Kohlekraftwerk Grevenbroich RWE
Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Grevenbroich ist das zweitgrößte Europas. (Foto: Patrick Pekal/​Flickr)

In den letzten 16 Monaten war das beste Rohstoffinvestment das in CO2. Die europäischen CO2-Zertifikate für eine ausgestoßene Tonne sind von knapp fünf Euro auf heute knapp über 20 Euro gestiegen. Diese Zertifikate werden von rund 11.000 CO2-Großemittenten wie Kohlekraftwerken und Zement- oder Stahlfabriken benötigt.

Jedes Jahr versteigern (und verschenken) die EU-Länder eine festgelegte Anzahl Zertifikate, die anschließend im EU-Emissionshandelssystem gehandelt werden können. Am Ende jedes Jahres müssen die Großemittenten dann für jede Tonne ihrer CO2-Emissionen ein Zertifikat abgeben.

Abgedeckt sind auch Fluggesellschaften, die für die CO2-Emissionen ihrer innereuropäischen Flüge Zertifikate benötigen. So sollen die Emissionen der betroffenen Unternehmen gedeckelt werden.

Doch das System hatte viele Jahre lang kaum eine Auswirkung auf die Emissionen. Der CO2-Preis lag unter zehn Euro und die betroffenen Firmen hatten keinen nennenswerten Anreiz, in die Reduktion ihrer Emissionen zu investieren.

Der Grund dafür ist simpel: Es wurden zu viele Zertifikate ausgegeben. Derzeit sind überschüssige Zertifikate für 1,6 Milliarden Tonnen CO2 im Markt.

Warum steigt der Preis?

Aus diesem Grund haben die EU-Länder beschlossen, ab nächstem Jahr eine Marktstabiliserungsreserve (MSR) einzuführen. Solange die Zahl der überschüssigen Zertifikate größer als 833 Millionen ist, werden weniger Zertifikate versteigert und damit auf den Markt geworfen, stattdessen wird ein Teil der Zertifikate in der MSR "geparkt".

Dieser Teil entspricht 24 Prozent der überschüssigen Zertifikate. Nächstes Jahr werden daher 400 Millionen Zertifikate weniger versteigert als ursprünglich vorgesehen. Von 2020 bis 2023 fließen dann jedes Jahr weitere Zertifikate in die MSR, wenn auch immer weniger.

Doch warum steigt dann der Preis? Schließlich wird der Markt selbst im Jahr 2024 noch in überschüssigen CO2-Papieren schwimmen. Diese Frage beantwortet eine neue Studie der britischen Denkfabrik Carbon Tracker.

Die kurze Antwort lautet: Weil die Industrie und Spekulanten einen Großteil der Überschusszertifikate besitzen und Kraftwerksbetreiber und Fluggesellschaften auf die jährlichen Auktionen angewiesen sind, um ihren Bedarf zu decken. Fallen diese Auktionen kleiner aus, müssen sie Überschusszertifikate am Markt kaufen. Doch die Industrie und die Spekulanten wissen das und wollen ihre Überschusszertifikate natürlich möglichst teuer verkaufen. Daher warten sie.

Betreiber könnten Gaskraftwerke hochfahren

Carbon Tracker schätzt, dass der CO2-Preis in den Jahren 2020 bis 2023 zwischen 35 und 40 Euro liegen wird. Das entspricht einer weiteren Verdoppelung des heutigen Preises.

Doch wie kommen die Studienautoren auf diese Zahlen? Die Großemittenten lassen sich in drei Gruppen unterteilen: die Industrie mit einem stabilen Zertifikatebedarf, die Fluggesellschaften mit einem steigenden Bedarf und die Kraftwerke mit einem flexiblen Bedarf.

Große Kraftwerksbetreiber haben die Wahl: Sie können entweder ihre Kohlemeiler laufen lassen oder ihre Gaskraftwerke. Damit bestimmen sie die Nachfrage nach Überschusszertifikaten. Bei den aktuellen Preisen für Kohle und Gas lohnt es sich für die Stromkonzerne bei einem CO2-Preis von 35 bis 40 Euro, die dreckigeren Kohlemeiler runter- und die etwas saubereren Gaskraftwerke hochzufahren.

Dies ist daher auch der Preis, ab dem die Besitzer der Überschusszertifikate bereit sein werden, zu verkaufen. Carbon Tracker schreibt: "Es gibt kein Problem mit dem Zertifikateangebot als solchem, sondern ein Problem mit der Verteilung." Der Preis sei der Mechanismus, um die effizienteste Umverteilung von Zertifikaten sicherzustellen.

Der Wechsel von Kohle zu Gas wird sich auf die vier EU-Länder konzentrieren, die genügend Kapazität an beidem haben: Deutschland, Italien, Spanien und die Niederlande.

Diese vier Länder werden in den Jahren 2020 bis 2023 rund 120 Milliarden Kilowattstunden Strom mit Gas statt mit Kohle erzeugen, so die Studie. Dadurch steigt der Strompreis für die Industrie und diese hat einen größeren Anreiz, Strom zu sparen. Durch den Wechsel von Kohle zu Gas und die höhere Energieeffizienz werden so in den Jahren 2020 bis 2023 jeweils zwischen 60 und 90 Millionen Tonnen CO2 weniger emittiert als ohne die Angebotsverknapppung durch die MSR.

Strengere Grenzwerte für Schadstoffe tun ihr Übriges

Doch was passiert anschließend, wenn die Zahl der Überschusszertifikate unter 833 Millionen gefallen ist und wieder die ursprünglich vorgesehene Anzahl Zertifikate versteigert wird?

Hier kommt nun eine weitere EU-Regelung ins Spiel: Ab August 2021 gelten strengere Grenzwerte für Schwefel-, Stickstoff- und Feinstaubemissionen. Diese Grenzwerte werden von 80 Prozent der Steinkohle- und 90 Prozent der Braunkohlekraftwerke in der EU derzeit nicht eingehalten.

Um ihren Weiterbetrieb zu ermöglichen, müssen diese Anlagen mit Filtern oder sogar mit Entstickungstechnik nachgerüstet werden. In Deutschland trifft das auf Steinkohlekraftwerke mit einer Kapazität von 24.000 Megawatt und auf 18.000 Megawatt Braunkohlekraftwerke zu.

Doch das Nachrüsten ist teuer. Zudem steigen wegen des CO2-Preises auch die laufenden Kosten dieser Kraftwerke.

Aus Sicht von Carbon Tracker "könnte das ausreichen, um die Nachrüstung eines bedeutsamen Teils der Erzeugungskapazität zu verhindern". Dies "könnte vor allem in Deutschland und Spanien einen beschleunigten Ausstieg aus alten Steinkohle- und Braunkohlekraftwerken auslösen".

Anders gesagt: Während in der deutschen Kohlekommission darüber gestritten wird, wie viele Kohlemeiler nach dem Jahr 2030 noch laufen dürfen, könnten die MSR und der Kampf gegen die Luftverschmutzung dafür sorgen, dass ein Großteil dieser Kraftwerke schon in den nächsten fünf Jahren vom Netz geht.

Das war bei der Ausgestaltung der MSR nicht unbedingt die Absicht. Das Klima würde dieses Resultat aber sicherlich begrüßen.

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