Kabeljau
Der Kabeljau ist vor Deutschlands Küsten immer seltener zu finden, während neue Fischarten wie Wolfsbarsch, Sardinen und Tintenfische in die Nordsee streben. (Foto: Hans-Petter Fjeld/​Wikimedia Commons, CC BY-SA)

Klimareporter°: Herr Kraus, eine Science-Studie kam kürzlich zum Ergebnis, dass 2018 die Meere so warm waren, wie es nie zuvor gemessen wurde. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf das Artenspektrum in Nord- und Ostsee?

Gerd Kraus: Die Erwärmung in Nord- und Ostsee schreitet seit Jahren massiv voran. Schon heute liegen dort die Temperaturen im Schnitt mehr als 1,5 Grad höher als noch vor einigen Jahrzehnten. Das hat dramatische Auswirkungen: Seit Anfang der 1990er Jahre beobachten wir, dass mehr und mehr südliche Arten in die Nordsee einwandern.

Welche sind das?

Zum Beispiel die Rote Meerbarbe, der Wolfsbarsch, Sardinen und Sardellen. Sie gehören eigentlich nicht in die Nordsee, aber haben sich dort mehr und mehr festgesetzt. Auch Tintenfische treten vermehrt auf – alles Arten, die mit der Wärme besser zurechtkommen.

Sind die Fischereien auf die neuen Fischarten eingestellt?

Ein gutes Beispiel ist der Wolfsbarsch, ein sehr wertvoller und gerade bei Anglern begehrter Fisch. Die Angelfischerei hat in der südlichen Nordsee für diese Art derart zugenommen, dass die EU mittlerweile Schutzmaßnahmen eingeführt hat. Schnelles Einstellen auf neue, für den Markt interessante Arten gilt aber nicht nur für die Freizeitfischerei, sondern auch für die kommerzielle Fischerei.

Wie schnell kommt die Politik mit neuen Quoten und Regelungen hinterher?

Oft ist die Wirtschaft schneller als die Politik und die Wissenschaft. Es ist extrem komplex, Vorgaben für eine nachhaltige Nutzung von Arten zu machen, die zuvor in einem Lebensraum nicht vorhanden waren und von denen man noch nicht sagen kann, wie stark sie sich dort im Ökosystem entwickeln werden.

Liegt das Problem nicht eher bei den Arten, die abwandern und deren Restbestände noch unter den alten Quoten gejagt werden?

Das ist tatsächlich ein großes Problem, denn wenn die Produktivität eines Fischbestandes klimabedingt nachlässt und dies im Fischereimanagement nicht berücksichtigt wird, wird der Niedergang beschleunigt. Inzwischen ist zum Beispiel der Kabeljaubestand in der südlichen Nordsee massiv zurückgegangen, einige Heringsbestände reproduzieren deutlich weniger als in der Vergangenheit.

Wir sind sicher, dass das nicht nur mit Fischerei, sondern auch mit dem Klimawandel zu tun hat. Einerseits beschleunigt sich mit der Erwärmung der Meere der Stoffwechsel, der Fisch benötigt also mehr Nahrung. Der Hauptfaktor für den Rückgang ist aber oftmals wohl ein anderer.

Zur Person

Gerd Kraus ist Leiter des Thünen-Instituts für Seefischerei in Bremerhaven. Sein Spezialgebiet umfasst die Reproduktionsbiologie von Fischen, die Modellierung der Auswirkungen von Schutzgebieten auf Fischpopulationen und Fischereien, Bestands-Abschätzungen und marine Schutzgebiete.

Welcher?

Die Produktion planktischer Nahrung entkoppelt sich zeitlich von der Fischproduktion. Das heißt: Die Nahrung für die kleinen Fischlarven, also das Zooplankton, ist nicht mehr zur rechten Zeit verfügbar. Im späten Winter haben viele wichtige Nordseefischbestände, unter anderem der Kabeljau, ihre Laichzeit, damit die Fischlarven rechtzeitig zur Frühjahrsblüte schlüpfen.

Das Timing des Laichgeschehens ist vielfach temperaturgesteuert. Weil aber die Winter wärmer werden, verschiebt sich die Laichzeit weiter nach vorne – während der Start der Planktonblüte durch die Tageslänge bestimmt wird und sich nicht in gleicher Weise geändert hat. Wenn also die Fischlarven schlüpfen, fehlt ihnen die passende Nahrung und sie verhungern.

Das gilt für viele Fischbestände in Gebieten mit einer ausgeprägten Saisonalität, unter anderem auch für den Hering in der Ostsee. Die Referenzwerte für die Fischerei müsste man da eigentlich um die verminderte Produktivität korrigieren.

Können sich die Fische nicht anpassen?

Es gibt durchaus einen starken Selektionsdruck, wobei zunächst einzelne, außergewöhnlich spät laichende Tiere zu den evolutionären Gewinnern innerhalb einer Population gehören. Am Ende setzt sich dieser kleine Anteil der Fische durch, weil ihr Heranwachsen mit der Planktonblüte zusammenfällt.

Aber die genetische Anpassung einer ganzen Population geht nicht von heute auf morgen. Bis sich das im Bestand durchsetzt, braucht es eine ganze Reihe von Generationen. Die Frage ist: Schafft es die Evolution mit der Geschwindigkeit des Wandels mitzuhalten?

Ihre Antwort?

Das lässt sich überhaupt noch nicht beantworten. Fest steht aber: Manche Fischarten wie der Hering zeigen heute einen verminderten Reproduktionserfolg sowohl in der Nordsee als auch ganz massiv in der Ostsee.

Wenn die Neuankömmlinge auf die Alteingesessenen stoßen, verdrängen sie die dann?

Das passiert, wenn der Lebensraum für die traditionellen Bewohner unattraktiver wird – sei es, weil sich das Nahrungsspektrum ändert, oder weil das Wasser zu warm oder zu sauer wird – während neue Arten mit den Bedingungen besser klarkommen.

Das könnte etwa für Sprotten und Heringe in unseren Gewässern der Fall sein, die eine ähnliche Nische wie zum Beispiel Sardinen und Sardellen weiter südlich besetzen – folglich kommen letztere besser mit den neuen Bedingungen bei uns zurecht, weil sie an die Wärme angepasst sind, und setzen sich möglicherweise langfristig durch.

Haben die Fische in der Ostsee größere Probleme als in der Nordsee? Schließlich können sie in einem Binnenmeer kaum vor der Wärme fliehen.

Das große Problem für Meeresfische in der Ostsee ist der niedrige Salzgehalt und der Sauerstoffmangel. Weil es ein beinahe geschlossenes Meer mit einem hohen Süßwasseranteil ist, bildet sich eine starke Schichtung aus: Oben liegt das leichte süße Wasser, unten das schwere salzige. Dadurch entsteht aber in den tiefen salzreichen Schichten, die die Meeresfische lieben, eine Sauerstoffzehrung. Und die nimmt an Geschwindigkeit zu, je wärmer es wird.

Stranden dann massenweise tote Fische an den Küsten Finnlands und Schwedens?

Das Bild trägt nicht richtig. Wenn der Dorsch den Finnischen Meerbusen erreicht, setzt ihm auch das Süßwasser zu und ihm fehlt salz- und sauerstoffreiches Wasser in den tiefen Becken, das er braucht, um seine Eier erfolgreich abzulegen. Dort können sich die Fische dann einfach nicht mehr reproduzieren. Das heißt, dieser Lebensraum ist für den Dorsch von vorn herein nicht ideal.

Wie gut ist die deutsche Fischereiwirtschaft auf den Klimawandel vorbereitet?

Auf die Zunahme von Extremwetterlagen ist sie kaum vorbereitet. Für heftigeren Seegang oder heißere Sommer fehlen vor allem den kleineren Fischereien oft die tauglichen Schiffe.

Und wie sieht es mit dem Schutz der Fische aus?

Damit sich die Ökosysteme an den Klimawandel anpassen können, hilft es zum einen, Gebiete, in denen der Wandel besonders schnell voranschreitet, besser zu schützen, zum anderen aber auch solche Gebiete, die besonders widerstandsfähig sind und ein Refugium für robuste Arten bieten. So können wir einerseits den neuen Artgemeinschaften Gelegenheit geben, sich zu etablieren, und anderseits die robusten Gemeinschaften bewahren.

Ob sich solche Konzepte aber durchsetzen, ist zu bezweifeln, weil immer mehr Nutzer den kostbaren Meeresraum für sich beanspruchen.

Sind die deutschen Fischereien eher Gewinner oder Verlierer des Klimawandels?

Deutschland ist derzeit noch Profiteur und wird das in den kommenden Jahren auch bleiben. Aber auch deshalb, weil wir nicht nur in der Ost- und Nordsee fischen. Fischer stoßen zum Beispiel bis in die Barentssee nördlich von Nordeuropa vor, um Kabeljau oder Seelachs zu fangen. Dort profitieren die Bestände derzeit noch vom Klimawandel.

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