Ende einer Benzin-Zapfpistole auf einem grauen Plakat mit der Aufschrift:
Ökosteuer als "K.-o.-Steuer": Landtagswahlplakat von 2001 aus Rheinland-Pfalz (Ausschnitt). (Bild: CDU Rheinland-Pfalz/​Konrad-Adenauer-Stiftung/​ACDP/​Wikimedia Commons)

Weil Deutschland seine Klimaziele krachend verfehlt, wird dieser Tage – wieder einmal – über Ökosteuer und Emissionshandel kräftig gestritten. Die in der Debatte auftauchenden Argumente sind dabei alles andere als neu.

Als die rot-grüne Koalition im Bund 1999 begann, in mehreren Stufen eine moderate Ökosteuer auf Kraftstoffe, Strom und – nur geringem Ausmaß – Heizstoffe einzuführen, lief eine Allianz aus Opposition, Boulevardpresse, ADAC und BDI zu rhetorischer Höchstform auf: Die "Abzock-Steuer" treffe die kleinen Leute, hieß es, führe zur Deindustrialisierung Deutschlands und zeige einmal mehr die klebrigen Finger des Staates.

Das Argument, Preise hätten die ökologische Wahrheit zu sagen, um echte Anreize fürs Energiesparen und für Klimaschutz zu bieten, drang ebenso wenig durch wie die empirisch gut belegte These, die Verwendung der Einnahmen aus der Ökosteuer – am Ende rund 18 Milliarden Euro – für die Absenkung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen zur Rentenversicherung führe zur Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Dass eher ökologisch ausgerichtete Unionspolitiker wie Wolfgang Schäuble der populistischen "Anti-Abzock-Kampagne" ihre Unterstützung verweigerten, änderte an der vergifteten Atmosphäre nichts.

Der "Hatespeech" der Ökosteuergegner trug bald Früchte: Bundeskanzler Gerhard Schröder von den Sozialdemokraten knickte früh ein und erklärte, mit ihm seien weitere Ökosteuern nicht zu machen. So war 2003 nach ihrer fünften Stufe Schluss – obwohl das Gros ökologisch orientierter Ökonomen empfahl, auf dem Pfad zu bleiben, die Steuer- und Abgabenlast vom Faktor Arbeit auf den Faktor Energieverbrauch umzuverteilen. Denn nur so seien beide Effekte zu erreichen: Verbesserung der Energieeffizienz und des Klimaschutzes hier – sowie nachhaltige Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme und aktive Beschäftigungsförderung dort.

Richtig genutzt hat die aggressive Kampagne gegen die Ökosteuer seinerzeit aber der Union nicht. Als die Elbeflut im August 2002 mitten im Wahlkampf das Thema Klimawandel auf die politische Tagesordnung spülte, stand ihr Kanzlerkandidat Stoiber mit leeren Händen da. Rot-Grün hatte mit der Ökosteuer und dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) immerhin klimapolitische Anfänge vorzuweisen.

Ökosteuer blieb in den Kinderschuhen stecken

SPD und Grüne gewannen diese Wahl noch knapp, doch als Rückenwind, um die ökologische Steuerreform fortzuschreiben und zu verbessern, wurde das Votum nicht genutzt. Auch viele Grüne hatten einfach keine Lust mehr, für jeden Preisanstieg an den Zapfsäulen persönlich an den Pranger gestellt zu werden.

So blieb die ökologische Steuerreform in den Kinderschuhen stecken und konnte ihr Potenzial zur ökologischen Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft nicht entfalten. Eine traurige Geschichte!

Reinhard Loske vor der Mole in Warnemünde.
Foto: privat

Zur Person

Reinhard Loske hat die Gesetze zur ökologischen Steuerreform (1998/99) und zum Emissionshandel (2004/2005) als Bundestagsabgeordneter der Grünen maßgeblich mitgeprägt. Für seine politische und wissenschaftliche Arbeit in diesem Feld erhielt er 2008 den Adam-Smith-Preis des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS). Heute ist der promovierte Ökonom und habilitierte Politikwissenschaftler Präsident der Cusanus-Hochschule in Bernkastel-Kues und dort auch Professor für Nachhaltigkeit und Gesellschaftsgestaltung.

Der zweite Versuch, Klimaschutz durch die Einführung ökonomischer Instrumente zu erreichen, ging von Brüssel aus. Weil es innerhalb der Europäischen Union durch die Einstimmigkeitsregel in Steuerfragen nicht möglich war, eine einheitliche und hinreichend hohe CO2-Steuer einzuführen, freundete sich die EU-Kommission ab 2000 mit dem Konzept des Emissionshandels für die Bereiche Kraftwerke und Industrie an.

Die Ursprungsidee: Die Menge an CO2, die ausgestoßen werden darf, wird für alle EU-Staaten politisch festgelegt, im Rahmen von Auktionen versteigert und Schritt für Schritt so verknappt, dass sich mit der Zeit ein steigender CO2-Preis ergibt.

Wer in CO2-Vermeidung investiert, kann seine handelbaren Emissionsrechte verkaufen, wer nichts für den Klimaschutz tut, muss Emissionsrechte zukaufen. Das wird im Laufe der Zeit immer teurer. Letztlich wird der Klimaschutz gegenüber dem Nichtstun wirtschaftlich immer attraktiver.

Ein starkes Argument der EU-Kommission war seinerzeit: Der europäische Emissionshandel wird wie eine Vorbereitung auf den globalen Emissionshandel wirken, dem sich letztlich auch Länder wie die USA und China anschließen werden. Entsprechend waren ja auch das Design der Klimarahmenkonvention von 1992 und das des Kyoto-Protokolls von 1997 angelegt.

Braunkohle – größter Profiteur des gescheiteren Emissionshandels

Doch in der Praxis wurde das Konzept des europäischen Emissionshandels schon bei seiner Einführung 2005 stark abgeschwächt – und zwar vor allem durch die Regierungen der EU-Staaten selbst. Diese sahen sich allzu oft als getreue Vollstrecker der vermeintlichen Interessen ihrer Industrie- und Energiekonzerne: Große Teile der Emissionsrechte wurden nicht versteigert, sondern gratis zugeteilt – die überaus ambitionslosen EU-Klimaziele führten zu einer Überausstattung der Unternehmen mit Emissionsrechten. Nach der Finanzkrise von 2008 kam es sogar zu einer regelrechten Schwemme überschüssiger Zertifikate auf den Märkten.

Im Ergebnis stellte sich ein sehr niedriger CO2-Preis ein, der keinerlei Anreize für Klimaschutzanstrengungen bot. Im Gegenteil: Als größter Profiteur des gescheiterten Emissionshandels muss hierzulande die Braunkohle gelten, die sich neben den erneuerbaren Energien sehr gut behaupten konnte und in ihren Wettbewerbsvorteilen in keiner Weise beeinträchtigt wurde. Erst mit den Kohleausstiegsvereinbarungen in diesem Jahr geriet der klimaschädlichste aller Energieträger in die Defensive – wenn auch viel zu spät und viel zu langsam.

Unter Fachleuten gilt der Emissionshandel heute zu Recht als zahnloser Tiger, ja als gescheitert. Er ist durch fragwürdigen Lobbyismus aller Art dermaßen zerschossen worden, dass er nicht mehr als Modell taugt. Die Protagonisten eines marktwirtschaftlichen Klimaschutzes, die die theoretischen Vorzüge des Emissionshandels immer wieder preisen, stehen bezüglich praktischer Erfolge deshalb mit leeren Händen da.

Alles nur eine Frage des CO2-Preises?

Hinzu kommt: In der Ökologie- und Klimaschutzbewegung hat der Emissionshandel auch deshalb keinen guten Ruf (mehr), weil er sich mit seinem ökonomischen Totalitätsanspruch – Monetarisierung der Atmosphäre – als Universal-Lösung anbietet, die Politik überflüssig machen soll. Wenn alles nur eine Frage des CO2-Preises ist, der richtigen Anreizstrukturen, warum braucht man dann noch klimaschutzorientierte Energie-, Verkehrs- und Agrarpolitik oder gar einen Lebensstil- und Wertewandel?

Vergleicht man die heutige Debatte mit derjenigen vor 20 Jahren (Ökosteuer) oder vor 15 Jahren (Emissionshandel), dann fallen Nuancierungen auf.

Offenkundige Gemeinsamkeiten sind: Wie ehedem wird auch heute von manchen Gruppen mit fast apokalyptischer Rhetorik vor Ökosteuern gewarnt. "Gelbwesten"-Proteste und industrielle Niedergangs-Szenarien kommen da gerade recht. Und wie ehedem preist auch heute die Mehrzahl der Ökonomen das theoretische Konstrukt des Emissionshandels wieder als effizient und marktgerecht, ohne die konkreten Ergebnisse des bisherigen Systems zur Kenntnis zu nehmen.

Mehr Aufmerksamkeit gilt heute den sozialen Effekten

Interessanter aber sind die Zwischentöne: Die Protagonisten der Ökosteuer scheinen gelernt zu haben, dass man sich über die sozialen Verteilungseffekte mehr Gedanken machen muss, als das zur Jahrtausendwende geschah. Das ist auch dringend geboten – der Fairness wegen, aber auch, um die populistische Angreifbarkeit der Steuer zu reduzieren.

Auch scheint sich bei den Befürwortern die Einsicht durchgesetzt zu haben, dass eine zweite Ökosteuerreform über jeden Verdacht erhaben sein muss, dem Staat nur zusätzliche Einnahmen verschaffen zu wollen.

Diese Probleme aber sind lösbar. Würde die CO2-Steuer in ihrer Gesamtheit und in der Höhe eines gleichen Pro-Kopf-Betrages an alle Einwohner wieder ausgeschüttet, dann würden sozial Schwächere, Familien und Energiesparer profitieren, während Einkommensstarke und Energieverschwender draufzahlten.

Eine grobe Überschlagsrechnung kann das leicht verdeutlichen: Wären die jährlich 18 Milliarden Euro aus der von 1999 bis 2003 eingeführten und in Kraft befindlichen Ökosteuer als Ökobonus, Energiegeld oder Energie-Scheck an alle rund 80 Millionen Einwohner der Bundesrepublik in gleicher Pro-Kopf-Höhe ausgeschüttet worden, so hätte jeder Mann, jede Frau und jedes Kind 225 Euro pro Jahr erhalten. Für eine vierköpfige Familie wären das etwa 900 Euro im Jahr.

Bei einem Familieneinkommen von 30.000 Euro netto entspräche das drei Prozent des Einkommens, bei 60.000 Euro netto wären es 1,5 Prozent, bei 90.000 netto wäre es noch ein Prozent.

Auf eine so gestaltete und schrittweise einzuführende Ökosteuer, die dem Klima hilft, Produzenten und Konsumenten Anpassungsreaktionen ermöglicht und obendrein die Gerechtigkeit fördert, sollten sich in Deutschland mindestens Konservative, Grüne und Sozialdemokraten einigen können, vielleicht auch Linke und Liberale.

Es wäre gesamtgesellschaftlich von großem Wert, wenn das Streben nach ökologisch wahren Preisen mindestens im Grundsatz den tagespolitischen Scharmützeln und Opportunitäten entzogen werden könnte. Dass es auf Dauer in einer Marktwirtschaft schwer bis unmöglich ist, permanent gegen eine schiefe Ebene falscher Preise anzuarbeiten, sollte eigentlich Common Sense sein.

Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass CO2-Steuern eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für eine wirksame Klimapolitik sind. Im Grunde reicht die CO2-Bepreisung nicht an die ökonomischen Wurzeln der Klimakrise heran.

Gemeinsinn wurde aus dem Wirtschaftsleben vertrieben

Die tiefere Ursache liegt darin, dass der für jede Gesellschaft so essenzielle Gemeinsinn seit vielen Jahrzehnten systematisch aus dem Wirtschaftsleben und vor allem der Wirtschaftslehre vertrieben wurde und wird. Unternehmen, so heißt es im Hauptstrom der Wirtschaftswissenschaften, hätten ihren Sinn einzig darin, auf der Basis individueller Kalküle ihre Gewinne zu maximieren (Milton Friedman).

Die Märkte, auf denen das Individuum moralfrei als "homo oeconomicus" unterwegs sei, rational seinen Nutzen mehre und einzig seinen Präferenzen folge, werden quasi als natürliche Ordnung gepriesen, die der gesellschaftspolitischen Gestaltung entzogen bleiben muss. Jedweder Versuch, sich dieser Ordnung zu widersetzen oder sie gar moralisch aufzuladen, münde früher oder später in den "Weg zur Knechtschaft" (Friedrich August von Hayek).

So kommt es, dass die Wirtschaft immer mehr als etwas neben oder über der Gesellschaft Stehendes wahrgenommen wird, als etwas nicht mehr in sie "Eingebettetes" (Karl Polanyi). Reduziert man die Wirtschaft aber auf nichts anderes als eine große und selbstreferenzielle Maschine zur Gewinnerwirtschaftung, so bleiben der Politik gegenüber der Wirtschaft tatsächlich nur Ohnmachts- oder Allmachtsgefühle.

Die Politik kann sich dann nur für die unsichtbare Hand des Marktes ("Lasst die Marktkräfte wirken!") oder den starken Arm des Staates ("Verstaatlicht die Industrie!") entscheiden. Beide Denkfiguren sind aber in unserer heutigen Welt nur sehr bedingt realitätstauglich, denn es ist in Wahrheit das weite Feld zwischen Markt und Staat, auf dem die wirksamsten Verhandlungslösungen innerhalb der Gesellschaft entstehen können, wenn man solche denn will.

Ist man der Meinung, dass Wirtschaft etwas in Natur und Gesellschaft Eingebettetes beziehungsweise (wieder) Einzubettendes ist, dann weitet sich die Perspektive: Sicher braucht Klimaschutz staatliche Vorschriften, wo es um Gefahrenabwehr geht. Und sicher braucht er ökonomische Anreize (wie CO2-Steuern und das EEG), wo es um Energieeinsparung und Brennstoffwechsel geht.

Aber vor allem braucht Klimaschutz die Rückkehr des Gemeinsinns in die Ökonomie im Allgemeinen und die Wirtschaftslehre im Besonderen. So unverzichtbar von außen gesetzte Bedingungen für das Wirtschaften sind, so wichtig ist es zugleich, im Wirtschaftsleben selbst Gemeinsinn und Gemeinwohl zur Geltung zu bringen.

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