Protestwanderung Lausitz
Umweltbewegte in der Lausitz mahnen seit vielen Jahren mehr wirtschaftspolitischen Realismus an. (Bild: Markus Pichlmaier/​Ideengrün)

Klimareporter°: Frau Budke, nach der Wahl im September scheiden Sie als Abgeordnete aus dem Landtag Brandenburg wieder aus.

Normal ist es so: Wer neu in einen Landtag oder auch den Bundestag einzieht, baut sich in der ersten Legislaturperiode sein Netzwerk auf, arbeitet sich in die Themen ein. Erst in der zweiten Legislatur verfügen Abgeordnete über den Einfluss, um eigene Projekte und politische Ziele durchzusetzen. Warum kandidieren Sie nicht wieder?

Ricarda Budke: 2020 kam ich als Nachrückerin in den Landtag, war sehr jung und steckte mitten im Bachelor-Studium. Schnell stellte ich fest, ein Vollzeit-Studium mit einem Vollzeit-Parlament zu vereinbaren, ist nicht so einfach.

Abgeordnete bin ich jeden Tag von morgens bis abends, das ist kein 40-Stunden-Job. Für mich war von Anfang an klar, dass ich das Studium beenden möchte.

Als Abgeordnete habe ich in den Landkreisen Elbe-Elster und Oberspreewald-Lausitz Büros eingerichtet. Ich hoffe, dass neu gewählte Kolleginnen und Kollegen sie übernehmen. Diese Strukturen sind wichtig, gerade in Zeiten mit Angriffen auf politisch Aktive und mit erstarktem Rechtsextremismus.

Das Thema Strukturwandel und Kohleausstieg werde ich ab September weiter begleiten, wenn auch dann nicht mehr als Abgeordnete.

Strukturwandel und Kohleausstieg – diese Bereiche hatten Sie als neue und anfangs unerfahrene Abgeordnete gleich noch übernommen. In der Lausitz hat das besondere Brisanz. Fand sich kein anderes Feld?

Der Kohleausstieg ist der Grund, warum ich überhaupt in die Politik gegangen bin. Schon im Alter von fünfzehn, sechzehn hat mich das Thema Klimawandel interessiert, noch bevor Fridays for Future so groß wurde. Als ich merkte, mein eigenes Bundesland Brandenburg ist massiv mitverantwortlich für die Klimakrise, fing ich an, mich politisch zu engagieren.

So war es logisch für mich, im Parlament nicht nur für den Kohleausstieg zu kämpfen, sondern auf der anderen Seite auch den Strukturwandel mitzugestalten.

Gerade in der Lausitz fehlt es massiv an jungen Menschen. Auch deswegen fand ich es spannend, als junge Person in den Strukturwandel-Ausschuss zu gehen.

Die größte Herausforderung in einer vergleichsweise kleinen Fraktion wie bei uns Bündnisgrünen im Landtag ist allerdings die Vielzahl der Themen. Ich habe mich nicht nur um den Strukturwandel gekümmert, sondern auch um Wohnen, Bauen, Klima und Jugendpolitik.

In der Lausitz ist das Thema Strukturwandel besonders schwierig, weil die Landesregierungen in Brandenburg genauso wie in Sachsen der Braunkohle immer noch den roten Teppich ausrollen. Grüne gelten dagegen als unbelehrbare Kohlegegner. Wie sind Sie damit umgegangen?

Vor zehn oder fünf Jahren hatten wir Grünen genauso wie andere, die gegen die Braunkohle kämpfen, noch den Status von Ausgegrenzten. Vertreter aus der Braunkohle-Lobbyblase sprachen kaum mit uns.

Das hat sich massiv geändert, allein schon aufgrund unserer Regierungsbeteiligung und der Übernahme von Politikfeldern, die auch für die Braunkohlewirtschaft relevant sind. Da mussten sie mit uns reden.

Unabhängig davon ist es aber auch sinnvoll, miteinander ins Gespräch zu kommen, gerade mit den Betriebsräten der Braunkohle. Das Gesprächsklima hat sich grundsätzlich geändert.

Ich finde es enorm wichtig, die Akteure zu stärken, die nicht mit einem Braunkohleblick auf die Region schauen. Die Braunkohle ist inzwischen nicht mehr die einzige Stimme aus der Lausitz. Eine Forderung aus der Braunkohle wird auch nicht mehr mit einer Forderung der Region gleichgesetzt, sondern als eine von vielen.

Um andere Lausitzer Akteure in den Strukturwandel einzubeziehen, gibt es inzwischen jede Menge Foren und Gremien. Aber haben die tatsächlich etwas zu sagen?

Beim Strukturwandel stehen hauptsächlich die Kommunen in der Verantwortung, die Gelder auszugeben. Das läuft von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich. Es gibt Kommunen, die Arbeitsgemeinschaften bilden und offene Gespräche führen, aber auch Kommunen, wo noch wenig Beteiligung angeboten wird, häufig auch aus Personalmangel in der Verwaltung. Dann ist eine echte Beteiligung der Leute nur schwer zu realisieren.

Bild: Peter-Paul Weiler

Ricarda Budke

wuchs im Havel­land auf und studierte Stadt­planung in Cottbus, wo sie heute auch wohnt. Die 25-Jährige engagiert sich seit zehn Jahren (klima)​politisch, vor allem in der Grünen Jugend Brandenburg, deren Sprecherin sie vier Jahre war. Sie zog 2020 in den Landtag Brandenburg ein und ist Fraktions­sprecherin für Klima, Jugend, Bauen, Wohnen und Planen sowie den Struktur­wandel in der Lausitz.

Am Anfang nahmen sich die Kommunen im Strukturwandel vor allem die Projekte vor, die sie vorher schon in der Schublade hatten. Das ändert sich aber zum Glück.

Die Zivilgesellschaft ist insgesamt noch zu wenig beteiligt bei der Verteilung der Strukturwandel-Gelder. So gibt es in Neupetershain bei Cottbus ein interessantes Vorhaben, das Bahnhofsareal zu entwickeln. Die Förderung dafür scheitert bisher noch an formalen Hürden.

Für mich ist es aber eins der Projekte, bei dem sich die Leute selbst überlegen, was sie in der Region machen können. Ich hoffe, dass es künftig mehr Projekte dieser Art geben wird.

Wir konnten inzwischen erreichen, dass auch Bürgerinitiativen und Vereine Zugang zu Fördergeldern bekommen. Sie wissen heute auch besser, wie Gelder beantragt werden und was dazu gebraucht wird – nehmen wir zum Beispiel die Bürgerregion, die sich gegründet hat, um genau das zu unterstützen. Ich glaube, jetzt kommt noch einmal eine kreativere Phase in der Lausitz.

Angesichts der Milliarden, die für den Strukturwandel in die Lausitz fließen, und der wachsenden Möglichkeiten der Zivilgesellschaft ist es teilweise schwer verständlich, warum jüngst bei der Europawahl die rechtsextreme AfD dort stärkste politische Kraft werden konnte. Was funktioniert da nicht?

Die AfD setzt in den Wahlkämpfen vor allem auf gesellschaftspolitische Themen wie Migration oder gegen queere Menschen. Sie stellt grundlegend infrage, dass die Welt sich ändert und sich deshalb auch unsere Gesellschaft ändern muss. Das zu leugnen kann gar nicht funktionieren, ist aber natürlich eine sehr einfache Antwort auf viele schwierige Fragen.

Das Wahlergebnis der AfD im Süden Brandenburgs zeigt uns aber auch, dass Geld nicht reicht, um Konflikte zu befrieden. Viele Menschen haben bis heute nicht das Gefühl, dass das Geld bei Ihnen wirklich ankommt, und sie sind auch nicht mehr offen dafür, gemeinsam zu diskutieren.

Gleichzeitig ist der Kohleausstieg nicht am Erstarken der AfD schuld, sondern das ist Teil eines gesamtgesellschaftlichen, ja sogar globalen Phänomens. In Thüringen zum Beispiel gibt es gar keine aktiven Kohletagebaue.

Unsere Aufgabe als progressive Kraft ist es, die Menschen davon zu überzeugen, dass Veränderung Gutes bewirken kann und wir ohne sie gar nicht mehr weiterkommen. Wir haben so einen massiven Fachkräftemangel in der Lausitz, der ist ohne Zuwanderung gar nicht zu bewältigen.

Die Braunkohlelobby begründet ihre Privilegien immer auch damit, dass die Lausitz ja eine Energieregion sei. Das müsse so bleiben, sagt jetzt die Lausitz Energie AG und versucht so die Pläne für ihre "Gigawattfactory" durchzusetzen. Ist das Leitbild einer Energieregion für die Lausitz nicht zu wenig und zu einseitig für ein Zukunftskonzept?

Es ist auf jeden Fall falsch, sich nur auf eine Branche zu konzentrieren. Dass die Lausitz so von der Braunkohle dominiert wurde, fällt uns jetzt ja auf die Füße.

Die Region muss sich breiter aufstellen. Die Lausitz war nie nur Energieregion. Ihre Identität macht so viel mehr aus, wenn ich nur an die in der Region beheimateten Sorben und Wenden denke.

Auch wenn noch immer die Energieregion im Vordergrund steht – die Strukturwandel-Gelder werden inzwischen schon breiter verteilt, auch an Vorhaben in Kultur und Wissenschaft.

Cottbus ist mit der BTU schon zu einem innovativen Forschungsstandort geworden. Diese Entwicklung wird aber oft nicht als Teil der Lausitzer Identität gesehen.

Gerade die gut bezahlten Jobs in der Forschung würden oft nicht an Leute aus der Region gehen, sondern an Zugezogene, ist als Kritik zu hören. Das sei dann wie früher in den 1990er Jahren nach der Wende …

… die Debatte kenne ich und kann sie teilweise verstehen, teilweise aber auch nicht.

Nach 1990 sind aus der Lausitz unglaublich viele Leute weggegangen. Die Region hat nicht nur diese Menschen verloren, auch deren Kinder wurden anderswo geboren und leben dort. Der Lausitz fehlen so zwei Generationen, überspitzt gesagt.

Insofern ist es nötig, dass Menschen von außerhalb in die Region kommen. Wir sollten es auch positiv sehen, wenn Leute sich entscheiden, in die Lausitz zu ziehen. Am Ende profitieren wir alle davon, die Hiergebliebenen wie die neu Dazugekommenen.

Die Grünen in Brandenburg und Sachsen haben vor einiger Zeit ein Stiftungsmodell für die Braunkohlesanierung im Osten vorgelegt. So etwas ist eigentlich alternativlos, um die Jahrhundert-Lasten der Kohle zu bewältigen. Dennoch propagieren die Grünen das Modell bisher nicht sehr offensiv. Warum?

Das versuchen wir schon, müssen aber auch zur Kenntnis nehmen: Als ostdeutsche Bündnisgrüne sind wir trotz des starken Wachstums in den letzten Jahren immer noch zu wenige, nicht nur in den Ländern selbst, sondern auch im Bundestag und dort in der grünen Fraktion.

In Sachsen haben wir immerhin vier grüne Bundestagsabgeordnete, in Brandenburg nur zwei und eine davon macht als Außenministerin einen Superjob.

Um dem Stiftungsmodell mehr Unterstützung zu verschaffen, werden wir Grünen in den Ost-Kohleländern aber noch einmal an Wirtschaftsminister Robert Habeck herantreten.

Bevor Sie Abgeordnete wurden, waren Sie bei "Ende Gelände" als Anti-Kohle-Aktivistin unterwegs. Haben Sie da jetzt als Mitglied in einer kohlefreundlichen Regierungskoalition nicht manchmal die Hände in der Tasche geballt?

In Brandenburg haben wir eine Koalition aus SPD, CDU und Grünen, also eine große Koalition plus uns Grüne. In der Landesregierung sind wir der einzige progressive Akteur.

Ich habe darauf geachtet, mir nicht zu sehr auf die Zunge beißen zu müssen. Die Auseinandersetzung um den Kohleausstieg – ob nun 2030 oder 2038 – empfand ich persönlich als hart.

Hinter vorgehaltener Hand sagen mir viele Leute, dass sie für einen früheren Kohleausstieg sind. Aber in der Öffentlichkeit trauen sich das zu wenige. So konnten wir uns auch nicht mit einem früheren Ausstieg gegen die Koalitionspartner durchsetzen – trotzdem werden wir nicht müde, ihn weiter einzufordern.

Nach meinem Wechsel aus der früheren Rolle als Aktivistin musste ich auch feststellen: Einfach ist es in der Politik nicht. Es liegt nicht nur an "denen da oben", wenn bestimmte Dinge nicht vorankommen.

Als Politiker:innen müssen wir aus unserer Blase herausgehen. Leute sind nur zu überzeugen, wenn man Argumente austauscht. Wir brauchen nicht nur im Parlament Mehrheiten, sondern auch in der Gesellschaft.

 

Nach Ihren Erfahrungen im Landtag – war es das jetzt für Sie in der Politik?

Ganz ehrlich: Ich weiß es noch nicht.

Inzwischen ist mir klar geworden, was es bedeutet, in der Öffentlichkeit zu stehen. Ein kleiner Fehler, eine falsche Äußerung können Jahre später herausgeholt werden und Lebensentwürfe zerstören. Man muss sich gut überlegen, ob man das will.

Für die demokratische Regierungsform einzustehen, die wir in Deutschland haben – gerade in diese Zeiten, wo sie so hart angegriffen wird – das werde ich auf jeden Fall weiter tun.