Das Europäische Parlament hat am heutigen Mittwoch für das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gestimmt. 336 Abgeordnete stimmten für das Gesetz, 300 dagegen, weitere 13 Abgeordnete enthielten sich.
Damit hat das Naturwiederherstellungsgesetz das Parlament passiert, und die Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten und der EU-Kommission im sogenannten Trilog können beginnen.
Mit dem Abstimmungsergebnis unterstützen die Parlamentarier:innen den Gesetzesvorschlag der Kommission, wonach bis 2030 auf mindestens 20 Prozent aller Land- und Meeresflächen in der EU Renaturierungsmaßnahmen erfolgen sollen.
Dass die Abstimmung erfolgreich verlaufen würde, war keineswegs ausgemacht. Wochenlang hatten vor allem konservative Abgeordnete gegen das Gesetz Stimmung gemacht.
Selbst vor Falschaussagen schreckten Politiker:innen der christdemokratischen EVP-Fraktion nicht zurück. Das Gesetz bedrohe die Ernährungssicherheit, warnten die EVP-Abgeordneten. Fachleute wiesen das zurück und führten Studien an, die zeigen, dass Naturschutz auch dem ländlichen Raum zugutekommt.
Dennoch stiegen die Konservativen Ende Mai aus den Verhandlungen im EU-Parlament aus und stimmten im zuständigen Umweltausschuss für eine Ablehnung des Gesetzes. Die notwendige Mehrheit für den Gesetzesvorschlag kam nicht zusammen. Und so schlug der Ausschuss dem Parlament eine Ablehnung des Gesetzes vor.
Doch die Abgeordneten entschieden sich heute mit knapper Mehrheit anders. Das Gesetz kann also kommen.
Säule des Green Deal
"Die Annahme des Gesetzes ist auch ein Erfolg unserer Gesellschaft", sagte der sozialdemokratische Abgeordnete César Luena, der im Parlament als sogenannter Berichterstatter für den Gesetzentwurf verantwortlich war.
In den vergangenen Wochen hatten sich Umwelt- und Klimaaktivist:innen für das Gesetz starkgemacht. Auch Wissenschaftler:innen betonten, das Gesetz sei essenziell, um die Klima- und die Biodiversitätskrise in den Griff zu bekommen.
6.000 Forscher:innen haben mittlerweile einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie eine Verabschiedung des Gesetzes fordern. Große Unternehmen wie Ikea und Nestlé stimmten in den Chor der Unterstützung ein.
Die Renaturierung von Ökosystemen ist eine wichtige Säule des European Green Deal, mit dem die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral werden will. Auch die Forschung ist hier eindeutig: Ohne die Fähigkeit von Wäldern, Mooren, Feuchtgebieten und Grünland, CO2 im großen Stil aus der Atmosphäre aufzunehmen und zu binden, sind die Klimaziele nicht erreichbar.
In seinem aktuellen Sachstandsbericht bezeichnet der Weltklimarat IPCC die Wiederherstellung von Ökosystemen als eine kosteneffiziente Maßnahme, um die Treibhausgasemissionen zu senken. Dafür müssen die Ökosysteme gesund und funktionstüchtig sein. In der EU war das zuletzt immer weniger der Fall.
"Wir haben im Naturschutz ein massives Vollzugsdefizit"
Laut dem jüngsten Bericht der Europäischen Umweltagentur EEA zum "Zustand der Natur in der EU" sind vier von fünf Lebensräumen in einem mangelhaften bis schlechten Zustand. Nur noch bei 15 Prozent der Lebensräume lässt sich ein guter Erhaltungszustand feststellen.
Die Ökosysteme sind stark in ihrer Funktionsfähigkeit gefährdet. Das wirkt sich auch auf den Artenschutz aus. Fast vier von zehn geschützten Vogelarten befinden sich in einem schlechten oder sehr schlechten Zustand.
Als Ursache nennt der EEA-Bericht die intensive Landwirtschaft, welche die extensive, naturnahe Landbewirtschaftung verdrängt und so zum fortschreitenden Verlust der biologischen Vielfalt beiträgt.
Ziel des neuen EU-Gesetzes ist nicht die Ausweisung neuer Schutzgebiete. Stattdessen geht es darum, den Zustand bereits unter Schutz gestellter Flächen zu verbessern.
Das Gesetz verpflichtet die Mitgliedsstaaten der EU, Flächen zu renaturieren. Dafür sollen unter anderem Moore wiedervernässt, degradierte Böden verbessert, begradigte Flüsse in einen natürlicheren Zustand zurückversetzt und monotone Wälder mit verschiedenen Arten durchmischt werden.
"Wir haben im Naturschutz ein massives Vollzugsdefizit", sagt Sebastian Lakner, Agrarökonom von der Universität Rostock. Das bisherige Modell, Schutzflächen etwa über die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie auszuweisen und dann nichts weiter zu tun, funktioniere nicht ausreichend. Nötig seien mehr Dialog und mehr Förderung, so Lakner.
Durch die versuchte Blockade wurde das Gesetz zum Teil stark aufgeweicht. Wiederherstellungsmaßnahmen für Moore und Ackerland wurden gestrichen und Fristen über den Haufen geworfen. Auch sollen die neuen Regeln erst angewendet werden, wenn eine Bewertung vorliegt, wie sie sich auf die Lebensmittelsicherheit auswirken – ein Zugeständnis an die Argumentation der EVP-Fraktion.
"Der heutige Sieg war mit einem hohen Preis verbunden", sagte Sabien Leemans vom WWF. "Trotz einer beispiellosen Mobilisierung zur Rettung der europäischen Natur ist die Position des Parlaments weit von dem entfernt, was nach wissenschaftlichen Erkenntnissen notwendig ist, um den Naturverlust und den Klimawandel zu bekämpfen."
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