Nun geht es also los, das Superwahljahr 2021: Im September ist Bundestagswahl, außerdem werden in sechs Bundesländern in diesem Jahr die Landtage neu gewählt. Den Anfang machen am 14. März zwei Länder im Südwesten Deutschlands, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.
Wenn die letzten Umfragen stimmen, wären Regierungswechsel eher eine Überraschung. In Baden-Württemberg führt der Grüne Winfried Kretschmann ein Bündnis mit der CDU, der mit Abstand zweitstärksten Partei. Eine mögliche Alternative wäre wohl nur, dass eine von beiden künftig mit SPD und FDP koaliert – oder die CDU die Grünen überholt und die Rollenverteilung wechselt.
Einer rot-grün-gelben Regierung sitzt in Rheinland-Pfalz die Sozialdemokratin Malu Dreyer vor. Zwar könnte dort die CDU stärkste Kraft werden, zugleich werden aber den Grünen große Zugewinne vorausgesagt. Sollte die FDP, für die es knapp aussieht, an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, wäre daher sogar Rot-Grün (oder Schwarz-Grün) möglich.
Persönlich kommen Kretschmann und Dreyer in Umfragen deutlich besser weg als ihre Herausforderer von der CDU, Susanne Eisenmann und Christian Baldauf.
Neue Chefs bekommen aber in jedem Fall die beiden Umweltministerien. Die Grüne Ulrike Höfken trat in Rheinland-Pfalz zum Jahresende zurück, nachdem ein Gericht die Beförderungspraxis in ihrem Ministerium als rechtswidrig verurteilt hatte. Für den Moment leitet Integrations- und Familienministerin Anne Spiegel zusätzlich das Umweltressort.
Auch ihr baden-württembergischer Parteikollege Franz Untersteller leistete sich Ende 2020 einen Fehltritt, als er fast 60 km/h zu schnell auf der Autobahn unterwegs war. Zurückgetreten ist der Tempolimit-Befürworter Untersteller deshalb zwar nicht, er hatte aber zuvor schon seinen Rückzug aus der Landespolitik angekündigt. Höfken und Untersteller waren beide seit zehn Jahren im Amt.
Solarpflicht für Neubauten
Im Februar konnte Untersteller zum Abschluss noch einen kleinen Erfolg vermelden: Voraussichtlich habe Baden-Württemberg sein Klimaziel für 2020 erreicht. Das lautet zwar nur, die Treibhausgasemissionen um 25 Prozent gegenüber 1990 zu senken, doch Ende 2019 waren nicht mal 20 Prozent geschafft.
Als Hauptfaktor für den Schub auf den letzten Metern nannte Untersteller deutlich niedrigere Emissionen im Verkehr, bedingt durch die Corona-Pandemie. Hinzu kommt laut Ministerium der gestiegene CO2-Preis im europäischen Emissionshandel, wodurch weniger Kohlestrom erzeugt worden sei.
Das zurückhaltende 2020er Ziel begründet die Behörde vor allem mit den vielen Atomkraftwerken im Land, durch die der Ausgangswert relativ niedrig liege.
Triumphal gab sich der Minister dementsprechend nicht, das Erreichte sei "nur ein Zwischenziel". Laut baden-württembergischem Klimaschutzgesetz sollen die Emissionen bis 2050 um 90 Prozent runter, ein Zwischenziel von minus 42 Prozent für 2030 hat die Koalition nach längerem Hin und Her kürzlich noch eingefügt.
Auch eine Solarpflicht für Neubauten wird es nun vom kommenden Jahr an geben, allerdings nur bei Nichtwohngebäuden – mehr machte die CDU nicht mit.
Unter den erneuerbaren Energien ist Photovoltaik in Baden-Württemberg schon jetzt der größte Faktor, während es die Windenergie eher schwer hat. Im vergangenen Jahr gingen nach Zahlen der Fachagentur Windenergie an Land nur 2,6 Prozent der bundesweit neuen Anlagen in Baden-Württemberg in Betrieb. Insgesamt lag der Ökostrom-Anteil Ende 2019 bei knapp 31 Prozent.
Rheinland-Pfalz hat dagegen die 50-Prozent-Marke schon geknackt. Wenn es nach SPD und Grünen, aber auch der oppositionellen CDU geht, sollen 100 Prozent schon 2030 erreicht sein. Hier ist es genau umgekehrt: Der meiste Ökostrom kommt aus Windrädern, Solarenergie spielt bislang eher eine Nebenrolle. Auch Rheinland-Pfalz dürfte sein Klimaziel für 2020 erreicht haben, das bei minus 40 Prozent lag.
Langfristig lautet das offizielle Ziel wie beim südlichen Nachbarn: minus 90 Prozent bis 2050. Die Richtung stimmt also, doch das Tempo passt nicht zu den nationalen wie internationalen Zielen, die für 2050 Klimaneutralität vorsehen – allerspätestens. Viele Klimaforscher:innen halten es für nötig, die anspruchsvollere Marke von höchstens 1,5 Grad Erderwärmung einzuhalten statt der früher genannten zwei Grad.
Klimalisten treten an
Zusätzlichen Druck bekommen die etablierten Parteien jetzt durch Klimalisten, die in beiden Bundesländern flächendeckend zur Wahl antreten. In Rheinland-Pfalz hat der Zusammenschluss, der sich dort vor allem aus jungen Klimaaktivisten und Forscherinnen zusammensetzt, einen fast 130-seitigen "Klimaplan" für das Bundesland geschrieben.
"Wir wollten bei der Landtagswahl ein politisches Angebot, das sich wissenschaftlich valide nach dem 1,5-Grad-Ziel richtet. Das haben wir bei den bestehenden Akteuren nicht gesehen", sagt Maurice Conrad, der zusammen mit der Physikerin Beatrice Bednarz als Spitzenkandidat antritt. Der 20-jährige Informatikstudent engagiert sich bei Fridays for Future, zudem sitzt er im Stadtrat von Mainz.
Der Klimaplan ist ihrer Ansicht nach "das beste und konkreteste Programm bei der Landtagswahl, nicht nur, aber vor allem im Bereich Klimaschutz".
Der Plan bricht das 1,5-Grad-Ziel auf Rheinland-Pfalz herunter, indem er das entsprechend verfügbare CO2-Budget ansetzt, und nennt Maßnahmen für alle Sektoren, teils sehr konkret: Der jährliche Ökostrom-Zubau soll um ein Vielfaches steigen, auf 1.500 Megawatt Solar- und 1.200 Megawatt Windenergie, befördert etwa durch zusätzliche Windenergieflächen und eine Photovolatik-Pflicht für alle Neubauten.
Gebäude sollen perspektivisch eine "Netto-Null-Ökobilanz" aufweisen, die jährliche Sanierungsquote mindestens vier Prozent betragen. Das Land soll die Klimafolgen bei allen Ausgaben prüfen, Klimaschutz in die Verfassung schreiben und – wie beim Nahverkehr schon geschehen – für die Kommunen zur Pflichtaufgabe machen.
Die landeseigenen Betriebe sollen zudem mit einem "CO2-Schattenpreis" von 195 Euro die Tonne rechnen. Rund um das Jahr 2030 soll Rheinland-Pfalz dann klimaneutral sein.
Das Programm der Klimaliste in Baden-Württemberg ist weniger ausführlich, stimmt aber in vielem überein, vom CO2-Budget über deutlich mehr Erneuerbare bis hin zum Schattenpreis.
Lediglich auf ein Thema fokussiert sei man dennoch nicht, sagt Maurice Conrad in Rheinland-Pfalz. Die Klimakrise sei zwar "als wirklich drängendste politische Frage unser Einstiegspunkt", aber es seien auch Positionen dabei, die sich nicht direkt aus dem 1,5-Grad-Ziel ableiten, etwa, die Rechte von Minderheiten zu stärken. "Wir sind da aufgestellt wie ein klassischer politischer Akteur, nur mit einem anderen Zugang."
Klima statt nur Corona
Bleibt trotzdem das Problem: Der Klimaschutz ist in diesem Jahr kein zentrales Wahlkampfthema, stattdessen dominiert die Pandemie. "Das ist in gewisser Weise ja unsere Aufgabe, wir wollen Klimaschutz in den Fokus dieser Wahl rücken", sagt Conrad.
"Wir treten nicht nur an, um in den Landtag einzuziehen, sondern wollen überhaupt erst mal das politische Angebot schaffen und damit eine Diskursverschiebung anregen, bei der Berichterstattung zur Wahl, in den Parteien und auch hinterher bei Koalitionsverhandlungen."
Beim Blick in die Parteiprogramme scheint es, als wäre ihnen das ein Stück weit bereits gelungen. SPD und Grüne in beiden Bundesländern nennen als Zielmarke 1,5 Grad und wollen – mit Ausnahme der rheinland-pfälzischen SPD – auch ein CO2-Budget.
Die Sozialdemokraten wollen immerhin 2040 klimaneutral sein, die Landesgrünen fünf Jahre früher. Vor allem bei den Grünen finden sich viele Punkte wieder, auch sie wollen zum Beispiel deutlich mehr Wind- und Solarenergie, eine Photovoltaikpflicht und eine Klimaprüfung für Beschlüsse oder Förderprogramme.
Manches ist jedoch ein bisschen unkonkreter oder zurückhaltender formuliert. Den CO2-Schattenpreis zum Beispiel setzen die baden-württembergischen Grünen bei 180 Euro an, die rheinland-pfälzischen nennen gar keine Höhe.
Bei einem "Klima-Wahlcheck" regionaler For-Future-Aktivisten siegte die Klimaliste in Rheinland-Pfalz mit voller Punktzahl, die Grünen folgten knapp dahinter auf Rang zwei. In Baden-Württemberg gab es ein ähnliches Ranking, allerdings nur für die großen Parteien – dort lagen die Grünen vorne.
Spannung zwischen Klimalisten und Grünen
Die Klimaliste richte sich aber nicht nur an Grünen-Klientel, sondern an "alle demokratisch gesinnten Wählerinnen und Wähler", sagt Maurice Conrad. Und es gehe auch nicht bloß darum, den anderen Druck zu machen. "Wir stellen uns zur Wahl, damit wir gewählt werden. Und wenn wir sie übertragen bekommen, müssen wir die entsprechende Verantwortung auch in einer Landesregierung übernehmen."
In Rheinland-Pfalz erhofft sich die neue Liste ein Ergebnis zwischen fünf und sieben Prozent, auch wenn die verfügbaren Umfragen das bisher nicht hergeben. Für einen neuen Akteur im niedrigen Prozentbereich seien die Erhebungen wenig aussagekräftig, sagt Conrad.
Dass die Klimalisten trotzdem vor allem als Grünen-Konkurrenz interpretiert werden, zeigt die Reaktion von Winfried Kretschmann, der im Oktober vor "gravierenden Folgen" warnte. Der Wahlspruch seiner Partei lässt sich auch als Replik auf die neue Alternative lesen: "Wir Grünen bewegen Baden-Württemberg – ökologisch, ökonomisch und sozial. Seit 1979."
In Stuttgart erlebte die Partei zuletzt, wie als Nachfolger eines Grünen der CDU-Kandidat zum Oberbürgermeister gewählt wurde, weil sich im sozial-ökologischen Spektrum mehrere Kandidatinnen und Kandidaten die Stimmen teilten.
Nachdem sich die Grünen das 1,5-Grad-Ziel ins Programm geschrieben hatten, gab es auch innerhalb der baden-württembergischen Klimaliste Uneinigkeit: Ende des Jahres trat ein Teil des Vorstands zurück, im Konflikt darüber, ob man wirklich zur Wahl antreten sollte oder damit dem Klimaschutz eher schaden als nützen könnte.
"Klimapolitik hängt nicht nur vom Ergebnis der Grünen ab"
Mit der möglichen Gefahr, vielleicht knapp den Einzug in den Landtag zu verpassen und den Grünen zugleich Stimmen abzunehmen, die am Ende für den Klimaschutz fehlen, hätten sie sich in Rheinland-Pfalz gleich zu Beginn auseinandergesetzt, sagt Maurice Conrad – schließlich sei das das "Horrorszenario einer Klimaliste".
Er glaube aber nicht, dass Klima-Wähler:innen und Grünen-Stimmen einfach gleichzusetzen seien. Conrad verweist auf Kommunen wie Köln oder Erlangen, in denen die Partei trotz erfolgreicher Klimalisten Zugewinne verzeichnete.
Insgesamt würden mehr Menschen für das Thema mobilisiert, zumal es Leute gebe, die einfach nicht grün wählen. Außerdem hänge die Klimapolitik nicht allein vom Wahlergebnis der Grünen ab: "Selbst wenn sie am Ende ein paar Stimmen verlieren sollten, bekomme ich durch die Klimaliste eine ganz andere Positionierung in den Parteien, nicht nur bei den Grünen."
Die dürften sich dennoch herausgefordert sehen, nicht nur in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Im schwarz-grün regierten Hessen treten Klimalisten zur Kommunalwahl an, ebenfalls am 14. März.
Und auch für das Berliner Abgeordnetenhaus, in dem SPD, Linke und Grüne die Regierungskoalition bilden, kandidiert im September eine Liste unter dem Namen "Radikal Klima".
Bei der Bundestagswahl werde es dagegen wohl keine Klimaliste geben, sagt Conrad. Grundsätzlich müsse sich das von Fall zu Fall entscheiden, die Listen seien nach ihrem Selbstverständnis nicht als Partei gedacht, sondern ausgerichtet auf eine Wahl.
"Es muss sich aus der Konstellation heraus ergeben, dass genügend Leute sagen: Das brauchen wir jetzt."