Ende Februar bekam Norbert Becker einen Anruf, der ihn stutzig machte. Der Mann am anderen Ende des Hörers meldete dem wissenschaftlichen Direktor der Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) in Speyer eine seltsam aussehende Mücke. Becker dachte gleich an die Asiatische Tigermücke.

Aber Ende Februar? Im Winter?

Wie sollte die tropische Stechmückenart da überleben?

Becker fuhr nach Heidelberg, um sich die Wohnung selbst anzuschauen. Der Mieter dort hatte die Mücke totgeschlagen, nachdem diese ihn mehrfach gestochen hatte. Es war eine Asiatische Tigermücke. Aedes albopictus gilt als potenzielle Überträgerin von Krankheiten wie Denguefieber, Zika oder Chikungunya.

Bei Becker, der auch als Professor an der Uni Heidelberg arbeitet, schrillen inzwischen die Alarmglocken, wenn er von weiteren Funden hört. Denn in den vergangenen Jahren ist die Tigermücke an immer neuen Orten aufgetaucht. 2014 Freiburg, 2015 Heidelberg, 2016 Sinsheim, 2017 Lörrach und Karlsruhe.

Die Oberrheinische Tiefebene zwischen Basel und Frankfurt am Main, für die Beckers Verein zuständig ist, ist so etwas wie ein Einfallstor für tropische und subtropische Insekten, die aus Italien mit Zügen oder in Lkws über die Autobahn A5 nach Deutschland kommen und dort auf günstige Bedingungen treffen. "Bei uns herrscht ja fast mediterranes Klima", sagt der Biologe. "Der Klimawandel potenziert das Risiko noch einmal."

150 Kilometer pro Jahr in Richtung Norden

In den nächsten Jahrzehnten, prognostizieren Experten, dürften sich neue Insekten und ihre Krankheitserreger infolge von globalisiertem Warenverkehr und Erderwärmung bis nach Nordeuropa ausbreiten.

150 Kilometer pro Jahr dringt etwa die Asiatische Tigermücke auf ihrem Weg in den Norden vor. In den kommenden 30 Jahren dürfte sie in Deutschland flächendeckend zu finden sein, so sagen es Forscher um Moritz Krämer von der Abteilung für Zoologie der Universität Oxford in einer aktuellen Studie im Fachblatt Nature Microbiology voraus. Die wärmeliebende Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) die vor allem in den USA schnell vorstößt, dürfte in Europa noch etwas länger benötigen und zuerst Italien und die Türkei bevölkern.

Das internationale Team von Wissenschaftlern hatte Daten aus 35 Jahren Feldforschung ausgewertet und Klimamodelle herangezogen, um statistische Aussagen darüber zu treffen, wie schnell sich die Arten nach Norden ausbreiten. "Durch die Kombination von Daten zur Ausbreitungsgeschichte von Mückenarten, zu Populationsbewegungen und klimatischen Faktoren konnten wir die Zukunft dieser krankheitsübertragenden Moskitos vorhersagen", sagt Krämer.

In den kommenden fünf bis 15 Jahren könnten die Asiatische Tigermücke und die Gelbfiebermücke demnach ihre ökologischen Nischen mehr und mehr ausgereizt haben. Ab 2020 und 2030 dürften sie dann jeweils ihre Reichweite vorrangig durch den Klimawandel erweitern. Und Europa liegt an dieser vordersten Linie, an der die Mücken gerade so noch überleben können.

"Gleichzeitig wird erwartet, dass sich das zukünftige Populationswachstum überproportional auf Gebiete konzentriert, in denen Aedes aegypti and Aedes albopictus dann bereits etabliert sein werden", heißt es in der Studie.

Das heißt: auf Städte in Europa, im Süden Chinas, im Süden der USA. "Wir hoffen, dass diese hochauflösenden Karten dazu verwendet werden, um bestimmte Gebiete zu beobachten, zu kontrollieren und die schädlichen Mückenpopulationen zu beseitigen", sagt Krämer.

In den Tropen wird's den Mücken zu heiß

Die Schlussfolgerung, nun möglichst schnell den CO2-Ausstoß auf null zu senken, um die Ausbreitung der Mücken und ihrer Erreger zu stoppen, bringt aber nicht allen Weltregionen etwas, wie eine weitere aktuelle Studie zeigt, die gerade im Fachblatt PLOS erschienen ist.

In Europa werde es zwar mit fortschreitender Erwärmung den größten Zuwachs an Menschen geben, die erstmals mit Krankheiten durch solche Insekten zu tun bekommen könnten. In 30 Jahren könnten auf dem Kontinent doppelt so viele Menschen in Berührung mit der Asiatischen Tigermücke geraten, schreibt Hauptautorin Sadie Ryan von der Universität Florida. Und wo die Menschen erstmals den neuen Erregern ausgesetzt sind, sei die Gefahr für Epidemien am größten.

Allerdings würden bei einer stärkeren Erderwärmung andere Regionen profitieren – etwa Südostasien, Westafrika oder die Karibik, wo es der Asiatischen Tigermücke dann schlicht zu heiß werden würde. Damit sie noch in der Lage ist, Krankheiten zu übertragen, braucht sie bestimmte Temperaturen, die 29,4 Celsius nicht überschreiten sollten. Bei der Gelbfiebermücke sind es 34 Grad.

"In jedem Szenario würde die Abmilderung des Klimawandels die vorhergesagte Belastung sowohl durch Dengue-Fieber als auch durch Chikungunya (und möglicherweise andere von Aedes übertragene Viren) aus den Regionen mit höherem Einkommen zurück in die Tropen verlagern, wo die Übertragung sonst aufgrund der steigenden Temperaturen abnehmen könnte", heißt es in der Studie.

Global sagen die Forscher die größte Zunahme von Krankheitsübertragungen durch die Tigermücke für eine Temperaturzunahme von mehr als 3,4 Grad Celsius bis Ende des Jahrhunderts voraus. Insgesamt könnten fast eine halbe Milliarde mehr Menschen in den nächsten 30 Jahren theoretisch mit Mücken in Kontakt kommen, die Krankheiten wie Gelbfieber, Zika, Dengue-Fieber und Chikungunya übertragen. Und bis 2080 könnten es bis zu einer Milliarde Menschen sein.

Tigermücken überwintern in Wohnung

Das Rätsel in der Heidelberger Wohnung konnte Norbert Becker indes schnell lösen: Die Mücke hatte im Vorjahr Eier im Wasser des Untersetzers einer Schlingpflanze abgelegt. Der Mieter hatte die Pflanze zum Überwintern in die Wohnung getragen, wo sich die Tigermückenlarven dann entwickeln konnten.

Becker machte dann den Mückenlarven, die sich noch im Topf der Schlingpflanze fanden, den Garaus: Er spritzte auf die Pflanze das Bakterium BTI (Bacillus thuringiensis israelensis). Das sporenbildende Bakterium stammt aus toten Mückenlarven; es bildet Eiweißkristalle, die von den Larven gefressen werden und diese dann umbringen.

Becker und seine Kollegen gehen damit überall, wo mehrere Funde gemeldet werden, von Haus zu Haus. Sie untersuchen Regenfässer und Blumenuntersetzer und verteilen das biologische Abwehrmittel.

Eine neuere Methode ist zwar aufwändig, aber dafür vielversprechend: Mückeneier werden millionenfach vermehrt, die männlichen Puppen ausgesiebt und in einem Krankenhaus bestrahlt. Dann werden diese sterilen Männchen in den betroffenen Gebieten – etwa Laubenkolonien oder Campingplätzen – wieder ausgesetzt. Sie paaren sich mit den dortigen Weibchen.

"Wir hoffen, die Populationen damit gänzlich schachmatt zu setzen", sagt Becker, der mit 100 Kommunen von Bingen bis Breisach zusammenarbeitet, um sie vor Insektenplagen zu schützen. "Aber es ist ein schwieriger Gegner."

Noch lange keine tropischen Verhältnisse

Christina Frank von der Abteilung für Infektionsepidemiologie am Robert Koch-Institut in Berlin warnt allerdings vor Panikmache. "Ja, diese Mücken sind auf dem Weg. Und sie können theoretisch Krankheiten übertragen. Aber das Risiko dafür dürfte sich auf absehbare Zeit in Grenzen halten."

Die Forscherin will dem Eindruck entgegenwirken, dass Europäer, die nahe den Mücken leben, das gleiche Infektionsrisiko haben wie Menschen in Endemieländern in den Tropen. Die neuen Studien würden denn auch einen Faktor außer Acht lassen: "Das Risiko für Ausbrüche oder starkes endemisches Auftreten ist überall dort hoch, wo die Mückendichte besonders hoch ist."

Noch ist die Dichte an Asiatischen Tigermücken in Deutschland sehr gering. Und damit auch das Risiko für eine Endemie, eine Krankheitshäufung. Dafür müsste schon viel zusammenkommen: ein Reiserückkehrer, der in seinem Blut etwa das Zika-Virus hat, müsste in Deutschland etwa von der Tigermücke oder der Gelbfiebermücke gestochen werden, die dann eine weitere Person sticht. Diese muss sich infizieren. Und, damit sich das Virus weiter ausbreitet, ebenfalls von einer der beiden Mückenarten gestochen werden, die sich wiederum ein neues Opfer sucht, und so weiter.

Bis lang anhaltende schwül-heiße Perioden wie in den Tropen auch in Deutschland die Regel sind und damit ideale Bedingungen für die Gelbfiebermücke herrschen, dürfte es noch sehr lange dauern. "Entscheidend ist auch die Dauer der Übertragungssaison", sagt Frank. "Ist sie kurz, reicht die Zeit höchstens für Einzelübertragungen oder wenige Fälle."

Frank bestreitet nicht, dass sich tropische und subtropische Mücken nach Norden bewegen. "Es ist sehr schwer, die Asiatische Tigermücke auf Dauer aufzuhalten", sagt sie. "Wichtig ist aber, dass wir dafür sorgen, dass sie sich nicht zu wohl fühlt und sich nicht zu stark vermehrt."

Dafür ist Norbert Becker zuständig. Angst vor den Tigermücken hat er keine. Manchmal lässt er sich in den Gartenkolonien absichtlich von Tigermücken in den linken Unterschenkel stechen, um die Mücken anzulocken und zu zählen. "Ich liebe die Mücken", sagt er. "Sie sind ein Zeichen der Evolution." Schließlich würde es von 100 Eiern vielleicht mal eine Mücke schaffen zu überleben.

Angesichts der Masse an Eiern, die Tigermücken ablegen, hat das zwar gereicht, um in Deutschland feste Populationen zu bilden. "Ganz los werden wir sie wahrscheinlich nicht mehr", sagt Becker. "Unter Kontrolle halten werden wir sie aber können, da bin ich optimistisch."

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