Die Apple Watch ist laut Apple die meistverkaufte Uhr der Welt. (Bild: Songquan Deng/Shutterstock)

In wenigen Tagen tritt Apples erstes CO2-neutrales Produkt in das Licht der Weltöffentlichkeit: die Apple Watch Series 9. So zumindest bewirbt der kalifornische Technologiekonzern seine neue Armbanduhren-Generation.

Nach eigenen Angaben hat Apple bei der Herstellung zu 30 Prozent recyceltes Material verwendet und den Lufttransport massiv reduziert. 100 Prozent erneuerbare Energien entlang der gesamten Wertschöpfungskette verspricht das Unternehmen. Das summiere sich auf Emissionseinsparungen von mindestens 75 Prozent.

Das verbleibende Viertel will Apple über "hoch qualitative" Klimaschutzprojekte kompensieren.

Das New Climate Institute in Köln reagiert skeptisch auf die Ankündigung der CO2-neutralen Uhr. Trotz der wichtigen und guten Einsparmaßnahmen, sei es "eine kühne Übertreibung, zu behaupten, dass diese Produkte eine neutrale Auswirkung auf das Klima hätten", so das Institut.

Das fängt bei Apples Behauptung an, entlang der gesamten Wertschöpfungskette würden 100 Prozent Grünstrom verwendet. Wörtlich schreibt Apple: "100 Prozent sauberer Strom für Herstellung und Produktnutzung."

Das wirft gleich mehrere Fragen auf. Nach wie vor ist der Anteil von grünem Strom bei den Unternehmen, die für Apple produzieren, äußerst gering. Die beiden taiwanesischen Elektrohersteller und wichtigen Apple-Zulieferer Hon Hai und Pegatron haben in den letzten zwei Jahren jeweils Erneuerbaren-Anteile zwischen sechs und acht Prozent gemeldet.

Für das New Climate Institute ist darum nicht bewiesen, dass in dem gesamten Herstellungsprozess ausschließlich erneuerbarer Strom verwendet wurde. "Es ist möglich, dass die Zulieferer ihren geringen Anteil an erneuerbarem Strom Apple-Produkten zuordnen", erklärt Carsten Warnecke, Experte für CO2-Märkte beim New Climate Institute.

"Produkte, denen dafür mehr Strom aus fossilen Quellen zugeordnet wird, werden dafür klimaschädlicher. Das ist dann eine reine Zuordnungsfrage und bringt dem Klima nichts", erläutert der Forscher.

Kompensieren heißt nicht reduzieren

Noch fragwürdiger wirkt, was Apple über die Produktnutzung behauptet. Schließlich hat das Unternehmen keine Kontrolle darüber, mit was für Strom seine Kund:innen nach dem Kauf ihr Produkt laden.

Apple antwortet auf Nachfrage, dafür investiere man in den Ausbau von Erneuerbaren, und zwar entsprechend des erwarteten Elektrizitätsverbrauchs der Kund:innen.

Für Warnecke gleicht das eine das andere nicht aus. "Ein paar mehr Photovoltaikanlagen irgendwo, vermutlich in den USA, führen nicht gleichermaßen zur Vermeidung von Emissionen, wie sie der Stromverbrauch von Nutzern auf der ganzen Welt – in auch sehr fossil dominierten Stromnetzen – produziert."

Ein weiterer Streitpunkt sind die Kompensationsprojekte. Für 2030 peilt Apple eine komplett CO2-neutrale Produktpalette an. Allerdings sollen die Emissionen im Vergleich zu 2019 nur um 63 Prozent gesenkt werden. Den Rest soll der Kauf von CO2-Zertifikaten richten.

In den letzten Jahren und Monaten haben zahlreiche Studien und Recherchen die Probleme des Kompensationsmarktes beleuchtet. Das liegt zum einen an der schlechten Qualität vieler Projekte, die das von ihnen gespeicherte oder vermiedene CO2 maßlos überschätzen.

Zum anderen gibt es aber auch ganz grundsätzliche Kritik an dem System. Apple scheint diese Probleme anzuerkennen und definiert seine Kompensationsprojekte als "Projekte, die real, zusätzlich, messbar und quantifiziert sind, mit Systemen zur Vermeidung von Doppelzählungen und die Dauerhaftigkeit gewährleisten".

Der Großteil der CO2-Zertifikate soll laut Apple von Aufforstungsprojekten oder Projekten zur Wiederherstellung von Feuchtgebieten stammen. Solche Projekte könnten aber die von dem Unternehmen genannten Kriterien nicht erfüllen, schreibt das New Climate Institute.

Wälder und auch andere sogenannte naturbasierte Projekte gelten heute nicht mehr als sichere CO2-Speicher. Waldbrände, die durch den Klimawandel immer wahrscheinlicher werden, sowie die Möglichkeit einer zukünftigen Rodung machten zum Beispiel Forstprojekte "in keiner Weise damit vergleichbar, überhaupt keine Treibhausgase zu emittieren", schreibt das Forschungsinstitut.

Es gibt bisher auch keine funktionierende Regelung, um die Doppelzählung von CO2-Zertifikaten zu verhindern. Realität ist, dass in den allermeisten Fällen sowohl das Unternehmen, das die Zertifikate kauft, als auch das Projektland damit seine Klimabilanz schönt.

Konkurrenten wie Samsung stehen viel schlechter da

Gemeinsam mit der europäischen Umweltorganisation Carbon Market Watch zeigte das New Climate Institute im diesjährigen Corporate Climate Responsibility Monitor, dass die Kompensationspläne von Unternehmen die Möglichkeiten des Planeten bei Weitem übersteigen.

Um alle Aufforstungsprojekte zu verwirklichen, wären demnach mindestens vier Erden vonnöten. Kompensationsprojekte mögen deshalb auf dem Papier sinnvoll erscheinen, in der Realität stehen sie auf tönernen Füßen.

Für ein einzelnes Unternehmen ist es sehr schwer, vielleicht sogar unmöglich, tatsächliche CO2-Neutralität entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu garantieren. Das beginnt bei komplizierten und global verstreuten Lieferketten und endet bei einem Strommix, der in den meisten Ländern immer noch von fossilen Brennstoffen dominiert wird und Konsument:innen nicht einmal die Möglichkeit gibt, Produkte CO2-neutral zu verwenden.

Anstatt diese Realität zu vertuschen, sollte Apple seine tatsächlichen Emissionen und auch die Barrieren und Probleme, diese weiter zu senken, transparent machen, sagt Carsten Warnecke. "Nur dann können wir alle dazu beitragen, Lösungen für bestehende Probleme zu finden."

Das Werben mit vermeintlicher CO2-Neutralität würde nur zu einem Wettlauf zwischen Tech-Giganten wie Apple, Microsoft und Google führen, um mit den übertriebenen Marketingbehauptungen der anderen Schritt zu halten.

Immerhin hat Apple tatsächlich das Potenzial, Vorreiter in der Branche zu sein. In dem Corporate Climate Responsibility Monitor ist Apple Spitzenreiter unter allen 24 transnationalen Unternehmen, deren Klima-Versprechen untersucht wurden.

Bis 2030 will Apple 63 Prozent und bis Mitte des Jahrhunderts 90 Prozent seiner gesamten Emissionen einsparen. Das reicht zwar nicht für das 1,5-Grad-Ziel, ist aber vergleichsweise ambitioniert, besonders gegenüber einigen Tech-Konkurrenten.

Die Klimastrategie von Samsung sieht beispielsweise bis 2050 eine Verringerung der Emissionen der gesamten Wertschöpfungskette um lediglich 20 Prozent vor. Die Pläne des Unternehmens für 2030 sind etwas unklar formuliert, das New Climate Institute geht von etwa zwei Prozent CO2-Reduktion im Vergleich zu 2019 aus.

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