Die deutsche Wirtschaft ist im Sommer ein wenig geschrumpft. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag im dritten Quartal um 0,3 Prozent niedriger als im Vorquartal, teilte das Institut für Weltwirtschaft (IW) in Kiel jetzt mit. Vor allem Produktionsprobleme in der Autoindustrie aufgrund des neuen Abgastests WLTP und der gestiegene Ölpreis waren die Ursachen dafür.
Es ist ein unerwartetes Warnzeichen für Wirtschaft und Politik, obwohl eine echte Rezession derzeit als unwahrscheinlich gilt. Aber ist es nicht vielleicht ein positives Signal für Umwelt und Klima, die durch hohe Wachstumsraten unweigerlich geschädigt werden, wenn die Ressourcenverbräuche nicht stark davon entkoppelt sind?
Die Wachstumsdebatte bekommt durch eine neue Studie des Umweltbundesamtes (UBA) nun neue Nahrung. Es geht darin um die Frage, ob die sich zuspitzende Klimakrise auch bei fortgesetztem Wirtschaftswachstum zu lösen ist oder nur dann, wenn zumindest in den reichen, industrialisierten Staaten die im BIP gemessene Wirtschaftsleistung schrumpft.
Es geht um "Green Growth" versus "Degrowth" – also um die konkurrierenden Konzepte, entweder das Wachstum "grün" zu machen oder aber das Wachstum, jedenfalls im klassischen Verständnis, unter null zu senken. Ergebnis beim UBA: "Keine dieser Positionen sollte für sich beanspruchen dürfen, als alleinige Strategie für umweltpolitisches Handeln dienen zu können."
CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch müssen etwas kosten
Klar wird in der Untersuchung jedoch, dass in jedem Fall die Klima- und Umweltkosten des Wirtschaftens (externe Kosten) künftig voll ins Steuer- und Abgabensystem integriert werden müssen – durch eine spürbare Bepreisung von CO2 und Ressourcenverbrauch.
Die Studienautoren machen deutlich, wie schnell der Umbau gelingen muss, um die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde ("planetary boundaries") nicht zu sprengen: "Nimmt man diese Belastungsgrenzen ernst, so ist eine fundamentale Veränderung der Wirtschaftsweise innerhalb von wenigen Jahrzehnten notwendig." Mit der bisherigen Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik sei es nicht gelungen, die ökologischen Belastungen hinreichend stark zu reduzieren.
Beispiel Klima: Erst kürzlich machte der Weltklimarat IPCC in seinem 1,5-Grad-Report klar, dass der globale CO2-Ausstoß bis 2030 mehr als halbiert und bis 2050 auf netto null gesenkt werden muss, um das Anstoßen von Kippelementen im Klima zu verhindern.
Der Ko-Autor der UBA-Studie, Nils aus dem Moore vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung, dem RWI Essen, sagt dazu gegenüber Klimareporter°: "Wir brauchen als Basis für den ökologischen Umbau der Wirtschaft marktbasierte Instrumente, um die Klimakosten zu internalisieren – das kann entweder ein funktionierender Emissionshandel oder eine Ökosteuer sein."
Der 2005 eingeführte EU-Emissionshandel, der für Kraftwerke und Industrie gilt, kann nach Ansicht des Experten auf die anderen Sektoren – wie Verkehr, Gebäude und Landwirtschaft – ausgeweitet und mit einem CO2-Mindestpreis wirksam gemacht werden. Denkbar sei aber auch eine alle Sektoren umfassende Ökosteuer, deren Höhe sich an den CO2-Klimazielen orientiert.
Ökonomen halten für das Jahr 2020 einen CO2-Preis von 40 bis 80 US-Dollar pro Tonne für notwendig, um das Zwei-Grad-Erwärmungslimit aus dem Pariser Klimavertrag einhalten zu können. Er müsse bis 2030 auf 80 bis 100 Dollar und bis 2050 auf 130 bis 160 Dollar steigen, verlangt der im vergangenen Jahr veröffentlichte Bericht der High-Level Commission on Carbon Prices, an der unter anderem der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz beteiligt war.
Derzeit liegt der CO2-Preis im EU-Emissionshandel bei 17 Euro (rund 19 Dollar) und müsste also durch einen Mindestpreis angehoben werden, wie ihn der französische Staatspräsident Emmanuel Macron vorgeschlagen hat. Macron plädiert für 30 Euro.
Ziel ist eine "ressourcenleichte Wirtschaft"
Für Deutschland schlägt RWI-Experte aus dem Moore vor, das komplexe Steuer- und Abgabensystem im Energiebereich konsequent nach dem CO2-Gehalt der Energieträger umzubauen. "Der bisher stark, etwa durch Stromsteuer und EEG-Umlage, belastete Strom würde dadurch deutlich billiger, Sprit und Heizöl beziehungsweise Erdgas würden etwas teurer", erläutert er.
Die Einnahmen aus der CO2-Steuer sollten dann genutzt werden, um die Sozialbeiträge und damit die Lohnnebenkosten zu senken oder jährlich in Form eines "Ökobonus" an jeden Bürger in gleicher Höhe zurückerstattet werden. Der Ökobonus hätte den Vorteil, dass ärmere Haushalte stärker profitieren, da ihre CO2-Steuer-Kosten wegen des niedrigeren Verbrauchs relativ geringer sein würden. "Der Ökobonus hätte eine positive soziale Komponente."
Die Autoren der Studie betonen, dass eine "ressourcenleichte Wirtschaft" das Ziel sein müsse – mit einer komplett erneuerbaren Energieversorgung und einer echten Kreislaufwirtschaft, in der Rohstoffe möglichst vollständig wiederverwertet werden.
Dies mit "grünem Wachstum" zu erreichen, klinge attraktiv, sagt der RWI-Forscher, da dann durch das weiter steigende BIP zum Beispiel die Finanzierung der teurer werdenden Krankenversicherung lösbar erscheine. "Allerdings ist es bisher keinem Land gelungen, eine hinreichende Entkopplung von Wirtschaftsleistung und Umweltbelastung zu verwirklichen, wenn man den 'Rucksack' der Belastungen durch importierte Güter berücksichtigt.
"Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit" – Konferenz zur Studie
Die unter Leitung des Instituts für Ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) vom RWI und dem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie erarbeitete Studie wird am heutigen Montag in Berlin auf einer Konferenz diskutiert. Der Titel: "Herausforderung Wachstumsunabhängigkeit – Ansätze zur Integration von Umwelt-, Sozial- und Wirtschaftspolitik".
Beim Degrowth-Konzept, die Wirtschaft "ökologisch gesundzuschrumpfen", sei wiederum absolut unklar, wie das Minus-Wachstum politisch durchzusetzen wäre, ohne gesellschaftliche Verwerfungen zu erzeugen, meint aus dem Moore. Zudem sei ein Schrumpfen auf breiter Front auch völlig ineffizient und für die Gesellschaft mit unnötigen Kosten verbunden, da die Umweltbelastung einzelner wirtschaftlicher Aktivitäten ganz unterschiedlich hoch sei.
Der Politik schlagen die Studien-Autoren als Element einer "vorsorgeorientierten Postwachstumsposition" vor, neben der konsequenten Bepreisung von CO2 und Ressourcen auch einen Wandel zu einer "Kultur der Nachhaltigkeit" zu fördern und Institutionen etwa im Sozialsektor möglichst so umzubauen, dass sie ihre Funktionen unabhängiger von der Wirtschaftsleistung erbringen können – etwa durch Förderung neuer Formen der Nachbarschaftshilfe.
Um diese Potenziale systematisch zu erforschen, plädieren die Wissenschaftler für Pilotprojekte in sogenannten "Reallaboren" und "Experimentierräumen".