Luftaufnahme von der Rapsernte, man sieht nur das schon bis auf einen Streifen abgeerntete Feld und das Erntefahrzeug.
Biodiesel aus Raps ist in Deutschland der wichtigste Agrokraftstoff. (Foto: Kletr/​Shutterstock)

Biokraftstoffe gehören zu den "absurdesten und folgenschwersten Ideen", die Deutschland je ausprobierte, schreibt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in einem kürzlich erschienenen Gastbeitrag auf Klimareporter°. Auf den ersten Blick erscheinen die Argumente der Umweltorganisation in dem mit Polemiken gespickten Text nachvollziehbar. Geht man jedoch in die Tiefe und überprüft die Positionen der DUH auf ihre Schlüssigkeit, treten schwerwiegende Mängel zutage.

Dies betrifft insbesondere das zentrale Tank-Teller-Argument der Umwelthilfe. Die Organisation weist darauf hin, dass weltweit über 800 Millionen Menschen hungern, während Landwirte in Deutschland "Essen für Verbrennungsmotoren" anbauen.

Im Umkehrschluss soll daraus offenbar gefolgert werden, dass es weniger Hunger gäbe, wenn keine Agrarrohstoffe verwendet würden, um daraus Biodiesel und Bioethanol herzustellen. Doch stimmt diese Behauptung?

Nach Angaben der Welthungerhilfe gibt es eine Vielzahl von Gründen, weshalb Menschen hungern: Naturkatastrophen, Armut, Krieg und andere Konflikte, Ungleichheit, verzerrter Welthandel, schlechte Regierungsführung, Klimawandel, schwache Bildungssysteme und mangelnde Geschlechtergerechtigkeit.

Die Produktion von Biokraftstoffen fällt nicht in diese Aufzählung der Welthungerhilfe. Weltweit werden ausreichend Nahrungsmittel hergestellt. Es müsste niemand hungern, denn es besteht kein Mangel an Agrargütern.

Zugleich erläutert die DUH nicht, was die Politik unternehmen müsste, damit sich mit einem Ende der Förderung von Biokraftstoffen der globale Hunger tatsächlich reduziert. Damit ist die Umweltorganisation nicht allein, auch das Bundesumweltministerium verzichtet in seinen Ausführungen gegen Biokraftstoffe auf eine Erklärung.

Letztlich bleibt es der Vorstellungskraft des Lesers überlassen, wie ein Ende der Biokraftstoffnutzung in Deutschland zu weniger Hunger führen soll.

Die Tank-oder-Teller-Argumentation führt in die Irre 

Eine Möglichkeit, den Hunger zu lindern, wäre, wenn Länder wie Deutschland verstärkt Nahrungsmittel in den globalen Süden lieferten. Doch dies würde die dortige Agrarproduktion verdrängen. Damit sinkt das Einkommen der lokalen Kleinbauern.

Nahrungsmittelspenden und subventionierte EU-Exporte haben in der Vergangenheit eine fatale Wirkung auf die Landwirtschaft der Empfängerländer gehabt. Diese verfehlte Politik haben die Länder des globalen Südens viele Jahre lang erduldet.

Die Erkenntnis der Entwicklungszusammenarbeit lautet, dass vermehrte Nahrungsmittellieferungen der Landwirtschaft in Afrika schaden und das Hungerrisiko eher vergrößern.

So sieht Josefa Sacko, Kommissarin für ländliche Wirtschaft und Landwirtschaft der Afrikanischen Union, in der derzeitigen Krise auch eine Chance: "Die vorübergehenden Unterbrechungen der Getreideimporte aufgrund des Ukraine-Krieges könnten für die afrikanischen Länder jedoch auch eine Chance bieten, die landwirtschaftliche Produktion im eigenen Land zu stärken und Importe hierdurch zu ersetzen."

Porträtaufnahme von Elmar Baumann.
Foto: Die Hoffotografen/​VDB

Elmar Baumann

Der studierte Biotechnologie- und Wirtschafts­ingenieur ist seit 2009 Geschäfts­führer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoff­industrie (VDB). Im VDB haben sich größere Hersteller von Agrokraft­stoffen organisiert, darunter ADM, Cargill, Evonik und Verbio. Die Mitglieder repräsentieren nach Verbands­angaben 60 Prozent der inländischen Biodiesel-Produktion.

Ähnlich argumentiert die ugandische Landwirtin und Tierärztin Emma Naluyima: "Afrika könnte problemlos die Welt ernähren, und das zu sehr niedrigen Kosten."

Denkt man die Ausführungen der Umwelthilfe weiter, könnten diese auch darauf beruhen, dass die DUH mit sinkenden Agrarpreisen zum Beispiel an den Agrarbörsen von Chicago oder Paris rechnet, wenn Getreide oder Pflanzenöl nicht mehr zu Biokraftstoffen verarbeitet werden.

Doch selbst wenn die vergleichsweise geringen Mengen an Agrarrohstoffen, die bislang zu Kraftstoffen verarbeitet werden, nicht mehr von der Biokraftstoffindustrie nachgefragt werden und die Preise leicht sinken, wäre nichts für die Hungernden gewonnen. Denn die internationalen Agrarmärkte sind von den lokalen Märkten in Entwicklungs- und Schwellenländern regelmäßig unter anderem durch staatliche Regulierungen wie Zölle entkoppelt.

Eine möglicherweise von DUH und Bundesumweltministerium unterstellte Übertragung niedriger Preise würde also nicht stattfinden.

Nach dem heftigen Preisausschlag für Agrargüter aufgrund des Ukraine-Krieges im ersten Halbjahr 2022 sind die Preise im Übrigen inzwischen wieder niedriger als vor dem Krieg, bewegen sich aber weiter auf einem hohen Niveau. Die hohen Energiepreise sowie die allgemeine Inflation lassen nicht erwarten, dass die Agrarpreise weiter sinken.

Die Tank-Teller-Argumentation führt also in die Irre. Tatsächlich würden Nahrungsmittellieferungen die strukturelle Hungerproblematik vielfach verschärfen. Deshalb ist der Vorstoß von Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir zu begrüßen: "Getreidesilos bauen statt Getreidesäcke schicken."

Investitionen im ländlichen Raum sind in der Tat ein Schlüssel zur dauerhaften Verbesserung. Nahrungsmitteltaugliche Rohstoffe für Biodiesel und Bioethanol fließen bei hohen Rohstoffpreisen bevorzugt in die Lebensmittelverwendung – damit kann die Biokraftstoffproduktion ebenfalls als Reserve dienen.

Seit Langem liefert die Landwirtschaft nicht nur Produkte zur Ernährung: Schon unsere Vorfahren haben Ackerfrüchte für die Mobilität genutzt, indem sie ihre Pferde und Esel mit Hafer fütterten.

Auch Renaturierung würde Agrarflächen beanspruchen

Biokraftstoffe werden nicht zuletzt deshalb gefördert, weil sie die Treibhausgasemissionen im Verkehr reduzieren. Die Kritiker von Biodiesel und Bioethanol stellen daher ihre Klimaschutzwirkung infrage.

Die Umwelthilfe und auch das Bundesumweltministerium verweisen hier auf indirekte Effekte von Biokraftstoffen, die sogar zu einem höheren CO2-Ausstoß als bei fossilen Kraftstoffen führen sollen.

Solche indirekten Effekte entstehen nach der ILUC-Theorie, wenn für Biokraftstoffe Flächen verwendet werden, auf denen schon bisher Ackerbau betrieben wurde. In der Folge soll die bereits bestehende Nutzung in bislang unberührte Natur ausweichen, zum Beispiel in Regenwälder. Die durch solche indirekten Landnutzungsänderungen (ILUC) entstehenden Emissionen müssten dann den Biokraftstoffen zugerechnet werden.

 

Doch der Weltklimarat IPCC erklärt eindeutig, dass es wenig wissenschaftliches Vertrauen in die dahinterstehende ILUC-Theorie gibt.

Zudem können diese Effekte nur auftreten, wenn durch den Biokraftstoffsektor eine zusätzliche Nachfrage nach Agrargütern entsteht. Der Beitrag von Biodiesel und Bioethanol ist jedoch in Deutschland gesetzlich auf 4,4 Prozent des Energieverbrauchs im Verkehr begrenzt, sodass die Rohstoffnachfrage nicht steigt.

Da die DUH möglicherweise die Schwächen der ILUC-Theorie erkannt hat, führt sie seit einiger Zeit eine neue These an: die der Opportunität. Demnach würden mehr Treibhausgase gespeichert, wenn Flächen nicht für Biokraftstoffe verwendet, sondern über einen Zeitraum von etwa 30 Jahren renaturiert würden.

Doch stellt sich auch hier die Frage, wie die Theorie sich in der Praxis umsetzen lässt. Sollten Flächen in Deutschland in großem Maßstab renaturiert werden, müsste die Umwelthilfe erklären, woher die Mittel für eine langfristige Kompensation der betroffenen Landwirte stammen sollen. Wenn die Renaturierung in anderen Weltregionen stattfindet, muss darüber hinaus besonderes Augenmerk auf Sicherung und Kontrolle der Umwidmung gerichtet werden.

Wer zahlt für die Flächen, die Überwachung und die Durchsetzung für einen so langen Zeitraum? Was geschieht im Falle von Naturkatastrophen, wenn zum Beispiel durch Brände das CO2 wieder freigesetzt wird? Fragen, die von der Umweltorganisation nicht beantwortet werden.

Zudem besteht hier ein Widerspruch zur Tank-Teller-Argumentation: Einerseits führt die Umwelthilfe aus, dass die Biokraftstoffindustrie der Nahrungsmittelherstellung Agrarflächen entzieht und damit die Hungerproblematik befeuert. Andererseits möchte sie Agrarflächen dauerhaft aus der Produktion nehmen und renaturieren, um CO2 zu speichern. Dies würde jedoch unweigerlich zu einer geringeren Lebensmittelproduktion führen.

Umweltorganisationen sollten praktikable Wege beschreiben

Die DUH gilt als eine der führenden Umweltorganisationen in Deutschland. Mit ihren Kampagnen, Klagen und Kontakten ist sie ein gewichtiger Machtfaktor, wenn es um Klimaschutz- und Energiepolitik geht. Dies sieht man an der Positionierung des Bundesumweltministeriums: Das Ministerium scheint den Forderungen der DUH und anderer Nichtregierungsorganisationen (NGO) verstärkt zu folgen.

Damit wachsen für NGOs die Anforderungen an den eigenverantwortlichen Umgang mit Macht und Einfluss – schließlich sind sie nicht demokratisch legitimiert und nur ihren Vereinsmitgliedern gegenüber rechenschaftspflichtig.

Daher sollten die Positionen von NGOs wissenschaftlich fundiert und praktisch handhabbar sein, genau wie dies bei jeder anderen Organisation der Fall ist, die im politischen Raum tätig wird. Diesen Anforderungen wird die Kritik, die Nichtregierungsorganisationen und das Umweltministerium an Biokraftstoffen üben, so wie zuletzt im Gastbeitrag aufgeführt, nicht gerecht.

In der Debatte um Biokraftstoffe stünde es NGOs gut zu Gesicht, weniger mit Polemik, Superlativen und vermeintlichen Skandalen zu argumentieren und stattdessen belastbare Positionen vorzutragen und praktikable Maßnahmen zu beschreiben.

Wenn dies nicht möglich ist, sollten sie ihre Forderungen überdenken. Damit ersparen sie auch dem Bundesumweltministerium die Blamage, wissenschaftsferne Vorschläge zu unterbreiten und so klimaschädliche Politik zu vertreten.