Ohne Sonnenschirm lässt es sich auch an der Ostseeküste kaum noch aushalten. Hitzerekorde werden immer schneller gebrochen. (Bild: Monika Mesterhazy/Pixabay)

Früher gab es am Ostseestrand den Sturmball, heute warnen an den Rettungstürmen Flaggen vor zu starken Winden. Flattert es rot-gelb, ist der Turm besetzt. Kommt die gelbe Flagge hinzu, heißt das: Achtung, Gefahr!

Wird statt der gelben die rote Flagge gehisst, bedeutet das bei Gewitter, hohen Wellen und starker Strömung: Lebensgefahr! Verlassen Sie das Wasser!

Stürmische Winde sind nur eines der Wetterextreme, die an Stränden drohen. Das Wetterereignis mit den nachweislich stärksten Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit ist die Hitze, erklärt Hans-Guido Mücke vom Fachgebiet Umweltmedizin des Umweltbundesamtes (UBA), nachzulesen auf der Website des "Zentrums Klima-Anpassung".

Der UBA-Experte hält Hitze für ein bislang unterschätztes Gesundheitsrisiko. Für den Sommer 2022, den viertwärmsten seit 1881, ergab eine Analyse des Robert-Koch-Instituts (RKI), dass etwa 4.500 Menschen infolge von Hitze in Deutschland gestorben sind. Die Zahl hitzebedingter Todesfälle lag demnach auf vergleichbarem Niveau wie 2015, 2019 und 2020.

Erstmals untersuchte das RKI auch sogenannte Expositionsunterschiede zwischen den Großregionen Süd, West, Ost und Nord in Deutschland.

Hitzesterblichkeit steigt von Süden nach Norden an

So erlebte der Süden Deutschlands im Hitzejahr 2018 laut RKI die meisten Hitzewochen und auch die höchsten Wochenmitteltemperaturen. Dennoch liege im Süden die hitzebedingte Sterblichkeit niedriger als in den anderen drei Regionen, stellte das RKI fest. Die Wirkung der Hitze auf die Mortalität steige von Süden nach Norden an.

 

Anders gesagt: Zwar ist die Hitze im Norden meist etwas weniger stark, dennoch sterben dort relativ gesehen mehr Menschen an den Hitzefolgen. Als einen Grund dafür vermutet das RKI eine bessere Hitzeanpassung in den Regionen, in denen auch in der Vergangenheit heißere Sommer auftraten.

Wo also Menschen und Politik schon länger mit der Hitze leben (müssen), kümmern sie sich offenbar auch mehr darum.

Diese Sicht auf die Dinge scheint im Norden, vor allem in den Urlaubsregionen der Ostsee, noch nicht angekommen zu sein. Nachfragen zur Klimaanpassung, speziell zu Hitzeaktionsplänen, verlaufen in Mecklenburg-Vorpommern – Slogan "MV tut gut" – vielfach im Sande.

Das Wirtschaftsministerium, für den Tourismus verantwortlich, erklärt sich bei Klimaanpassung für nicht zuständig, das zuständige Umweltministerium antwortet nicht.

Der Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern schickt jede Menge Links zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz, konkrete Projekte zu Hitze und Aktionsplänen sind nicht darunter.

Der Landkreis Vorpommern-Greifswald, zu dem die bekannte Urlaubsinsel Usedom gehört, teilt mit: Zwar habe man ein "Integriertes Energie- und Klimaschutzkonzept", das 2024 fortgeschrieben werden soll, ein Anpassungskonzept gebe es aber nicht. Über konkrete Projekte oder Vorhaben in den Gemeinden zum Umgang mit Hitze und anderen Wetterextremen sei dem Landratsamt nichts bekannt.

Hitze nennt man lieber "Überwärme"

Tatsächlich verfügt offenbar keiner der Urlaubsorte an der Ostsee über einen Hitzeaktionsplan oder ein ähnliches Dokument.

Einzige Ausnahme: die Stadt Rostock. Sie begann sich ab 2020 mit einem Hitzeaktionsplan gegen immer heißere Sommer zu wappnen. Dieses Jahr will die Stadt auch fünf weitere öffentliche Trinkbrunnen aufstellen.

Für Hans-Guido Mücke ist es gerade Aufgabe der Kommunen, über Hitzegefahren und Anpassungsmaßnahmen zu informieren. Vor Ort sollten die Kommunen ein Hitze-Netzwerk aufbauen und dazu Gesundheitsamt, Hilfsorganisationen, Krankenhäuser und Ärzte einbinden, betont der UBA-Experte.

Krankenbett statt Hotelbett – keine schöne Vorstellung, aber besser als gar keine Hilfe. (Bild: Frank C. Müller/​Wikimedia Commons)

Ausgeprägte Hitzeperioden fielen häufig in die Zeit der Sommerferien, so Mücke. Gerade in den heißen Monaten sei darauf zu achten, in Krankenhäusern und Heimen wie auch in Institutionen der Notfallrettung ausreichend und kurzfristig verfügbares Personal zu haben, um bei extremer Hitze betroffene Menschen versorgen zu können.

Von derartiger Vorsorge sind die Ostsee-Kommunen offenbar weit entfernt. Selbst das abschreckende Wort "Hitze" wird vermieden. So will der Greifswalder Landkreis, wie im Klimakonzept nachzulesen, durch "innerstädtische Grünzäsuren" und die planerische Anbindung an klimatische Ausgleichsflächen die Gefahren für Gesundheit und Wohlbefinden bei "Überwärmung" verringern.

Überwärmung, das klingt natürlich viel netter als der potenzielle Hitzetod. Wem bei "Überwärmung" zu warm ist, muss vielleicht nur den Pullover ausziehen.

"Positive Effekte" des Klimawandels für den Tourismus?

Hartnäckig hält sich auch die Vorstellung, der Klimawandel habe für die gemäßigte Klimazone doch auch Vorteile. Selbst in Niedersachsen, das in Sachen Klimaanpassung als Vorreiter gilt, werden in einschlägigen Anpassungskonzepten die "positiven Effekte" des Klimawandels für den Tourismus aufgelistet, etwa eine verlängerte Saison.

Das Narrativ ist alt und findet sich schon 2007 in einem Grünbuch der EU-Kommission mit dem Titel "Anpassung an den Klimawandel in Europa – Optionen für Maßnahmen der EU". Das nur 30 Seiten starke Diskussionspapier gilt gemeinhin als Startpunkt für die Klimaanpassungspolitik auch in Deutschland.

Die Kommission weist darin der Anpassung ausdrücklich einen doppelten Sinn zu. Zum einen seien Risiken und Schäden "negativer Auswirkungen" zu verringern, zum anderen aber auch "potenzielle Vorteile" zu nutzen.

Seitdem scheint sich nicht viel getan zu haben. Es gebe zwar Pioniere wie Niedersachsen und einige besonders von Sommerhitze betroffene Städte, sagt Tobias Woitendorf, Geschäftsführer des Tourismusverbandes Mecklenburg-Vorpommern. Die ernsthafte Beschäftigung mit Klimafragen und Anpassungsstrategien habe in den meisten Kommunen aber erst begonnen, räumt er ein. Der Tourismus sei da ein "Spiegel der Gesellschaft".

 

Woitendorf geht davon aus, dass Hitzeaktionspläne, die heute noch eher selten seien, bald zum normalen Rüstzeug von Tourismusregionen zählen. Dazu braucht es nach seiner Überzeugung eine engere Vernetzung der Tourismusbranche, um Expertise zu gewinnen.

Für den Tourismusmanager steht die Branche vor einer Art "Langstreckenlauf", bei dem die Route nicht klar vorgegeben sei. Beispielsweise sei früher als Idee für Anpassungsstrategien in der Hotellerie an der Ostsee auch der Bau von Pools erwogen worden, um sich vom Meer unabhängiger zu machen. "Dies würde man im Zusammenhang mit Energie- und Wassermangel so heute sicher nicht mehr denken", sagt Woitendorf.

Das nötige Umdenken in der Branche scheint ein gewaltiges zu sein. Man stelle sich nur vor, jedem Ostsee-Urlauber würde künftig ein Hitzenotfallheft oder eine Hitzeapp angeboten, gar noch verpflichtend. Vor so etwas muss doch jedem Tourismusmanager grausen. Strände werden hierzulande nur gesperrt, wenn sie überfüllt sind, aber doch nicht, wenn es zu heiß werden könnte.

Hitzevorsorge bleibt möglichst Sache der Urlauber

So schieben Branche und Kommunen das Problem bisher meist auf die Urlauber ab. Auf den kommunalen Webseiten findet sich fast immer ein Link zu einem sogenannten "Hitzeknigge".

Den hat das Umweltbundesamt verfasst und bietet den Gemeinden an, den "Knigge" selbstständig um das jeweilige Logo, die Ansprechpersonen und auch eigene Inhalte beliebig zu erweitern.

Da finden sich dann in den "Knigges" jede Menge guter Ratschläge wie: "Sorgen Sie für frischen Wind – durch luftige Kleidung!" oder "Wappnen Sie sich von innen: Essen Sie leichte Kost und trinken Sie regelmäßig Wasser!" – und vor allem: "Meiden Sie jegliche Hitzebelastung!"

Soll der Urlauber also bei Hitze ganz selbstverantwortlich entscheiden, ob er lieber nicht an den Strand geht, die Radtour unterlässt und sich in seinem klimatisierten Fünf-Sterne-Apartment an der Wasserflasche festhält?

In Wahrheit ist bereits das Wort "Hitzeknigge" ein sprachlicher Euphemismus erster Klasse. Als ob sich der Klimawandel durch "gutes Benehmen" besänftigen ließe – und wer sich nicht gut benimmt, der erleidet dann möglicherweise auch nicht ganz zufällig den Hitzetod.

Aber wen stören solche Feinheiten schon. Hauptsache, die Strände, Hotels und touristischen Hotspots sind voll. Und wenn mal ein Wetterextrem kommt, dann hissen wir die rote Flagge.

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