Zugegeben: Ein Genuss ist die Lektüre dieses 500-Seiten-Wälzers nicht. Soll sie auch nicht sein. Sie soll aufrütteln, ein Tribunal sein, über das Unrecht, das der Mensch – insbesondere der Europäer – seinen Mitmenschen und vor allem der Natur angetan hat. Die Umweltgeschichte der vergangenen 500 Jahre.

Warum man sich das antut: Vielleicht liefert uns diese Geschichte ja eine Antwort, wie wir in das Schlamassel geraten konnten, in dem wir uns derzeit befinden. Artensterben, Klimakrise, Vermüllung der Welt. Vielleicht weist sie uns einen Ausweg.

 

Genau dieses Versprechen gibt Sunil Amrith, Professor für Geschichte an der Yale-Universität, im Prolog seines Buchs "Brennende Erde" ab, durch den man sich genauso wie durch die Einleitung erst einmal hindurchwühlen muss, um zu verstehen, was das Buch überhaupt will – Amrith selbst gibt zu, erst zwei Bücher geschrieben haben zu müssen, um das für sich selbst zu klären: "Um noch irgendeine Hoffnung zu haben, das dicht gewobene Geflecht von Ungleichheit, Gewalt und Umweltzerstörung zu lösen, müssen wir seine Ursprünge verstehen."

Seine These: Das Streben nach Macht, Wohlstand und Freiheit ist eng verwoben mit der Ausbeutung, Kontrolle und Zerstörung der Umwelt. Und nichts versprach mehr Freiheit als die Nutzung von fossilen Rohstoffen: Aus Petroleum wurden Düngemittel und Antibiotika, aus dem Strom durch dieselbetriebene Generatoren Licht auf ländlichen Geburtsstationen.

Aber der schier unbegrenzten Energie folgte die Hybris. Die Menschen "glaubten, dass ihr leichter Zugang zu jener jahrtausendealten Energie, die in fossilen Brennstoffen lagerte, sie unbesiegbar machen würde. Ihre Dampfmaschinen und tödlichen Waffen eroberten die Welt. In ihrem Streben nach Freiheit rissen sie die Freiheit anderer an sich", schreibt Amrith.

"Sie vergifteten Flüsse, ebneten Hügel ein, ließen Wälder verschwinden; sie terrorisierten Tiere und trieben sie an den Rand der Ausrottung. Die Mächtigsten in der Welt glaubten, und einige tun das auch heute noch, dass Menschen und andere Lebensformen auf der Erde nur Ressourcen sind, die dazu da sind, ausgebeutet zu werden, sie nach Belieben umherzuschieben."

Eroberung und Zerstörung

Der Autor nimmt seine Leserinnen und Leser mit durch die geballte Unterdrückungs- und Ausbeutungsgeschichte des Menschen, Kriege, Kolonisierung, die Zerstörung von Landschaften. Mal sitzt man mit einem mongolischen Herrscher im Sattel, mal holzt man mit einem mittelalterlichen deutschen Bauern einen Wald ab oder legt einen Sumpf trocken, um kultivierbares Land zu gewinnen, mal ist man unterwegs mit iberischen Konquistadoren durch Südamerika, auf Mission, angetrieben durch eine "maßlose Gier nach Gold".

Amrith stellt aber auch klar, dass Eroberung und Zerstörung nicht nur den Europäern vorbehalten war, wie etwa der Qianlong-Kaiser in seinem Vernichtungskrieg gegen die Dsungaren im 18. Jahrhundert belegte. "Hier, wie in den Amerikas, bedeutete Eroberung die Auslöschung von allem, was zuvor dort gewesen war – auch von Namen."

Das Buch

Sunil Amrith: Brennende Erde. Eine Geschichte der letzten 500 Jahre. C.H. Beck, München 2025, 506 Seiten, 34 Euro

Noch einmal potenziert wurde alles, nachdem der Mensch lernte, sich die fossilen Energien zunutze zu machen. "Wir sehen hier, wie eine Idee aufkam, die so machtvoll war, dass sie fast zwei Jahrhunderte lang auf der ganzen Welt nachhallte: die Idee, dass die Degradierung und Opferung der Natur der notwendige Preis für die menschliche Freiheit von Mangel war."

Durch den Rauch der Kohlekraftwerke verdunkelte sich der Himmel, Staub drang in die Lungen der Menschen ein, die Erde wurde aufgerissen und schließlich erhitzte sich noch die Atmosphäre.

Noch grundlegender veränderte das Öl die Lebenswelt der Menschen. Öl schuf Häuser, Dächer, Shopping-Malls, die Ausstattung von Automobilen, ja, Amerikaner schluckten selbst Ölprodukte in Form ihrer Pillen. Sie sorgten für "Komfort und Annehmlichkeiten".

Wie sehr vor rund einem halben Jahrhundert die Menschen dem klebrigen schwarzen Produkt verfallen waren, illustriert Amrith mit einer Werbung für die Exxon-Marke Humble Oil aus dem Jahr 1962. Unter dem Bild einer Eislandschaft stand geschrieben: "Humble liefert jeden Tag genügend Energie, um sieben Tonnen Gletscher schmelzen zu lassen."

Eine Schreckensbilanz

Über die weiteren Seiten des Buchs breitet sich der Mensch auf der Erde aus, zerstört Wälder und Natur, durchwühlt den Meeresboden nach Mineralien. Wälder brennen, Dürren herrschen, Korallen bleichen, die Luft verschmutzt. Eine Schreckensbilanz, eine Vergewaltigung des Planeten, die mit einem geruchlosen Gas noch einmal auf die Spitze getrieben wird – CO2.

Selbst, wenn Amrith mal kurz Hoffnung aufscheinen lässt, macht er sie gleich wieder zunichte. Naturschutz – "war das nicht nur ein weiteres Werkzeug für die Wohlhabenden, um sich noch mehr Land und Ressourcen von den Armen anzueignen?" Der Siegeszug der erneuerbaren Energien – bekämpft zwar den Klimawandel, aber "sie tun das möglicherweise, indem sie die Ungleichheit zwischen Menschen verschärfen und der Biodiversität Schaden zufügen".

Das ist alles schwer zu ertragen. Und doch bleibt bei einem nach der Lektüre eine Einsicht: wie destruktiv der Mensch in seinem ganzen Ausbreitungsdrang doch ist. Keine neue Einsicht, aber nach den 500 Seiten durchdringt sie einen so sehr, dass man sie fast physisch zu spüren meint.

 

Ganz am Ende gibt Amrith dann aber doch noch ein Rezept, wie wir Schluss machen können mit dem ganzen Wahnsinn: Er schlägt eine neue Beziehung mit der natürlichen Welt vor, eine Beziehung, die "klüger ist und weniger gewalttätig" als bisher.

Statt jedes Jahr Hunderte Milliarden von Tieren zu töten und damit nicht nur anderen Lebewesen Schaden zuzufügen, "sondern auch etwas von uns selbst" zu verlieren, sollten wir einsehen, dass wir Teil der Natur sind.

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