Uniper-Kraftwerk Buschhaus
Beim Braunkohlekraftwerk Buschhaus ist das Emissionsproblem gelöst – es ging 2016 vom Netz. (Foto: Axel Hindemith/​Wikimedia Commons)

Jahrelang sind durch manipulierte Dieselfahrzeuge mehr Schadstoffe in die Umwelt gelangt als erlaubt. Um Geld zu sparen, hatten Autokonzerne sich darum gedrückt, ihre Modelle auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, und damit Gesundheitsrisiken für Millionen Menschen in Kauf genommen. Noch immer lehnen sie Nachrüstungen ab, die bekanntlich teuer und aufwendig sind.

Neben dem Diesel gibt es für die Atemluft aber noch eine zweite große Gesundheitsgefahr in Deutschland: die Kohlekraftwerke. Über 100 Braunkohle- und Steinkohlemeiler stoßen hierzulande mit ihren Abgasen Stickoxide, Schwefeldioxid, Feinstaub und Schwermetalle aus.

Zwar gibt es Grenzwerte, aber die sind in Deutschland laut EU-Kommission zu hoch. Vor genau einem Jahr setzte eine Mehrheit von 20 der 28 EU-Staaten verschärfte Grenzwerte für industrielle Emissionen in Kraft, speziell für sogenannte "Großfeuerungsanlagen" wie Kohlekraftwerke – gegen den Willen der Bundesregierung und der Vertreter anderer Braunkohleländer wie Polen und Bulgarien. Ab 2021 müssen die neuen Grenzwerte für den Schadstoffausstoß dann von allen 2.900 europäischen Großkraftwerken eingehalten werden.

Hohe Belastung durch Stickoxide

Besonders umstritten ist der Grenzwerte für Stickoxid-Emissionen aus Braunkohle-Blöcken. Ab 2021 dürfen diese nur noch maximal 175 Milligramm Stickoxide je Kubikmeter ausstoßen – derzeit sind in Deutschland bis zu 200 Milligramm erlaubt. Selbst in den USA, einem Land, das nicht gerade für hohe Umweltstandards bekannt ist, sind es nur 117 Milligramm. China hat die Stickoxid-Emissionen sogar auf 100 und für Neuanlagen auf nur 50 Milligramm je Kubikmeter gedeckelt.

Für die Gesundheit ist das nicht unwichtig: Weil die Luft mit Stickoxiden belastet ist, sterben in Deutschland jedes Jahr 6.000 Menschen vorzeitig, gibt das Umweltbundesamt (UBA) an. Immerhin ein Drittel der Stickoxid-Belastung hierzulande stammt aus fossiler Verbrennung.

Durch die neuen EU-Grenzwerte werden laut UBA rund fünf Prozent weniger der toxischen Emissionen in die Luft gelangen – das sind pro Jahr mehr als 5.000 Tonnen vermiedener Stickoxide, ungefähr so viel, wie 700.000 Diesel-Pkw in die Luft blasen. Würde in den deutschen Kraftwerken allerdings, wie von der EU auch gefordert, die beste, aber teure Abgasreinigungstechnik eingesetzt, könnten die Stickoxid-Emissionen durch die Braunkohle sogar fast halbiert werden. Das wären dann jährlich bis zu 50.000 Tonnen NOx weniger.

Schon Monate, bevor sie in Kraft traten, liefen die deutsche Kohlelobby sowie Bund und Länder gegen die neuen EU-Grenzwerte Sturm. Ihr Ziel: in der EU wenigstens bei Stickoxiden einen höheren Grenzwert von 190 Milligramm für Braunkohle durchzusetzen. Die Versuche der deutschen Regierung scheiterten aber. Bisher hatte die Bundesregierung unliebsame Regulierungen aus Brüssel, etwa bei CO2-Grenzwerten für Pkw, immer entscheidend verwässern können.

Seit dem EU-Beschluss verharren Bundeswirtschafts- wie -umweltministerium in einer Art Schockstarre: Auch ein Jahr nach der verlorenen Abstimmung will das zuständige Umweltministerium sich auf keinen Termin zur Einführung der neuen Grenzwerte für die Kohleverbrennung festlegen: Diese werde zu einem "späteren Zeitpunkt" erfolgen, dennoch würden die Änderungen noch "fristgerecht" umgesetzt, versichert das Bundesumweltministerium.

Dokumentation

Wie die Bundesregierung bessere Gesundheitsstandards für Kohlekraftwerke blockiert, hat die Klima-Allianz Deutschland in einer "Chronologie der Versäumnisse" zusammengetragen. In der Klima-Allianz haben sich mehr als 100 Organisationen aus allen Bereichen der Zivilgesellschaft verbündet.

Laut dem hierzulande geltenden Bundes-Emissionsschutzgesetz hätte die Regierung aber zwölf Monate nach dem EU-Beschluss schon eine Änderung der entsprechenden Verordnung veröffentlichen müssen. "Wie beim Verkehr stellt die Bundesregierung die Interessen der Industrie, in diesem Fall der Kohleindustrie, über die Gesundheit der Bürger", kritisiert Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz Deutschland den Rechtsbruch.

Kohle-Ländern wie Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen kommt die neue EU-Regelung mehr als ungelegen. Kurz nach Inkrafttreten der EU-Grenzwerte baten sie die damalige Wirtschaftsministerin Zypries, eine "Nichtigkeitsklage" einzureichen. Die Länder befürchten soziale und wirtschaftliche Auswirkungen der "rechtswidrig zustande gekommenen EU-Vorgaben", wie es in einem Schreiben heißt. Auch das Bundeswirtschaftsministerium beharrt bis heute darauf, dass die EU die Emissionsvorgaben für Stickstoffdioxid "fehlerhaft abgeleitet" hat.

Grenzwerte landen auf dem Tisch der Kohlekommission

Allerdings verzichtete die Bundesregierung – anders als Polen und Bulgarien – bisher darauf, vor dem Europäischen Gericht (EuG) gegen die neuen Grenzwerte zu klagen. Sachsen trat deshalb im vergangenen Februar einer Klage von Kohle-Dachverbänden und deutschen Kraftwerksbetreibern gegen den EU-Beschluss für die Großfeuerungsanlagen bei – Ausgang ungewiss.

Das Blockieren des Bundesumweltministeriums hat hingegen andere Gründe. Dort vermutet man, dass bei aufwendigen Nachrüstungen der Kohleausstieg entweder teurer werden könnte oder die Meiler länger laufen müssten.

Würde Deutschland jedoch bis 2030 alle Braunkohlemeiler vom Netz nehmen, müssten sich die meisten Betreiber über die neuen Grenzwerte für Stickoxide und andere Schadstoffe vermutlich kaum noch Gedanken machen.

Für Stefanie Langkamp von der Klima-Allianz hängen denn auch die Schadstoffgrenzen mit den Verhandlungen in der Kohlekommission zusammen. "Die Entscheidung über einen Fahrplan für den Kohleausstieg muss Hand in Hand mit den neuen EU-Vorschriften zur Luftreinhaltung gehen", verlangt sie. Kraftwerke, die die neuen Grenzwerte nicht einhalten können und bei denen sich eine Nachrüstung nicht mehr lohnt, müssten als erstes stillgelegt werden.

So gesehen hat die in der kommenden Woche erneut tagende Kohlekommission noch ein weiteres Problem auf den Tisch bekommen.

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