Als die jetzige EU-Kommission ihr Amt antrat, wurde am Sitz ein neues Banner angebracht: "Für eine Union, die die Messlatte höher legt". (Bild: Łukasz Kobus/EU)

Klimaschützer in Europa hatten zuletzt Schmerzen zu erleiden. Beim Gesetz zur Wiederherstellung der Natur wurde der Entwurf der EU-Kommission deutlich entschärft – das Klagelied der Agrarlobby war erhört worden.

In der EU-Taxonomie, der grünen Investitionsvorschrift, stufte die Kommission Erdgas und Atomkraft als saubere Energien ein. Beim EU-weiten Verbrenner-Aus ab 2035 setzte Deutschland durch, dass auch danach mit synthetischen Kraftstoffen betankte Verbrennerfahrzeuge neu zugelassen werden dürfen.

Und dann entschied sich im August noch der langjährige EU-Klimakommissar Frans Timmermans, in seinem Heimatland, den Niederlanden, Spitzenkandidat eines linken Bündnisses bei der Parlamentswahl im November zu werden.

Der oft als "Mister Green Deal" titulierte Timmermans galt lange Zeit als charismatisch. Auf der letztjährigen Weltklimakonferenz in Ägypten drohte er schon mal damit, die Abschlusserklärung platzen zu lassen. Es sei besser, kein Ergebnis zu haben als ein schlechtes, verkündete Timmermans kategorisch – um Stunden später einer klimapolitisch weithin schwachen Abschlusserklärung namens der EU zuzustimmen.

Kollektives Kopfschütteln in der Klimaszene. Denn der EU-Klimakommissar ist nicht irgendwer. In der globalen Klimawelt steht die EU auf einer Stufe mit den USA oder China. Der Klimakommissar verhandelt mit dem Mandat aller 27 Mitgliedsstaaten. Wer auch immer die Nachfolge von Timmermans antritt, ist von vornherein ein politisches Schwergewicht.

Die Zuständigkeit für den Green Deal, den Timmermans als Vizepräsident der Kommission innehatte, übergab Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gleich nach seinem Rücktritt an EU-Kommissar und Vizepräsident Maroš Šefčovič aus der Slowakei. Diese neue Zuständigkeit muss sich Šefčovič vom Parlament bestätigen lassen.

Als neuen Klimakommissar schickten die Niederlande Wopke Hoekstra ins Rennen. Hoekstra hat als Klimapolitiker keinen Namen – im Gegenteil begleiten ihn Zweifel: Anfang der 2000er Jahre war er für den Ölkonzern Shell tätig, dann elf Jahre für die Unternehmensberatung McKinsey.

Als niederländischer Finanzminister setzte sich Hoekstra in der Coronakrise für Milliardensubventionen für die nationale Fluggesellschaft KLM ein. 2021 geriet er wegen privater Investitionen in eine Briefkastenfirma in die Kritik.

Später, als Vizepremier, stellte er das Regierungsziel infrage, den Stickstoffausstoß landesweit bis 2030 zu halbieren. Dabei hatte ein Gericht den Staat Niederlande dazu verurteilt, gegen die massive und umweltzerstörende Überdüngung vorzugehen.

Neues, ehrgeiziges Klimaziel versprochen

Die sich nunmehr in Brüssel bietende Situation mit zwei teilweise umstrittenen Kandidaten – einen von konservativer (Hoekstra) und einen von sozialdemokratischer Seite (Šefčovič) – sowie unter dem Zeitdruck des für Dezember terminierten nächsten Klimagipfels in Dubai wussten kleinere Fraktionen in den letzten Tagen für sich zu nutzen.

Besonders von den Grünen wurden Hoekstra und Šefčovič in zwei Sitzungen des Umweltausschusses ordentlich "gegrillt". Bis Mittwochfrüh mussten beide Kandidaten zudem auch Fragen der Abgeordneten schriftlich beantworten.

Hoekstra sagte in seiner Antwort schwarz auf weiß zu, sich an die Empfehlungen des Europäischen Wissenschaftlichen Beirats zum Klimawandel zu halten und sich dafür einzusetzen, die CO2-Emissionen der EU bis 2040 um mindestens 90 Prozent zu reduzieren – im Vergleich zu 1990.

Offiziell beschlossen mit dem Green Deal sind bislang ein Reduktionsziel von 55 Prozent bis 2030 sowie die Klimaneutralität der EU für 2050.

Für den "Einbau" eines verbindlichen Zwischenziels für 2040 mit einer Reduktion um 90 bis 95 Prozent hatte sich der Beirat im Juni dieses Jahres in einem Gutachten ausgesprochen. Es gelte, das Budget für die EU-Klimaemissionen in der Zeit von 2030 bis 2050 auf elf bis 14 Milliarden Tonnen CO2 zu begrenzen, begründeten die Wissenschaftler ihren Vorschlag. Nur dann stehe die EU im Einklang mit dem Ziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Und noch mehr schrieben die beiden designierten Kommissare gegen den Schmerz der Klimaschützer auf. Šefčovič erklärte, künftig auf Maßnahmen zu drängen, um den Abbau der Subventionen für fossile Brennstoffe in den EU-Staaten zu beschleunigen. Von diesen will er sogar ein Enddatum für nationale fossile Subventionen verlangen.

Grüne reklamieren "Erfolg fürs Klima auf ganzer Linie" 

Weitere Ankündigungen der beiden laufen darauf hinaus, sich international dagegen auszusprechen, dass mit CCS-Technik, also der Abscheidung und Speicherung von CO2, Emissionen fossiler Brennstoffe ausgeglichen werden können. Dies wird ein zentraler Streitpunkt auf dem kommenden Klimagipfel in Dubai werden.

Auch solle die Kommission künftig direkt EU-Gelder zur internationalen Klimafinanzierung bereitstellen, schrieben die Klimakandidaten. Dazu sollten Einnahmen aus der EU-Energiebesteuerung wie einer Kerosinsteuer oder aus dem Emissionshandel genutzt werden.

Die Zusagen wirken wie Balsam auf die Grünen im EU-Parlament. "Das ist ein Erfolg fürs Klima auf ganzer Linie", kommentiert der deutsche Abgeordnete Michael Bloss die Antworten. Der Versuch der Christdemokraten im Hause, mit dem Klimaschutz zu brechen, sei abgewehrt worden. "Dank unseres Drucks schwenkt Europa auf den 1,5-Grad-Kurs", freut sich der klimapolitische Sprecher der Grünen-Fraktion.

Ob die EU-Kommission nun auf die Zusagen der beiden Kommissare "festgenagelt" ist, wie Bloss betont, ist allerdings fraglich. Schon am Mittwoch relativierte ein Kommissionssprecher die Antworten von Hoekstra und Šefčovič.

Nur die beiden hätten sich gegenüber dem Parlament verpflichtet, das 90-Prozent-Ziel für 2040 im Rahmen des offiziellen Verfahrens zu verteidigen. Wie alle wüssten, ergänzte der Sprecher, müsse jede Entscheidung, jeder Vorschlag und jede Mitteilung der Kommission zuvor durch kollektiven Beschluss angenommen werden.

Tatsächlich ändern die Antworten von Hoekstra und Šefčovič am bestehenden Verfahren wenig. Die Kommission als Ganzes legt Gesetzesvorschläge vor und bestimmt damit den Kurs. Und dann müssen das Parlament sowie der EU-Ministerrat als Vertretung der Mitgliedsstaaten zustimmen – auch einem neuen Klimaziel. Das Verhandlungsmandat für die Weltklimagipfel erteilen ebenfalls weiterhin die 27 EU-Mitglieder.

Zumindest was den Zeitplan angeht, war die Bestätigung der beiden Kommissare am Donnerstag durch das Parlament recht alternativlos. Auf diese Weise stelle man sicher, dass die EU-Delegation genügend Zeit hat, sich auf den äußerst wichtigen Klimagipfel im Dezember in Dubai vorzubereiten, räumte Tiemo Wölken ein, umweltpolitischer Sprecher der sozialdemokratischen S&D-Fraktion.

Auch nach dem Klimagipfel bleibt den beiden Kommissaren nicht viel Zeit. Dass sie bis zur Europawahl ein neues, derart ambitioniertes Klimaziel über alle Hürden bringen, ist wenig wahrscheinlich. Neue Schmerzen für Klimaschützer werden nicht ausbleiben.

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