Ausgerechnet die Menschen im reichen Industriestaat Deutschland sind von den Gesundheitsfolgen des Klimawandels besonders betroffen. Laut einer im renommierten Medizin-Fachmagazin The Lancet veröffentlichten Studie gibt es hierzulande im weltweiten Vergleich eine Rekordzahl von vorzeitigen Todesfällen durch Hitze.
Ursache ist danach die Zunahme der besonders warmen Tage pro Jahr in Verbindung mit dem steigenden Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung, die von den Hitzefolgen besonders betroffen sind.
Die Wissenschaftler ermittelten für 2018 in Deutschland rund 20.200 Todesfälle bei über 65-Jährigen, die durch Hitze ausgelöst wurden. "Wir spüren die Folgen der Klimakrise am eigenen Leib, auch in Deutschland", kommentierte die Ärztin Sabine Gabrysch, die an der Berliner Charité Professorin für Klimawandel und Gesundheit ist, die Ergebnisse.
Nur in China und Indien, die mit jeweils rund 1,4 Milliarden Menschen viel höhere Einwohnerzahlen haben, lagen die absoluten Zahlen laut Studie noch höher – mit 62.000 respektive 31.000. Die Angaben basieren auf einem Rechenmodell, in das unter anderem die täglichen Maximaltemperaturen, der Anteil der über 65-Jährigen und das Sterberisiko in dieser Altersgruppe eingingen.
Die Zahl für Deutschland bedeutet eine deutliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Im Durchschnitt der Jahre 2000 bis 2004 gab es hierzulande nach dieser Berechnung nur rund 8.340 Hitzeopfer jährlich.
Diese Ergebnisse entstammen der großangelegten Studie "Lancet Countdown on Health and Climate Change 2020", die sich mit den Zusammenhängen von Klimawandel und Gesundheit beschäftigt. Beteiligt daran waren insgesamt 120 internationale Forscher von 35 Instituten und UN-Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Weltbank.
Die Modellrechnungen zeigen, dass es sich bei den Hitzeopfern um einen weltweiten Trend handelt. Die Anzahl der Menschen, die unter den verschärften Hitzewellen leiden oder sogar daran sterben, hat danach dramatisch zugenommen. Global seien ihnen 2018 rund 296.000 vorzeitige Todesfälle zuzurechnen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten habe die Zahl der Hitzeopfer bei den älteren Menschen um 54 Prozent zugenommen.
Mehr Waldbrände, neue Infektionskrankheiten
Der Klimawandel hat laut der Lancet-Studie neben der Zunahme der Hitze weitere Folgen, die die Gesundheit beeinträchtigen. So führten höhere Temperaturen und Dürren zu einer starken Zunahme von Waldbränden. Dadurch sei in 128 Ländern die Zahl der Menschen gestiegen, die durch Brände verletzt oder getötet wurden. Die USA hätten hier einen der größten Zuwächse zu verzeichnen gehabt.
Ein weiterer Faktor ist laut der Untersuchung die Ausbreitung von Infektionskrankheiten. Höhere Temperaturen verbessern danach längerfristig die Umweltbedingen für Mückenarten, die in nördliche Breiten einwandern und Tropenkrankheiten übertragen können.
Die Forscher warnen, dass die Folgen der Klimakrise weltweit Gesundheitssysteme zu überlasten drohen. Nur die Hälfte der untersuchten Länder hat laut der Lancet-Studie nationale Gesundheitspläne, die den Klimaaspekt beachten, und fast alle seien unterfinanziert.
Der Co-Vorsitzende des "Lancet Countdown", der britische Professor Hugh Montgomery, sagte: "Die Covid-19-Pandemie hat ein Schlaglicht auf die aktuelle Situation geworfen." Es habe sich gezeigt, dass die Gesundheitssysteme bisher kaum gerüstet seien, mit künftigen Gesundheitsschocks umzugehen, die der Klimawandel erzeugen könne.
Die Experten raten daher dringend, die viele Milliarden schweren Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft in der Coronakrise auch dazu zu nutzen, den Klimawandel zu bekämpfen und die öffentliche Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Der Chefredakteur von The Lancet, Richard Horton, sieht die Studie als Warnzeichen: "Es für uns alle jetzt an der Zeit, die umweltbedingten Gesundheitsfaktoren ernster zu nehmen. Wir müssen uns mit der Klimakatastrophe auseinandersetzen, die Artenvielfalt schützen und die natürlichen Systeme stärken, von denen unsere Zivilisation abhängt."