Eine Gruppe Menschen hat eine im Bau befindliche Erdgaspipeline symbolisch besetzt und hält ein Transparent hoch:
Falls der Einsatz von Erdgas aus Klimagründen gesetzlich begrenzt wird, wäre das auch ein Erfolg der zunehmenden Proteste gegen Erdgasfernleitungen. (Foto: Nora Börding/​Ende Gelände/​Flickr)

Seit Anfang April ist die Eugal, die quer durch Deutschland führende Europäische Gas-Anbindungsleitung, voll in Betrieb. Ihre Kapazität liegt bei 55 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr – so viel, wie die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 in Lubmin an der Ostseeküste einmal anlanden soll. Deren Gas europaweit zu verteilen ist vor allem Aufgabe der Eugal.

Die Eugal zu bauen soll 2,9 Milliarden Euro gekostet haben. Das deutsche Recht billigt ihr – wie anderen Energieanlagen auch – eine unbefristete Betriebsgenehmigung zu. Aus heutiger Sicht kann die Leitung also bis weit nach 2045 betrieben werden – und zwar mit Erdgas.

Das widerspricht nach Ansicht der Stiftung Klimaneutralität direkt dem nunmehr bald gesetzlichen Klimaziel, dass Deutschland ab 2045 netto keine CO2-Emissionen mehr erzeugen darf. Welcher Handlungsbedarf daraus für den Gesetzgeber resultiert – das zu prüfen hatte die Stiftung die Berliner Anwaltskanzlei Becker Büttner Held (BBH) beauftragt.

Auf der Grundlage des heute veröffentlichten BBH-Gutachtens schlägt die Stiftung Klimaneutralität vor, den Einsatz fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung und in Industrieanlagen ab dem 1. Januar 2045 für nicht mehr zulässig zu erklären. Eine Ausnahme soll der Einsatz der CO2-Speichertechniken CCS und CCU darstellen, sofern die bei der Nutzung frei werdenden Treibhausgase komplett abgeschieden und dauerhaft eingelagert würden.

Auch im Verkehr und in Heizungen soll der Einsatz fossiler Kraft- und Brennstoffe ab Anfang 2045 nicht mehr zulässig sein. In Gasnetzen soll dann auch kein Erdgas mehr transportiert werden dürfen. Entsprechend seien die Abschreibungszeiten bei Gasnetzen anzupassen.

"Wird hier Zeit vergeudet, besteht die Gefahr, dass heute klimaschädliche Fehlinvestitionen getätigt und morgen Entschädigungsansprüche gegenüber dem Staatshaushalt geltend gemacht werden", betonte Stiftungschef Rainer Baake heute bei der Vorstellung des Gutachtens.

Das bekräftigte auch Gutachter Olaf Däuper von BBH. Das Enddatum 2045 müsse gesetzlich verankert werden – und zwar unverzüglich. Denn viele Anlagen hätten Abschreibungszeiträume, die weit über 2045 hinaus reichten.

Rechtliches Gewicht des Klimaschutzes nimmt zu

Der Rechtsrahmen, so Däuper weiter, müsse Klimaneutralität fördern und nicht verhindern. Nach seiner Ansicht hat das kürzliche Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts die rechtliche Lage für so ein fossiles Verbot ab 2045 verbessert.

Ein Verbot stelle danach keine Enteignung dar, sondern sei eine verhältnismäßige Maßnahme, eben aufgrund des angestrebten Zwecks Klimaschutz. Däuper: "Das Gewicht des Klimaschutzes nimmt nach dem Urteil in der Abwägung und bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu."

Gewissermaßen als Paradebeispiel, wo sich Klimaziel und heutiger Rechtsrahmen widersprechen, nannte Däuper die staatliche Regulierung der Gasnetze. Die Verzinsung des eingesetzten Kapitals sei dort gesetzlich sogar vorgeschrieben, und das über einen Zeitraum von bis zu 65 Jahren – ohne dass klar sei, welche Rolle Gase in der Zukunft spielen würden.

Auch gebe es für Haushalte eine Art Anschlusszwang für Gas. Das geltende Energierecht mache die Kündigung von Gasnetzanschlüssen im Grunde unmöglich, so Däuper.

Laut der Stiftung Klimaneutralität haben die Erdgasverteilnetzbetreiber in Deutschland 2020 mehr als 1,5 Milliarden Euro investiert. Diese Gelder würden aufgrund staatlicher Vorgaben über einen Zeitraum von wenigstens 45 Jahren abgeschrieben und die Netzentgelte entsprechend kalkuliert.

Aufgrund der bis Anfang 2045 noch verbleibenden Zeit von 23,5 Jahren wird es nach Einschätzung von Däuper nur in Einzelfällen Anlagen geben, die noch "nicht komplett abgeschrieben" sind – sofern der Gesetzgeber jetzt schnell handele.

Kohleentschädigungen höher als rechtlich geboten

Baake wie auch Däuper gingen in dem Zusammenhang hart mit den von der Regierung vereinbarten Entschädigungen für Kohlekraftwerke ins Gericht. "Was die Bundesregierung bei den Kohlekraftwerken gemacht hat, geht weit über das hinaus, was der Gesetzgeber verfassungsrechtlich tun muss", sagte Baake. Für 2045 könne das mit einer frühzeitigen Regelung vermieden werden.

Dabei stellten Baake wie auch Däuper klar, dass es bei ihrem Vorschlag nur um ein Einsatzverbot für fossile Brennstoffe wegen ihrer treibhausrelevanten Emissionen, also aus Klimaschutzgründen, geht – nicht um das Verbot einer Infrastruktur an sich. "Wir stellen auf den Brennstoff und nicht auf die Anlagen ab", erläuterte Baake explizit. "Will jemand seine Anlagen mit CO2-freien Energieträgern nutzen, soll das weiterhin möglich sein."

Das soll dann auch gelten, wenn Unternehmen ihre Emissionen durch CO2-Abscheidung neutralisieren sollten. Damit könne die Anlage weiterlaufen. Eine Gasleitung könne auch mit Wasserstoff statt mit Erdgas betrieben werden.

Das Problem zu lösen, indem zum Beispiel der Einsatz fossiler Brennstoffe nur für neue Anlagen verboten wird – wie es etwa mit einem Zulassungsverbot für neue Verbrenner-Pkw geschehen könnte – ist nach Baakes Ansicht rechtlich nicht möglich. So ein Verbot für neue Anlagen könne nur EU-weit ausgesprochen werden. Für Pkw gelte beispielsweise eine europarechtliche Typgenehmigung.

Rolle der Energiecharta nicht geprüft

Nicht untersucht worden sei in dem Gutachten, welche Rolle internationale Vereinbarungen wie die Energiecharta bei der Frage von Entschädigungen spielen könnten, räumte Däuper auf Nachfrage ein. Dieser Investitionsschutz komme allerdings nur zum Tragen, wenn ausländische Unternehmen in Deutschland investiert haben, sagte er.

Das werden einige der Eugal-Eigner wie die russische Gasprom oder die niederländische Gasunie sicher mit Interesse zur Kenntnis nehmen, sollte ein rechtliches Verbot für fossile Brennstoffe wirklich von einer Bundesregierung erwogen werden.

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