Eine Elefantenherde zieht durch den Tarangire-Nationalpark im Noden Tansanias.
Auch Elefanten müssen auf die Verschiebung der Klimazonen reagieren. (Foto: Matthew Hansen/​Shutterstock)

In diesem Jahr will die Weltgemeinschaft die Wende beim Verfall der Artenvielfalt einleiten. Am 5. Juni starten die Vereinten Nationen die "Dekade für die Renaturierung von Ökosystemen".

Und im Oktober wollen die Staaten im chinesischen Kunming nach zweimaliger Verschiebung einen Fahrplan für den Artenschutz für die nächsten zehn Jahre auf den Weg bringen. Damit will die UNO ihrer Vision von der Versöhnung des Menschen mit der Natur näher kommen.

Doch die andauernde Covid-19-Pandemie zeigt nicht nur, wie fern diese Vision ist, sondern bringt auch den ohnehin wackligen Zeitplan für die Biodiversitätsgipfel weiter durcheinander. Möglicherweise wird der UN-Gipfel in Kunming erst 2022 stattfinden, spekulieren Beobachter. Der Artenschutz muss, genau wie der Klimaschutz, erstmal warten.

Dabei sind die Probleme gewaltig und jedes verlorene Jahr setzt der Artenvielfalt mehr zu. Rund eine Million Arten sind einem viel beachteten Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES aus dem Jahr 2019 zufolge vom Aussterben bedroht.

"Die Biosphäre, von der die Menschheit als Ganzes abhängt, wird auf allen räumlichen Skalen in beispiellosem Maße verändert", heißt es darin. Die Artenvielfalt "nimmt schneller ab als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit".

Kanarienvogel in der Grube

Der Klimawandel gilt neben der Intensivierung der Landwirtschaft und der Zerstörung der Habitate inzwischen als einer der Haupttreiber für den Artenschwund. Besonders gut lässt sich das an den sensibelsten Organismen in der Welt ablesen: den Korallenriffen.

Die Versauerung und vor allem die Erwärmung der Meere setzt den Nesseltieren und ihren symbiontischen Algen schon heute zu. Erwärmt sich der Ozean für längere Zeit auf deutlich über 30 Grad, produzieren die Algen Radikale und die Polypen setzen ihre Untermieter vor die Tür. Eine Zeit lang können sie ohne die Algen leben, doch auf Dauer verhungern sie. Zurück bleibt nur das weiße Kalkskelett.

Im größten Korallenriff der Welt, dem Great Barrier Reef, gab es allein in den vergangenen fünf Jahren drei große Massenbleichen. Schon zur Mitte des Jahrhunderts könnten bis zu 90 Prozent der tropischen Korallenriffe verloren gehen, warnen Meereswissenschaftler.

Die Korallen sind dabei so etwas wie der Kanarienvogel im Bergwerk. Bei ihnen zeigen sich schon heute Veränderungen auf besonders drastische Weise. Allerdings sind sie nicht die einzigen Arten, die bereits auf den Klimawandel reagieren.

Auf der ganzen Welt haben sich Tiere und Pflanzen in Bewegung gesetzt. Weil sich die Jahreszeiten verschieben, verändern auch Tiere und Pflanzen ihren Jahresrhythmus, nur dummerweise nicht immer synchron, weshalb manche Tierart früher oder später im Jahr schlüpft oder aus der Winterruhe erwacht als ihre jeweilige Wirtspflanze.

Abwandern – wenn es geht

Noch deutlicher zeigt sich der Klimawandel, indem er die Klimanischen der Arten verschiebt. Aus vielen Regionen müssen Tiere und Pflanzen abwandern, weil es dort zu warm oder trocken für sie geworden ist, während sie schon heute in polnäheren Gebieten überleben können, wo es einst zu kalt für sie gewesen ist.

Sie streben in Richtung der Pole, die Berge hinauf und die Ozeane hinab, von Elefanten bis zu winzigen Kieselalgen im Meer. Landbewohner im Schnitt um 17 Kilometer pro Jahrzehnt, Meeresbewohner sogar um 72 Kilometer pro Jahrzehnt.

"Das Überraschende ist, dass wir das auf jedem Kontinent und in jedem Ozean sehen", sagt Camille Parmesan, wissenschaftliche Direktorin am französischen Nationalzentrum für Wissenschaftsforschung an der Universität Paul Sabatier in Toulouse. "Es gibt keine Gegend auf der Erde, wo das nicht passiert, und es gibt keine Gruppe von Organismen, die nicht betroffen ist."

Diese Völkerwanderung der Arten fordert Mensch wie Natur heraus, und zwar besonders in den Meeren (siehe Teil 2 dieser Serie). Der Mensch muss sich schon heute auf abwandernde Fischschwärme einstellen, auf die Umgestaltung seiner Wälder und die Invasion von Tropenmücken.

Tiere und Pflanzen stehen hingegen vor dem Problem, dass sie aufgrund des Klimawandels, den ihnen der Mensch eingebrockt hat, abwandern müssen – aber oft nicht können, weil Siedlungs- und Acker-Wüsten, Kanäle und Straßen ihnen den Weg versperren. Wer sich dann nicht anpassen kann, muss früher oder später aussterben.

Im schlimmsten Fall könnten schon bis zur Mitte des Jahrhunderts 15 bis 37 Prozent aller Arten verschwinden, sollte sich die Welt weiter stark aufheizen und die Arten nicht darauf reagieren können, warnen Wissenschaftler.

Wenn das Schutzgebiet nicht schützt

Der bisherige Entwurf ("zero draft") für die Biodiversitätsziele für 2030 betont zwar, wie Artenschutz auch dem Klimaschutz dienen kann (siehe Teil 3). Hingegen findet der Klimawandel als Treiber fürs Artensterben überraschenderweise kaum Erwähnung. Lediglich im Nebensatz heißt es, dass "negative Auswirkungen auf die Biodiversität und Ernährungssicherheit durch den Klimawandel" doch bitte vermieden werden sollen.

Ohne aber den Klimawandel als Bedrohung ernst zu nehmen, sei ein Erfolg beim Artenschutz nicht möglich, warnte kürzlich ein internationales Team aus Umweltwissenschaftlern um Almut Arneth vom Karlsruher Institut für Technologie. Das gelte selbst dann, wenn alle anderen Belastungsfaktoren wie Entwaldung oder Pestizide eingedämmt werden könnten.

Schließlich bringe das beste Schutzgebiet nichts, wenn die zu schützenden Arten aus ihm herauswandern (siehe Teil 5). "Geeignete Maßnahmen zum Artenschutz werden auf der Grundlage statischer Ziele schwer umzusetzen sein", schreiben die Autoren im Fachjournal PNAS.

In diesem Licht könnte die Verschiebung des UN-Gipfels in Kunming auch eine gute Seite haben: Es bleibt noch Zeit, um nachzubessern und den realen Herausforderungen durch den Klimawandel Rechnung zu tragen. Vielleicht gelingt es dann, einen Schritt zur Versöhnung der Menschheit mit der Natur zu machen.

Die weiteren bereits erschienenen Teile unserer Serie zu den Wechselwirkungen von Klima- und Biodiversitätskrise finden Sie hier.

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