Porträtaufnahme von Ralf Schmidt-Pleschka.
Ralf Schmidt-Pleschka. (Foto: Lichtblick)

Das Wichtigste aus 52 Wochen: Sonst befragen wir unsere Herausgeberratsmitglieder im Wechsel jeden Sonntag zu ihrer klimapolitischen Überraschung der Woche. Zum Jahresende wollten wir wissen: Was war Ihre Überraschung des Jahres? Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Letzte Woche fiel mir eine alte Zeitung in die Hände. Im Panorama fand ich eine kleine Meldung, kaum sechs Zeilen lang. Chinesische Behörden hatten bekannt gegeben, dass in Wuhan ein zweiter Erkrankter an dem neuen, mysteriösen Coronavirus verstorben sei.

Die Zeitung stammte vom 18. Januar 2020. Nur elf Monate ist das her. Doch inzwischen ist die Welt eine andere. Hinter uns liegt ein Jahr voller Überraschungen. Die größte ist damit schon benannt. Sie wird zu Recht die Jahresrückblicke dominieren. Ich muss sie hier nicht weiter aufdröseln.

Viel lieber möchte ich Sie daran teilhaben lassen, was mich am meisten überrascht hat, nämlich dass der Wille zum Klimaschutz auch am Ende dieses Krisenjahres ungebrochen ist. Das war keineswegs vorhersehbar.

Denn bislang galt doch die These, Umweltschutz sei ein Schönwetterthema. Nur wenn es uns (zu) gut gehe, wenn Sicherheit und Wohlstand nicht infrage stünden, dann seien die Menschen bereit, sich dem Schutz der Umwelt zu widmen. Seien dagegen Arbeitsplätze gefährdet, schwinde der Wille zu ökologischen Reformen ganz schnell wieder.

Doch in diesem Jahr haben wir das Gegenteil erlebt. Obwohl für viele existenzbedrohend, hat die Coronakrise den Gedanken erst greifbar gemacht, dass auch die Klimakrise noch zu entschärfen ist. Corona hat gezeigt, wie schnell unsere Gesellschaft in den Handlungsmodus kommen kann.

Oder hätten Sie sich vorstellen können, dass die Politik wenige Tage vor Weihnachten den Einzelhandel schließen lässt? Ich nicht. Das und die vielen anderen Verbote und Gebote in Corona-Zeiten zeigen eines überdeutlich: Es ist sehr viel möglich, wenn wir es nur wollen und wenn wir auf die Wissenschaft hören.

Warum werden noch Häuser ohne Solaranlage gebaut?

In vielen Köpfen und Herzen ist inzwischen offenbar fest verankert, dass die Klimakrise keine Pause macht. Und das ist gut so. Denn ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 hat der CO2-Gehalt der Atmosphäre den bisher höchsten gemessenen Wert erreicht.

Und die globale Antwort darauf lautet: Drei Grad! Um diesen Wert würde die weltweite Durchschnittstemperatur steigen, wenn wir die von den Unterzeichnern des Paris-Abkommens bislang angekündigten (aber noch nicht eingeleiteten) Emissionsminderungen erreichen.

Drei Grad – sind wir noch zu retten? Schon bei 1,5 Grad verschwinden zahlreiche bewohnte Inseln im Meer, bei zwei Grad werden die Kipppunkte erreicht, die die Erderhitzung unwiderruflich zur globalen Katastrophe machen.

Es braucht also mehr, viel mehr! Und eine Mehrheit scheint verstanden zu haben, dass wir dazu sehr schnell einen soliden Beitrag leisten müssen. Nach Corona stellen sie nun neue Fragen.

Warum können wir Geschäfte von einem auf den anderen Tag schließen, nicht aber die Kohlekraftwerke, obwohl dies aus Klimaschutzgründen alternativlos ist?

Oder warum soll der Verbrennungsmotor in Autos nicht schon bald verboten werden, wo doch alle wissen, dass er die Erhitzung vorantreibt und wirtschaftlich überholt ist?

Und warum gibt es immer noch neue Häuser ohne Solaranlage? – Diese Fragen warten auf ebenso schnelle wie konkrete Antworten.

Früher hätten viele von uns sicher gesagt: Das geht doch alles nicht so schnell. Die Mühlen der Politik bewegen sich nun mal im Tempo des kleinsten gemeinsamen Nenners.

Die Erfahrung in diesem Krisenjahr aber nährt die Hoffnung, dass wir diesen Kleingeist überwinden. Und das nächste Jahr ist zufälligerweise ein Wahljahr.

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