Die Bagger sind da. Der Karstadt am Nordbad in München, bis 2020 das Lieblingskaufhaus der Bewohner des In-Stadtteils Schwabing, wird abgerissen. Bis in den Herbst dauern die Arbeiten. Kosten: mehrere Millionen Euro.
Nur gut 50 Jahre stand das Kaufhaus dort. Nun wird Bauschutt daraus. In der prominenten Lage soll ein neues Gebäude entstehen, mit "Nahversorger" auf 2.500 Quadratmetern Verkaufsfläche und Büros für rund 1.000 Menschen.
Noch erheblich kürzer war die Nutzungszeit bei einem Bürogebäude in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Es wurde unlängst abgerissen, obwohl es erst 25 Jahre alt war.
Der Trend, noch relativ junge Gebäude abzubrechen, um sie durch Neubauten zu ersetzen, ist vor allem in den Städten unübersehbar, wo das Bauen trotz Corona boomt. Besonders häufig trifft es die Architektur der 1950er und 1960er Jahre.
Mehr Wohn- oder Bürofläche, größere Räume, mehr Rendite – das sind die Gründe. Doch immer mehr Architekten und Stadtplanern ist der Abriss-Trend ein Dorn im Auge. Vor allem aus Umwelt- und Klimaschutzgründen.
"Oft wird unnötig abgerissen"
Den Fall des Münchner Bürohauses nahm jetzt das in der Bayern-Metropole ansässige Beratungs- und Architektur-Unternehmen CSMM zum Anlass, ein "radikales Umdenken und ressourcenschonendes Bauen im Bestand" zu fordern. Stichwort: "Alte Gebäude, neue Chancen: Oft werden Objekte unnötig abgerissen."
Geschäftsführer Timo Brehme sagte: "In der Baupraxis geben Gebäudeplaner leider noch viel zu oft Abriss und Ersatzneubau den Vorzug vor dem ökologisch viel sinnvolleren Bestandserhalt samt Sanierung." Dabei lägen hier enorme Potenziale für die Einsparung von Ressourcen und CO2.
Die Umweltschäden durch den Bausektor sind in der Tat sehr hoch. Laut Umweltbundesamt entstehen in dem Bereich rund 60 Prozent des Abfallaufkommens in Deutschland, zudem ist er für etwa 35 Prozent des Energieverbrauchs und 40 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich.
Um das mit dem Pariser Klimaabkommen beschlossene 1,5-bis-zwei-Grad-Erwärmungslimit einhalten zu können, muss auch der Baubereich in den nächsten Jahrzehnten CO2-neutral werden.
Eine Studie des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie ergab voriges Jahr, dass dies im gesamten Gebäudebestand sogar schon bis 2035 nötig ist, um die untere Grenze von 1,5 Grad zu halten. Dafür müsste die Sanierungsquote bei Altbauten von derzeit rund einem auf vier Prozent pro Jahr erhöht werden.
Ein großes Problem ist die "graue Energie", die in die Herstellung der Baustoffe wie Beton, Stahl und Steine fließt. Sie geht bei einem Abriss verloren.
Zudem ist das Abbrechen selbst energieaufwändig, und für die Baustoffe des neuen Gebäudes muss auch wieder viel Energie aufgewandt werden. Bei einer Sanierung ist der Energieaufwand weit geringer. Genauso wie die Lärmbelastung für die Anwohner.
Die "Architects for Future" werden aktiv
Auch die Initiative Architects for Future, die sich 2019 im Rahmen der Fridays-for-Future-Bewegung gebildet hat, ist hier aktiv. Sie fordert eine generelle "Bauwende", darunter mehr Aufklärung über den Wert des Gebäudebestandes und die Nutzung der Klimapotenziale von Sanierung statt Neubau.
Kürzlich organisierte die Gruppe, die inzwischen rund 600 Mitglieder hat, auch eine Bundestagspetition mit dieser Stoßrichtung – Titel "Bauwende Jetzt!". Erreicht werden soll damit ein "ökologischer, klima- und sozial gerechter Wandel der Baubranche".
Die Petition erhielt weit mehr als die nötigen 50.000 Unterschriften, sodass sich der Petitionsausschuss des Parlaments damit in einer öffentlichen Sitzung am 1. März befassen wird.
Eine aktuelle Umfrage der "Architects" in der Kollegenschaft erbrachte eine Reihe von Hindernissen, die Sanierungen, Umbauten oder Erweiterungen – und somit eine ökologisch vorteilhafte Weiternutzung – oft verhindern.
Darunter: Die Gesamtsanierung ist heute oft nicht billiger als Abriss und Neubau, die Bauherren haben Angst vor "Überraschungen" beim Eingriff in den Altbau, den Auftraggebern mangelt es am ökologischen Bewusstsein, und es bestehen zu hohe Hürden durch die Bauvorschriften.
Aus der Umfrage haben die "Architects" eine Reihe Lösungsansätze entwickelt. Darunter eine finanzielle Förderung des Bauens im Bestand, eine gute Beratung für die Baubeteiligten und eine Sanierungsplanung mit Blick auf die Klimaschutzziele.
Über den Wert des Gebäudebestands aufklären
"Wichtig ist auch eine allgemeine Aufklärung über den Wert des Gebäudebestands und eine darauf zielende Aus- und Fortbildung für alle Baubeteiligten", sagt Christina Patz von der Gruppe.
Viel Zuspruch unter den befragten Architekten erhielt auch die Idee, neben der allgemeinen Bauordnung eine "Umbau-Ordnung" zu erstellen, die die baurechtlichen Anforderungen für das Bauen im Bestand gegenüber denen beim Neubau vereinfacht. Ziel: Planungshürden und Kosten senken.
Bei CSMM in München hat man inzwischen viel Erfahrung mit der Sanierung vorhandener Gebäude. Zuletzt hat das Unternehmen in der Bayern-Metropole bei Projekten im Arabellapark und im Olympia Business Center gezeigt, dass die alten Bauten durchaus modernen Standards genügen und auch energetisch nachgerüstet werden können.
In Frankfurt am Main hat CSMM ein Bürogebäude aus den 1960er Jahren in der Theodor-Heuss-Allee entsprechend umgebaut. Ein anderes Beispiel für eine "Revitalisierung" alter Gebäude in der Stadt ist das frühere Amerikahaus aus den 1950er Jahren, das von der Architektengruppe Schneider und Schumacher betreut wurde und in dem nun das spanische "Instituto Cervantes" seinen Sitz hat.
Bisher würden sich Eigentümer und Projektentwickler oft verfrüht für einen Abriss und Neubau entscheiden, sagt CSMM-Partner Reiner Nowak. Hier brauche es dringend mehr Aufklärung. "Wenn wir eine klimaneutrale Zukunft haben wollen, führt am Gebäudebestand und seiner Sanierung kein Weg vorbei. Deshalb fordern wir, dass jeder Abriss wirklich kritisch hinterfragt wird."