten –, spielen sich gerade eins zu eins in der Realität ab. Aktuell ist das am Fall Graichen, an der Wärmewende und dem Umgang mit den Grünen zu beobachten.

 

Die Mechanismen der Desinformation sind identisch. Sobald es beim Klimaschutz ins konkrete Handeln geht, werden Falschbehauptungen, Desinformations- und Ad-personam-Diffamierungskampagnen gestartet und erst beendet, wenn notwendige Änderungen aufgegeben wurden.

Das Drehbuch dafür steht im Buch, der Film läuft derzeit in der Realität ab. Ein echter Gruselfilm.

Fragen: Jörg Staude

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