Hartmut Graßl. (Bild: Christoph Mischke/​VDW)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Professor Hartmut Graßl, Physiker und Meteorologe.

Klimareporter°: Herr Graßl, in Bonn beginnen morgen die "Zwischenverhandlungen", um den Klimagipfel COP 28 im Dezember in Dubai vorzubereiten. Zuletzt forderten Abgeordnete aus der EU und den USA, den Konferenzpräsidenten Sultan Al Jaber, Industrieminister des Gastgeberlandes Vereinigte Arabische Emirate und Chef des staatlichen Ölkonzerns Adnoc, auszutauschen. Was halten Sie von der Forderung?

Hartmut Graßl: Den Bock zum Gärtner zu machen, ist nicht nur für den Klimaschutz bremsend, sondern dadurch auch für viele Menschen fatal. Denn sich vom COP‑28-Chef, dem Boss des weltweit zweitgrößten Erdöl- und Erdgasunternehmens, den Antrieb zu global wirksamem Klimaschutz zu erhoffen, heißt in der heutigen Lage: Tod für viele zusätzliche Menschen durch Hitze, Dürre und Extremwetter.

Das ist so, weil laut dem Weltklimarat IPCC für eine Begrenzung der Erwärmung unter zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit – wie vom bindenden Paris-Abkommen gefordert – nicht einmal der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern innerhalb weniger Jahrzehnte ausreicht, sondern auch noch zusätzlich Kohlendioxid aus der Atmosphäre geholt werden muss.

Dem widerspricht der Originalton des Ministers Al Jaber beim Petersberger Klimadialog Anfang Mai: "Fossile Energien werden auch noch lange Teil des Energiemixes bleiben." Er meint, "Realitäten" sollten akzeptiert werden, und plädiert für einen "parallelen Weg" aller Energiequellen.

Wesentliche Klimaschutzfortschritte gab es bisher leider – wenn überhaupt – nur bei Klimakonferenzen mit Vorsitz demokratisch regierter Länder. Das von vielen Industrie- und auch Schwellenländern für die nächste Konferenz, die COP 28, geforderte Ende aller fossilen Energieträger spätestens im Jahr 2050 ist also bereits vorher als erstes Teilziel aufzustellen.

Dem Minister Al Jaber ist klarzumachen, dass seine Äußerungen auch die Bewohnbarkeit seines eigenen Landes gefährden. Denn die Mehrheit der Bewohner der Emirate, Immigranten aus armen asiatischen Ländern, schuftet schon jetzt unter sklavenähnlichen Bedingungen am Rande des Erträglichen bei Hitze über 45 Grad im Sommer, um das Land funktionsfähig zu halten. Das werden sie bald nicht mehr können.

Ohne eine wirklich ehrgeizige Klimapolitik, die auf das 1,5-Grad-Limit zielt, könnte sich bis 2100 die Heimat von etwa zwei Milliarden Menschen in eine lebensfeindliche Zone verwandeln. Das ergibt eine jetzt veröffentlichte internationale Studie über die schwindenden Klima-Nischen. Wie bewerten Sie die Ergebnisse?

Alle Menschen haben eine Körpertemperatur von etwa 37 Grad. Wir können bei Lufttemperaturen über diesem Wert nur überleben, wenn die relative Feuchte gering ist, um durch Schwitzen für Kühlung sorgen zu können. Übersteigt die sogenannte Feuchttemperatur – gemessen mit einem befeuchteten und belüfteten Thermometer – für längere Zeit 36 Grad, dann sterben wir.

Die genannte Studie diskutiert das Verlassen der für uns Menschen komfortablen Klimanische bei der bevorstehenden Erderwärmung. Vor allem in den tropischen Gebieten wird die Nische schon bei einer sehr moderaten Erwärmung von wenigen Grad verlassen, weil dann die Feuchttemperatur bei Hitzewellen über 30 Grad steigt und sich den lebensbedrohenden 36 Grad nähert.

Aber schon einige Grad bevor diese tödliche Feuchttemperatur erreicht ist, kann keiner mehr arbeiten und für das Überleben sorgen. Meine eigene Erfahrung bei der Annäherung an diese Grenze war: Das Flugzeug von Frankfurt am Main nach Abu Dhabi konnte Anfang September 2010 dort bei Morgennebel und 30 Grad nicht landen und ich kam erst nach einem Zwischenstopp in der Wüstenstadt Al Ain am späten Vormittag nach Abu Dhabi – bei dann 33 Grad und extremer Schwüle.

Diese Annäherung an die lebensbedrohende Grenze habe ich nur bei kurzem Aufenthalt in der schwülheißen Luft erlebt. Ich bedauerte die vielen Arbeiter im Freien, die bei dieser Hitze entlang der Autobahn an den Dattelpalmen arbeiten mussten.

Für mich liefert die Studie nichts grundsätzlich Neues, aber die Zusammenschau von Klimamodellergebnissen und Bevölkerungsentwicklung in niedrigen geografischen Breiten zeigt beeindruckend die Größe des Problems.

Viele Millionen Menschen in den Tropen werden bei fehlendem Klimaschutz in die noch komfortablen Klimanischen in den mittleren Breiten wie bei uns fliehen.

In Deutschland gibt es scharfe Auseinandersetzungen um ein mögliches Einbauverbot für neue Öl- und Gasheizungen. Die Ampelparteien streiten über Wärmepumpen und Wasserstoff, die Union hat eine Gegenkampagne "Fair heizen statt verheizen" gestartet, die Bild schreibt gegen "Habecks Heiz-Hammer" an. Droht die Wärmewende gegen die Wand zu fahren?

Endlich wagt es einer der Minister, den lange fast nicht beachteten und dadurch liegengebliebenen größten fossilen Brocken bei der Energiewende in Deutschland, die Wärme in Gebäuden, durch ein Gesetz zu verkleinern.

Da die warme Wohnung im Winter für alle Bürger ein Grundbedürfnis ist, war der vom Kabinett beschlossene Gesetzesvorschlag gleichzeitig ein gefundenes Fressen für die Opposition, die jahrzehntelang dafür fast nichts getan und erreicht hat. Sie warf der Regierung nicht nur handwerkliche Fehler vor, sondern machte auch mit Halbwahrheiten – oft in ihr nahestehenden Zeitungen – Stimmung, statt verbesserte Vorschläge zu machen.

Gleichzeitig hat der kleinste Koalitionspartner in der Regierung den Koalitionsvertrag negiert und die sogar in der oberen Parteihierarchie zu findenden Klimaskeptiker wüten lassen. Von einem solchen Verhalten profitieren meist nur die Feinde der Demokratie.

Ich hoffe, dass dennoch die überwiegend von der Vernunft getriebene Debatte des Gesetzentwurfs im Parlament bald zu einem ausgewogenem Gebäudeenergiegesetz führt und dass damit ein wesentlicher Eckstein der Energiewende gesetzt wird.

Für die einen sind die Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation" eine kriminelle Vereinigung, für andere Verteidiger des geltenden Klimaschutzgesetzes. Wie schauen Sie auf die Aktionen der Letzten Generation?

Strafbare Handlungen und unausgegorene Forderungen nützen dem Klimaschutz nicht, sie schaden eher.

 

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Am Mittwoch wurde die seit fast 15 Jahren bekannte Debatte zur Überschreitung sicherer planetarer Grenzen durch uns Menschen durch eine neue Veröffentlichung des bisherigen und erweiterten Teams durch die Integration sozialer Betrachtungen ergänzt.

Im Artikel "Sichere und gerechte Erdsystemgrenzen" in der Zeitschrift Nature zeigen Rockström, Gupta, Qin und andere, dass von den neun diskutierten Grenzen bereits acht in bestimmten Regionen überschritten sind.

Um in den sicheren Bereich zurückzukommen, fordern die Autoren für die mittlere globale Erwärmung eine Obergrenze von einem Grad, weil sonst Hunderte von Millionen Menschen ihre Heimat wegen unerträglicher Hitze ​oder Meeresspiegelanstieg in diesem Jahrhundert verlassen müssen.

Im Lichte dieses wissenschaftlichen Befundes ist unsere deutsche Debatte um das Gebäudeenergiegesetz nur lächerlich.

Fragen: Jörg Staude