Dreistöckiges Doppelhaus nach der Sanierung, mit Solarpaneelen auf dem Dach und Außenbalkons statt Loggien.
Zum Passivhaus saniertes Mehrfamilienhaus der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft GAG Ludwigshafen. (Bild: Passivhaus Institut)

Klimareporter°: Herr Kaufmann, die Heizungs-Debatte läuft heiß. Die Ampel streitet über Wärmepumpe und Wasserstoff-Nutzung, die Union fährt eine Kampagne "Fair heizen statt verheizen" gegen die Regierungspläne, die Bild-Zeitung attackiert "Habecks Heiz-Hammer". Ist das ganze Projekt zum Scheitern verurteilt?

Berthold Kaufmann: Politische Debatten, zumal wenn sie fast alle Leute betreffen, sind immer gut und richtig – und sie dürfen gerne auch kontrovers geführt werden. Wir dürfen jedoch nicht aus den Augen verlieren, dass es am Ende einen Konsens geben sollte, mit dem wir alle dann gut leben können.

Scheitern darf das Projekt auf keinen Fall, dazu ist es zu wichtig. Wir müssen es schaffen, dass wir unsere Wohnungen sehr bald mit immer weniger fossilen Brennstoffen heizen respektive warmhalten können.

Und damit ist das Konzept schon umschrieben: Die Heizungen müssen immer kleiner und unwichtiger werden, damit sie immer weniger Brennstoff verbrauchen.

Was wir dazu an den Gebäuden alles tun können, weiß jede Energieberaterin und jeder Energieberater. Die versuchen seit mehr als 30 Jahren, dieses Wissen weiterzugeben – wir sollten sie einfach mal ernst nehmen und ihnen zuhören.

Hauptproblem sind die unsanierten Häuser aus den 1950er, 1960er und 1970er Jahren, die extrem viel Heizöl oder Erdgas verbrauchen. Lassen die sich denn mit vertretbarem Aufwand energetisch modernisieren?

Näher betrachtet haben fast alle Gebäude-Altersklassen einen Nachholbedarf. Und ja, fast alle Gebäude lassen sich mit vertretbarem Aufwand energetisch so sanieren, dass sie anschließend deutlich weniger Energie zum Heizen brauchen werden.

Unionspolitiker kalkulieren die Umbaukosten etwa für Heizungstausch, neue Fenster und Dämmung bei Einfamilienhäusern auf 100.000 bis 150.000 Euro, Bayerns Ministerpräsident Söder nannte sogar 300.000 Euro. Ist das realistisch?

Die untere Zahl dürfte für eine umfassende Sanierung realistisch sein. Es ergibt jedoch keinen Sinn, damit die Leute zu erschrecken.

Die Komponenten eines Gebäudes wie Fenster oder Fassade halten im Schnitt 30 bis 50 Jahre. Und nach dieser Zeit muss jedes Haus sowieso in irgendeiner Form saniert werden.

Porträtaufnahme von Berthold Kaufmann.
Bild: PHI

Berthold Kaufmann

ist Physiker und wissen­schaft­licher Mit­arbeiter am Passiv­haus Institut in Darm­stadt. Dort befasst er sich seit 20 Jahren mit den besonders energie­effizienten Passiv­häusern, die dank guter Dämmung ohne klassische Heizung auskommen, namentlich mit Gebäude­hülle, Lüftungs- und Heiz­technik und Energie­bilanzen. Das Institut berät Investoren und Bau­willige und bildet Bau­fach­leute fort.

Amortisiert sich das Ganze?

Ja, es rechnet sich. Wichtig ist dabei, nach einem sinnvollen Konzept vorzugehen: Immer dann, wenn ein Gebäude oder ein Teil vom Haus sowieso saniert werden muss, dann sollte eine Wärmeschutz-Qualität auf Passivhaus-Niveau gewählt werden. Also zum Beispiel Dreifach-Fester und hohe Dämmstoff-Stärken.

Wir nennen das Prinzip "Wenn schon, denn schon". Rechnet man dann die Einsparung an Heizenergie dagegen, dann ist das sinnvoll investiertes Geld.

In der Tat müssen wohl viele Sanierungen genauso wie effiziente Neubauten teilweise mit einem Kredit finanziert werden. Staatliche Zuschüsse helfen da zusätzlich.

Derzeit wird nur rund ein Prozent der Häuser jährlich energetisch saniert. Nötig wären aus Klimaschutz-Sicht vier Prozent. Ist das angesichts des Fachkräftemangels auf dem Bau und mangelnder Kapazitäten etwa bei den Wärmepumpen überhaupt machbar?

Nein, das dürfte vermutlich nur schwer machbar sein. Erhöhen sollte man die Quote aber schon. Wichtig ist, dass jede Sanierung nach dem erwähnten "Wenn schon, denn schon"-Prinzip vorgenommen wird.

Wir haben nicht die Kapazitäten für halbherzige Sanierungen, denn das ist wirklich Zeitverschwendung – und im Ende auch nicht billiger.

Hat es denn Sinn, Energieschleudern aus den 50er, 60er Jahren sogar in Passivhäuser umzubauen, die keine klassische Heizung mehr brauchen?

Ja, definitiv. Die Wohnungsbaugesellschaft ABG in Frankfurt am Main hat schon einige derartige Projekte mit Beratung unseres Passivhaus-Instituts und auch mit dem IWU, dem Institut Wohnen und Umwelt, umgesetzt.

Und in Darmstadt gibt es das "Passivhaus Sozial Plus". Die entsprechenden Erfolgsberichte können Sie online nachlesen. 

Bei den Neubauten wird bisher nur ein geringer Teil als Passivhaus ausgeführt, angeblich aus Kostengründen. Wie viel teurer ist ein Passivhaus als ein Standard-Neubau?

Die Mehrkosten für Passivhaus-Qualität beim Neubau wie bei der Sanierung im Vergleich zu einer Standard-Lösung liegen bei etwa 100 bis 200 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Bei einer 100-Quadratmeter-Wohnung sind es also 10.000 bis 20.000 Euro.

Das ist eine sinnvolle Ausgabe, wenn man die Einsparungen gegenrechnet. Und es nützt dem Klima.

Noch eine Frage zu den Heiztechnologien: Welche Geräte sind zukunftsträchtig? Nur die Wärmepumpe oder auch Pellets und Erdgas-Heizungen, die "H2-ready" sind?

Wir präferieren die elektrische Wärmepumpe, denn sie geht am effizientesten mit den erneuerbaren Energien um, die gerade im Winter immer knapp sein werden.

In Kombination mit einem verbesserten Wärmeschutz ist sie auf den ganzen Gebäudebestand skalierbar. Zudem ist die Gefahr, dass sie am Ende doch fossil betrieben wird, viel geringer.

Bei dichter Bebauung kann auch ein Nahwärmenetz mit kurzen Anschlussleitungen sinnvoll sein.

 

Ein Rat für die Praxis, bitte: Wer jetzt als Haus- oder Wohnungseigentümer seine Heizung wechseln muss oder will, was soll der genau tun? Viele entscheiden sich gerade dafür, doch noch schnell eine neue Erdgas-Therme einbauen zu lassen ...

Davon kann man nur abraten. Der neue Gaskessel wird auf die Dauer sehr teuer, wenn nämlich die CO2-Preise steigen und immer weniger Verbraucher das Gasnetz finanzieren müssen.

Besser ist, in Ruhe nachzudenken, bevor der Kessel ausfällt, und dann konsequent nach einem zukunftsfähigen Konzept zu handeln.

Beratung dafür gibt es von Architektinnen und Energieberatern. Der wichtigste Rat: die Gebäudehülle bei passender Gelegenheit "future-ready" machen, siehe oben.