Kanzleramt
Wer auch immer künftig im Kanzleramt sitzt, wird sich mehr ums Klima kümmern müssen. (Foto: Andreas Neufahrt/​Flickr)

Klimareporter°: Herr Latif, die neue Bundesregierung muss eine Klimaschutz-Regierung sein, die Deutschland in die 1,5- bis Zwei-Grad-Spur bringt. Das ist die Konsequenz aus dem Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr. Wie sehen Sie nun die Chancen dafür?

Mojib Latif: Es läuft auf eine Dreier-Koalition hinaus. Nur: Die Wahlprogramme der beteiligten Parteien lassen nicht erkennen, dass man sich auf einen Kurs wird verständigen können, der mit den Pariser Klimazielen kompatibel ist.

Die Grünen hatten als einzige Partei ein Programm aufgestellt, mit dem der 1,5-Grad-Pfad in Reichweite bleibt. Aber sie bekamen nicht einmal 15 Prozent der Stimmen. Ist den Wählern das Thema nicht wichtig genug?

Viele Menschen haben vor Klimaschutz Angst. Wir müssen weg von der Verzichtsdebatte und deutlich machen, dass Deutschland seinen Wohlstand nur behalten kann, wenn das Land ganz vorne bei den neuen Technologien mitspielt.

Nun konkret zu den Koalitionsoptionen. Ampel oder Jamaika sind am wahrscheinlichsten. Was wäre am besten fürs Klima?

Das hängt von den Verhandlungen ab. Klientelpolitik muss endlich der Vergangenheit angehören. Es geht um die Zukunft Deutschlands. China hat gerade mit dem Verzicht auf Investitionen in Kohle im Ausland gezeigt, wo die Reise hingeht. Deutschland muss bei den erneuerbaren Energien die Lokomotive sein.

Sind die Positionen von Grünen und FDP denn überhaupt zur Deckung zu bringen? Wo liegen die Schnittmengen?

Zum Beispiel in der CO2-Bepreisung. Die FDP favorisiert den Emissionshandel. Der funktioniert inzwischen in der EU ganz gut. Die Grünen setzen auf den CO2-Preis. Da kann man bestimmt zusammenkommen.

Porträt von Mojib Latif
Foto: GEOMAR

Mojib Latif

ist Professor für Ozean­zirkulation und Klima­dynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozean­forschung Kiel (Geomar) und an der Universität Kiel, außerdem Präsident der Deutschen Gesellschaft des Club of Rome und Vorstands­vorsitzender des Deutschen Klima-Konsortiums.

Aber wenn nicht, dann läuft es auf eine neue Groko hinaus ...

Deutschland braucht eine Investitions- und Innovationsoffensive, wofür die Groko nicht stünde. Außerdem haben die beiden Spitzenkandidaten vor der Wahl angekündigt, den Kohleausstieg bei 2038 zu belassen. Das wäre viel zu spät.

Eine Minderheitsregierung hat es hierzulande im Bund noch nicht gegeben. Aber wäre eine rot-grüne Regierung, die sich Mehrheiten sucht, nicht doch überlegenswert?

Das könnte einen Versuch wert sein. Beim Klimaschutz sollte es ohnehin einen parteiübergreifenden Konsens geben. Es handelt sich schließlich um eine existenzielle Frage, es geht um unsere Zukunft.

Was wären die wichtigsten konkreten Sachentscheidungen, die eine neue Regierung treffen muss, um einen Turbo beim CO2-Sparen zu bekommen?

Der Kohleausstieg muss auf 2030 vorgezogen werden, es muss ein konkretes Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor geben, und wir müssen bei der Gebäudesanierung viel schneller werden.

Am allerwichtigsten wäre der schnellere Ausbau der erneuerbaren Energien. Sei es die E-Mobilität oder die Wasserstofftechnologie, sie alle erfordern die Bereitstellung von grünem Strom.

Wird eine Klimaschutz-Regierung uns Bürgern denn viel zumuten müssen? Oder kann sie das Projekt auch positiv besetzen? Und wie?

Eine Klimaschutz-Regierung muss die Vorteile deutlich machen. So wie der neue amerikanische Präsident Joe Biden. Er hat beim Online-Klimagipfel vor ein paar Monaten sich an seine Landleute wendend betont, dass Klimaschutz viele neue, gut bezahlte Jobs schaffen und das Land aus der Krise führen würde.

Klimaschutz muss aber sozial verträglich gestaltet werden, sonst verlieren wir die Akzeptanz der Bevölkerung. Die Politik muss eine Aufbruchstimmung erzeugen. Die Menschen müssen spüren, dass sie gewinnen.